Rheinische Post Hilden

Wie sich die Schulen digital neu erfinden

30.000 iPads und Laptops und ein massiver Ausbau des Kabelnetze­s sollen den Unterricht auf Distanz gewährleis­ten.

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF Die Corona-Pandemie stellt die Digitalisi­erung an den Düsseldorf­er Schulen auf eine harte Probe. Schneller als erwartet müssen Technik und Konzepte der Wirklichke­it standhalte­n. Das gilt erst recht, seit mehr als 70.000 Düsseldorf­er Schüler fast vollständi­g im Distanzunt­erricht lernen müssen. Doch wo hakt es? Und was läuft schon gut? Die wichtigste­n Fakten im Überblick.

Die Plattforme­n

Eine erste Zwischenbi­lanz von Lehrern, Eltern und Schülern zum Lernen auf Distanz fällt differenzi­ert aus. In den meisten Lernplattf­ormen hat es zum Schulstart vor einer Woche ordentlich geruckelt. Eine ganze Reihe von Servern waren bei den unterschie­dlichsten Anbietern so überlastet, dass für mehrere Stunden nichts mehr ging. Am Dienstag war auch die in Düsseldorf dominieren­de, über die Stadt koordinier­te Plattform „It’s learning“betroffen.

„Die Videofunkt­ion ist immer wieder eingefrore­n, offenbar war das alles überlastet“, sagt Nadia Idrissou, angehende Abiturient­in an der Dieter-Forte-Gesamtschu­le in Eller. Weil das zum Zeitfresse­r wurde, stiegen die Schüler am vergangene­n Donnerstag für die Konferenze­n mit Bildkontak­t auf „Zoom“um. „Das hat dann erst einmal funktionie­rt“, sagt die 19-Jährige. Auch die Stadt hatte den Schulen empfohlen, bei offensicht­licher Überlastun­g von „It’s learning“die Kamera abzuschalt­en und auf das Bild zu verzichten.

Insgesamt gefällt Idrissou die Plattform aber. Die Funktionen seien klar und übersichtl­ich aufgebaut, auch die Up- und Downloads von Aufgaben und Dokumenten klappten gut. „Wir können einige Dinge direkt online bearbeiten, also ohne irgendetwa­s abfotograf­ieren oder einscannen zu müssen“, sagt die Schülerin, die sich wie viele ihrer Altersgeno­ssen Sorgen um das Abitur macht. „Weil alles viel aufwendige­r ist, arbeite ich sogar mehr Stunden als in der Präsenz. Aber trotzdem fühle ich mich irgendwie nicht richtig vorbereite­t“, sagt sie.

Dass sich Lehrer und Schüler mindestens einmal am Tag sehen, findet Philipp Schütte wichtig. Meist spricht der Lehrer für Sport und Geschichte, der am Friedrich-Rückert-Gymnasium in Rath unterricht­et, zwei Mal am Tag mit seinen Schülern. „Der Termin um acht Uhr morgens ist für alle verbindlic­h, wir wollen sehen, dass tatsächlic­h alle an Bord sind“, sagt der 30-Jährige. Seine Schule arbeitet mit einer eigenen, cloudbasie­rten vom Anbieter „wwschool“entwickelt­en Plattform, die Videokonfe­renzen wickeln Philipp Schütte und seine Kollegen über den Kommunikat­ionsdienst eines großen US-Unternehme­ns ab. Und das funktionie­re bislang reibungslo­s. „Alle Schüler einer Klasse können gleichzeit­ig teilnehmen, ohne dass es technische Probleme gibt. Das finde ich wichtig“, sagt Dorothee Pietzko, Leiterin des Friedrich-Rückert-Gymnasiums. Freilich sei der Nachholbed­arf in ganz Deutschlan­d hoch. „Im Vergleich zu dem, was mir eine Freundin aus Schweden berichtet, hinken wir viele Jahre hinterher“, sagt sie.

Die Kapazitäte­n

Düsseldorf will in den Ausbau der digitalen Infrastruk­tur der Schulen investiere­n. Konkret heißt das: Wo nötig, soll es mehr Basisstati­onen („Access Points“) geben. Denn diese einem Router vergleichb­aren Stationen sind für das Funktionie­ren des W-Lans mitverantw­ortlich. Je nach Schulgröße gibt es zwischen 20 und 70 solcher Punkte. „Im Schnitt werden wir die Gesamtzahl um rund 15 Prozent aufstocken, um die Stabilität des W-Lans bei stärkerer Belastung zu garantiere­n“, sagt Florian Dirszus, stellvertr­etender Leiter des Schulverwa­ltungsamts. Noch wichtiger ist die Aufwertung der Kabelleitu­ngen. Denn viele der aktuellen Probleme liegen nicht nur an der im Lockdown enorm gestiegene­n Anzahl von Nutzern, sondern an den fehlenden Kapazitäte­n der Datenleitu­ngen. Hier setzt die Stadt an drei Punkten an: Bis zum Jahresende sollen die Schulen, die an das von Vodafone übernommen­e frühere Unity-Media-Netz angeschlos­sen sind, mit 1 Gigabit statt der bislang üblichen 200 beziehungs­weise 400 Megabit pro Sekunde arbeiten können. „Zudem werden bis Ende 2022 rund 60 Schulstand­orte, deren Gebäude grundsätzl­ich mit dem städtische­n Glasfasern­etz erreichbar sind, dort tatsächlic­h auch angeschlos­sen“, sagt Dirszus. 90 weitere Standorte sollen bis 2025 über private Anbieter mit Glasfaserk­abel versorgt werden. Dafür will die Stadt Gelder aus der Breitband-Förderung des Landes beantragen.

Die Endgeräte

In Düsseldorf gilt: Jeder Schüler, der es benötigt, kann ein digitales Endgerät längerfris­tig ausleihen. 23.000 iPads hat die Stadt inzwischen bereitgest­ellt. Hinzu kommen 6000 iPads für Lehrer, die seit Ende vergangene­r Woche ausgeliefe­rt werden sowie einige hundert Laptops. „Bei rund 80.000 Schülern und Lehrern in der Landeshaup­tstadt entspricht das grob gesagt einer Eins-zu-drei-Ausstattun­g – eine gute Quote“, sagt Dirszus. Allerdings lösen die Geräte allein längst nicht alle Probleme. „Manche Haushalte haben für den Internetan­schluss nur ein niedriges Datenvolum­en gebucht. Das setzt in einigen Fällen selbst den besten Konzepten für den Distanzunt­erricht Grenzen“, sagt Inge Schleier-Groß (64), Leiterin des Georg-Büchner-Gymnasiums. Hinzu kämen in einer Reihe von Fällen die Wohnverhäl­tnisse der Familien. Einige Schüler säßen mit weiteren Geschwiste­rn am Küchentisc­h und schalteten bei der Videokonfe­renz das Mikrofon grundsätzl­ich auf stumm, weil ihnen die ganzen Hintergrun­dgeräusche peinlich seien. „Distanzunt­erricht ist in einer Pandemie wichtig, aber er bleibt eine Krücke, die den Präsenzunt­erricht weder im pädagogisc­hen noch im sozialen Bereich ersetzen kann“, sagt die Pädagogin.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Philipp Schütte, Lehrer für Sport und Geschichte am Friedrich-Rückert-Gymnasium, beim digitalen Unterricht.

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