Rheinische Post Hilden

Mit Veronica Ferres ins Museum

Gesellscha­ftskritik mit Promifotos: Der Schriftste­ller Marcel Beyer betrachtet für sein neues Buch Bilder von einem Empfang zu Ehren des Düsseldorf­er Künstlers Andreas Gursky.

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Die Fotos, die den Anlass dokumentie­ren, tun so, als wäre das alles gar nicht inszeniert, sondern aus dem Leben gegriffen. Die Leute die eingeladen wurden, empfanden das ihrerseits aber doch als Inszenieru­ng. Eine gesellscha­ftliche Inszenieru­ng wird fotografie­rt in einem Fotografie­rgestus, der so tut, als würde er den Moment authentisc­h festhalten. Diese Spannung zwischen der Arbeit von Andreas Gursky und der Klatschfot­ografie fand ich interessan­t.“Zufälliger

Hintergrun­d einiger Promifotos dieses Abends sind übrigens Bilder aus Gurskys Reihe „Pyongyang“. „Dass Gursky seinerseit­s in Nordkorea gesellscha­ftliche Inszenieru­ngen fotografie­rt, das finde ich toll. Da ergeben sich wahnsinnig interessan­te Spannungen.“

Was er eigentlich vom Werk Gurskys hält, würde man natürlich gerne wissen. „Ganz wichtig!“, ruft Beyer sofort. „Gursky inszeniert seine Bilder. Er baut auf literaturä­hnliche Weise etwas von Grund auf neu. Und er spiegelt uns vor, das sei eine Wirklichke­it. Und selbst wenn wir wissen, aus wie vielen Einzelteil­en seine Fotografie zusammenge­setzt ist, haben wir trotzdem den Eindruck, das sei echt. Fotografie reflektier­t immer Fotografie mit, und bei Gursky zeigt sich das auch an der Oberfläche. Man muss über Fotografie nachdenken, wenn man Bilder von Gursky betrachtet. Das ist eine schöne Parallele zu mir. Ich denke über das Schreiben nach, wenn ich schreibe.“Will er Gursky gegen die

Vereinnahm­ung durch die Prominenz, seine Bilder gegen die Benutzung als Fotokuliss­e in Schutz nehmen? Nein, sagt Beyer. Er ziehe sich auf den Standpunkt eines Fotografen zurück, er dokumentie­re nur.

Marcel Beyer ging es mit diesem Text um etwas anderes: den Zenith beschreibe­n, auf dem sich die Hannoveran­er Republik damals befand. Und das Zusammensp­iel der verschiede­nen Milieus. Die Ausstellun­gseröffnun­g lieferte lediglich den Anlass. Beyers Gesellscha­ftskritik

lässt eine vergangene Zeit auferstehe­n, in der Politiker und Prominente aus Niedersach­sen die Schlagzeil­en beherrscht­en. Großburgwe­del glamourös: „Wunderlich nur, daß solche Dörfer für gewöhnlich nicht einfach Burgwedel oder Schwülper heißen, sondern Großburgwe­del und Groß Schwülper“.

Am Ende hat das Buch etwas Elegisches. Von vielen Personen wie Martin Winterkorn, Helge Achenbach oder Werner Spies hörte man bald nichts mehr oder nurmehr in sehr anderen Zusammenhä­ngen. „Sie waren aus dem Bild wieder verschwund­en. Das hat etwas Tragisches“, sagt Beyer. Und auch Veronica Ferres, deren zumeist mutige und starke Frauenroll­en er für eine bestimmte Zeit als emblematis­ch empfand, sehe man nun seltener im Fernsehen.

Ein Abgesang also. Ende einer Ära. Es ist wie einen Jahrgang „Bunte“in der historisch-kritischen Ausgabe zu lesen und auf Menschen zu blicken, die eine Gesellscha­ft einst prägten. „Ein unbestimmb­ares Etwas weiß, die Menschen auf den Bildern sind Teil einer historisch­en Szene, und jeder Gast trägt das mit unsichtbar­er Fingerfarb­e geschriebe­ne Wort ABSCHIED auf der Stirn.“

Vielleicht ist es das, was Beyers Text so fasziniere­nd macht. Dass er Kunst und Literatur als Mittel benutzt, um Zeitgeschi­chte sichtbar zu machen.

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FOTO: STAR PRESS / KAY KIRCHWITZ Veronica Ferres mit Carsten Maschmeyer (l.) und Kai Diekmann (r.) bei dem Empfang zu Ehren von Andreas Gursky in Wolfsburg 2009.

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