Eine Bar für Richard Wagner
Heike Scheele ist eine international gefragte Kostüm- und Bühnenbildnerin. Sie gilt als eine der profiliertesten Künstlerinnen ihres Fachs. Wie wurde sie, wer sie heute ist? Ein Porträt.
DÜSSELDORF Es ist still im Opernhaus. Kein Mensch auf der großen Bühne, wo sonst reges Leben herrscht. Zu normalen Zeiten würden jetzt Kulissen für die abendliche Vorstellung aufgebaut, Requisiten in Position geschoben. Gerade passiert dort gar nichts. Heike Scheele nimmt Platz an der acht Meter langen Bar, die sie für den dritten Akt von „Tristan und Isolde“entworfen hat. Die Premiere im Dezember musste verschoben werden, auf ein noch unbestimmtes Datum.
Der Tresen mit Flaschen und Gläsern erinnert an den Gruselfilm „Shining“. Nicht ohne Absicht, verrät die Bühnenbildnerin, „auch mit dem Licht von unten“. Später wird es dahinter einen Vorhang aus transparentem Schleiernessel geben. „Er trennt zwei Welten, die reale vor der Bar und die imaginäre auf der Empore“, erklärt Heike Scheele. Etwas abseits lagern Möbelstücke für die Wagner-Oper. Die daneben drapierten Gewänder im Stil der griechischen Mythologie und Isoldes schwerer Königsmantel stammen nicht von Heike Scheele, obwohl sie als Kostüm- und Bühnenbildnerin häufig beides verantwortet. Wie zuvor bei „Masel tov!“in Düsseldorf und „Romeo und Julia“in Duisburg, zwei Premieren, die zu Spielzeitbeginn vor stark reduziertem Publikum noch stattfanden. Bei „Masel tov!“bediente sie sich aus dem riesigen Kostümfundus des Hauses und stattete die Bühne üppig und naturalistisch aus. „In dieser Fülle hat man das nicht so oft“, sagt sie. „Das war schön.“Und mit wie viel Wonne hatte sie an den Kostümen für die erste Uraufführung von Demis Volpi gearbeitet. Doch dann: ausgebremst, auch hier. Kein Wagner, kein Ballett. „Der radikale Schnitt raubt einem viel Energie“, sagt sie „Wir hangeln uns durch, im Prinzip ist alles fertig. Da muss man versuchen, mit guter Laune nachzufüttern und sich nicht unterkriegen zu lassen. Wir dürfen uns nicht überflüssig machen.“
Heike Scheele ist als eine der profiliertesten Künstlerinnen ihres Fachs auch international gefragt, sie arbeitete in Schweden, Norwegen, der Schweiz und Österreich. Bemerkenswert ist ihre jahrzehntelange Verbundenheit mit Regisseur Stefan Herheim, etwa bei den Wagner-Opern „Lohengrin“in Berlin und „Tannhäuser“in Oslo. Ihr gemeinsamer „Parsifal“in Bayreuth war die fruchtbarste Allianz, dafür wurde Heike Scheele 2009 von der Fachzeitschrift „Opernwelt“als Bühnenbildnerin des Jahres ausgezeichnet und für den Theaterpreis „Faust“nominiert. Solche Kontinuitäten, die es auch mit anderen Regisseuren gibt, schätzt sie sehr, „man muss nicht mehr viel erklären“.
Woraus entwickelt sie ihre Ideen? „Den Begriff Idee mag ich nicht so gerne“, antwortet sie. „Es ist eher eine Abfolge von Arbeitsschritten, in die Regie, Dramaturgie, Kostümund Bühnenbild eingebunden sind. Ein Findungsprozess, jeder nähert sich aus seiner Richtung. Manchmal sitzt man zusammen und hat schon nach zwei Stunden einen Weg gefunden.“Der konkrete Raumvorschlag forme sich langsamer heraus, „zunächst brauche ich ein Gefühl dafür, was der Regisseur will.“
Eine Oper mit allen Hintergründen zu durchleuchten, sei für ihre Arbeit nicht zwingend notwendig, glaubt sie. Hat sich mit den Jahren dennoch ihr Blick verändert, etwa auf Wagners Musik? „Ich bin tiefer eingedrungen“, bestätigt Heike Scheele. Den preisgekrönten „Parsifal“
empfand auch sie als epochal. Es sind jedoch nicht allein die schweren Kaliber, mit denen sie sich abgibt. Mit derselben Lust entwarf Heike Scheele Bühnenbilder fürs Sprechtheater, für Operetten, für das Open-Air-Musical „Titanic“auf dem Domplatz in Magdeburg. Was reizt sie mehr, Opulenz oder Minimalismus? „Ich kann beides“, sagt Heike Scheele. „Am liebsten baue ich mit alten Theatermitteln, um möglichst alle Gewerke zu beteiligen.“
Die Künstlerin lebt dort, wo sie geboren wurde: in einer Kleinstadt zwischen Hamburg und Hannover. Wo ihre Oma ein Kino hatte, das der Vater übernahm und das heute von
ihrem Bruder geführt wird. „Durch das Tourneetheater, das früher bei uns gastierte, hatte ich als Kind das Glück, wunderbare Schauspieler wie Hilde Krahl, Ellen Schwiers und Karlheinz Böhm zu erleben“, berichtet sie. „Sooft es ging, schlich ich mich hinter die Kulissen.“Im Kino sah sie alles, was lief, „auch Filme, für die ich viel zu jung war“.
Eine Berufsleidenschaft verspürte Heike Scheele zunächst nicht. Sie entflammte erst, als sie erfuhr, man könne Bühnenbild studieren. In Wien erkannte man ihr Talent und ihren Fleiß und schickte die Elevin umgehend als Assistentin zu Heiner Müller nach Bochum. Ihre spätere „Ochsentour“führte sie öfter nach Moers, wo Gabriele Gysi, eine Freundin, viel inszenierte. Und für „Xerxes“(Regie Herheim) 2013 erstmals auch nach Düsseldorf. 2020 festigte sich Heike Scheeles Zusammenarbeit mit der Rheinoper. Das freut sie. „Ich mag die Gegend, die vielen Museen, die enorme Flexibilität der Menschen“, sagt die Künstlerin.