So klingt Heimweh im Wilden Westen
Livestream aus der Tonhalle: Adam Fischer dirigierte Dvoráks 9. Symphonie „Aus der Neuen Welt“.
DÜSSELDORF Seit er 2015 zu den Düsseldorfer Symphonikern kam, hat der Dirigent Adam Fischer den Komponisten Joseph Haydn zum Mittelpunkt der Welt gemacht. Tatsächlich war der große Klassiker musikgeschichtlich ein überdauernder Impulsgeber: Mozart und Beethoven lernten von ihm, die Romantiker bekamen seinen späten Atem zu spüren, und die Gattung des Streichquartetts hätte es ohne ihn vielleicht gar nicht gegeben. In manchen Programmen lässt uns Fischer sogar ahnen, dass auch in Gustav Mahler viel Haydn steckt. So dürfen wir sagen: Mit Haydn waren wir in früheren Jahren unterversorgt, jetzt nicht mehr.
Im jüngsten „Sternzeichen“-Symphoniekonzert, das jetzt aus der Düsseldorfer Tonhalle gestreamt wurde, kam Haydns geistreiche Sinfonia concertante B-Dur zur Aufführung, die sehr apart mit Solisten aus dem Orchester bestückt war. Fischer hielt sich mit suggestiven Maßnahmen angenehm zurück und vertraute Franziska Früh (Violine), Doo-Min Kim (Cello), Gisela Hellrung (Oboe) und Veikko Braeme (Fagott) die Gesprächsführung an. Die Stimmführer ihrer Instrumentengruppen bildeten ein famoses Quartett, das frech und lyrisch zugleich die Haydnschen Köstlichkeiten betreute. Vor allem bejahten die Musiker den erfrischenden, tiefgründigen Reiz lebhafter Kommunikation. Hinreißend, wie auch Haydns Dunkelheiten, seine weitgespannten elegischen Momente herauskamen.
Nach der Pause dann eines der beliebtesten Orchesterwerke der Konzertliteratur: die 9. Symphonie e-Moll („Aus der Neuen Welt“) von Antonin Dvorák. Die Symphoniker schienen dankbar, endlich mal wieder in größerer als der Diät-Besetzung spielen zu können. Es herrschte schönste Lust an saftiger Phrasierung, an direktem Zugriff, doch erlebten wir alles andere als eine dröhnende Interpretation. Im Gegenteil, Fischer legte viel Wert auf Details, nicht nur im langsamen zweiten Satz (sehr schönes Englischhorn-Solo: Manfred Hoth), sondern auch in den schnellen Sätzen, vor allem in der Balance von Streichern und schwerem Blech.
So ganz ohne Prärie und Grand Canyon ging es natürlich nicht, doch waren es kleinere Dosierungen. Denn tief in der Musik schlummerte das Böhmische, Heimatliche des Erzmusikanten Dvorák, wie Intendant Michael Becker in seiner Moderation zu Recht anmerkte: Heimweh im Wilden Westen. So entstand eine Innenspannung, die tatsächlich wie eine Verlängerung Haydns wirkte, nämlich Dvorák aus klassischem Geist (vier Kontrabässe), nicht als Big-Mac-Ladung.
Dass es an wenigen Stellen klapperte, war angesichts der Entfernung, die manche Musiker (Hörner!) auf dem Podium einhalten müssen, unvermeidlich. Das Publikum bedankte sich trotzdem herzlich, und zwar digital mit 201 Likes. Vom Autor dieser Zeilen kommt eines hinzu.
Info Unter www.tonhalle.de ist der Livestream weiterhin zu sehen.