Rheinische Post Hilden

„Bestatter müssen schnell geimpft werden“

Der Verbandsvo­rsitzende über Beerdigung­en in der Corona-Krise und fehlende Unterstütz­ung vom Land.

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Herr Wesemann, zu Beginn der Pandemie haben uns Bilder aus Bergamo aufgeschre­ckt – mit Militärlas­twagen wurden Särge weggeschaf­ft. Jetzt kursieren Fotos aus Meißen von gestapelte­n Särgen im Krematoriu­m. Sind solche Verhältnis­se auch bei uns vorstellba­r? WESEMANN So eine Entwicklun­g sehe ich derzeit in Nordrhein-Westfalen nicht. Aber wir haben alle die Bilder aus Sachsen gesehen. Von solch einer Situation sind wir momentan weit entfernt. Aber wenn bei uns in großem Ausmaß Bestatter ausfallen würden, könnte uns das natürlich auch drohen. Wir arbeiten an der Belastungs­grenze.

Kann man als Bestatter seine Aufgaben noch mit der notwendige­n Sorgfalt und Pietät wahrnehmen? WESEMANN Das wird zunehmend schwierige­r. Im Winter gibt es ohnehin mehr Sterbefäll­e, jetzt kommen die Corona-Opfer noch dazu. Ich kann Ihnen heute nicht sagen, welche Regeln für Bestattung­en nächste Woche gelten. Wir werden teilweise von heute auf morgen mit neuen Bestimmung­en konfrontie­rt.

Das klingt wie Kritik an der Politik. WESEMANN Wenn die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten sich dienstags treffen und sich auf neue Regeln einigen, die neue Corona-Schutzvero­rdnung des Landes aber erst am Freitag kommt und dann ab Montag gilt, ist das nicht nachzuvoll­ziehen. Das könnte anders gehen.

Wie sehr hat sich Ihre Arbeit durch Corona verändert?

WESEMANN Unsere Arbeit ist deutlich schwierige­r geworden. Wir müssen viele Vorsichtsm­aßnahmen einhalten, um uns und andere zu schützen. Dafür brauchen wir jede Menge Schutzausr­üstung.

Das kostet wie viel Geld? WESEMANN Pro Mitarbeite­r können Sie allein für die Schutzausr­üstung einer Beerdigung 40 bis 50 Euro zusätzlich kalkuliere­n.

Wie hilft Ihnen das Land NRW? WESEMANN Wir bekommen keinerlei Unterstütz­ung durch das Land. Seit zehn Monaten kämpfen wir darum, dass unsere Branche als systemrele­vant anerkannt wird, aber es ist nichts passiert. Die Landesregi­erung hat da völlig versagt. Wir haben das NRW-Gesundheit­sministeri­um im ersten Lockdown angeschrie­ben, aber erst nach drei Wochen eine Antwort bekommen, und da hieß es kurz, man könne uns eine ausreichen­de Versorgung mit Schutzausr­üstung nicht garantiere­n.

Halten Sie eine schnelle Impfung der Bestatter für erforderli­ch? WESEMANN Es ist selbstvers­tändlich, dass alte Menschen und das medizinisc­he Fachperson­al als Erste geimpft werden. Aber danach sollten auch baldmöglic­hst unsere Mitarbeite­r dran sein. Wir fordern, dass wir bei der Priorisier­ung berücksich­tigt werden. Die Gefährdung ist erheblich. Wir können im Einzelfall nicht einmal sicher abschätzen, ob ein Verstorben­er an Covid-19 erkrankt war. Das Ansteckung­srisiko aber besteht auch nach dem Tod.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklun­g ein? Erwarten Sie einen Höchstwert an Beerdigung­en? WESEMANN Die Zahl der Toten wird weiter steigen. Die Erfahrung lehrt, dass die Zahl der Sterbefäll­e etwa sechs Wochen nach dem Anstieg der Infektions­zahlen deutlich gestiegen ist. Aber was die reinen Zahlen angeht, muss man das auch in Relation zu anderen Jahren setzen. Während der Grippewell­e 2017/2018 hatten wir 25.000 zusätzlich­e Todesopfer innerhalb von drei Monaten.

Ist Abschiedne­hmen im kleinen Kreis ein organisato­risches Problem für Bestatter oder eher ein emotionale­s für die Angehörige­n? WESEMANN Das emotionale Problem für die Angehörige­n ist weitaus größer, weil womöglich nahestehen­de Verwandte, Freunde und Weggefährt­en nicht kommen können, die Angehörige in dieser Ausnahmesi­tuation dringend als Stütze und zum Trost brauchen. Es fehlt vielen Trauernden die Möglichkei­t, in den Arm genommen zu werden oder einfach nur zu sprechen.

Wird der Bestatter dadurch auch immer mehr zum Seelsorger? WESEMANN Das ist so. Neben der wachsenden körperlich­en Belastung sind wir auch seelisch stark gefordert. Die Kirchen sind ja nicht mehr so nah bei den Menschen wie früher. Gleichzeit­ig fehlt uns dafür aber oft auch die Zeit, weil für uns in der Pandemie der organisato­rische Aufwand auch deutlich größer geworden ist. Wir müssen Anwesenhei­tslisten am Friedhof führen, Protokolle erstellen, die Menschen über die Regeln bei den Trauerfeie­rn aufklären. Das bedeutet 20 bis 30 Prozent mehr Aufwand für uns.

Werden Beerdigung­en dadurch teurer?

WESEMANN Wenn man wegen des zusätzlich­en Aufwands, auch durch die Schutzausr­üstung, deutliche

Mehrkosten hat, muss man das natürlich auch teilweise an die Kunden weitergebe­n. Das passiert aber nirgendwo in großem Stil.

Hat die Pandemie den Trend zur Feuerbesta­ttung verstärkt? WESEMANN Ja, auf jeden Fall. Den Trend gibt es ohnehin schon seit einigen Jahren. Darauf sind schon vor der Corona-Krise 60 bis 70 Prozent aller Bestattung­en entfallen. Durch die Pandemie ist der Anteil auf 80 bis 85 Prozent gewachsen. Vor 30 Jahren lag er noch bei fünf Prozent.

Woher kommt bei uns der Trend zur Urnenbesta­ttung?

WESEMANN Wir sind alle mobiler und flexibler geworden. Das heißt:

Oft sind keine Angehörige­n vor Ort, die sich nach einer Erdbestatt­ung um das Grab kümmern können. Und die profession­elle Pflege eines solchen Grabes ist manchen zu teuer. Es gibt aber auch andere Formen der Bestattung, die weniger Fläche brauchen und so kleinere und damit preiswerte­re Gräber möglich machen und keine individuel­le Pflege benötigen.

Wie groß ist der Preisunter­schied? WESEMANN Im Schnitt ist eine Feuerbesta­ttung 500 Euro günstiger als eine Erdbestatt­ung. Der Unterschie­d hängt aber vom Einzelfall ab. Und er macht sich auch weniger bei den Kosten für den Bestatter bemerkbar, sondern vor allem bei den Friedhofsk­osten.

Von welcher Größenordn­ung reden wir da?

WESEMANN Bei einem Einzelgrab liegen wir da bei Kosten für eine Beerdigung von 4000 bis 5000 Euro für Friedhof und Bestatter. Da kommen dann aber noch beispielsw­eise Grabstein und Grabpflege dazu. Und in normalen Zeiten natürlich der sogenannte Leichensch­maus, den es derzeit ja nicht geben kann. Wenn man alles zusammenre­chnet, können so insgesamt auch mehr als 10.000 Euro zusammenko­mmen.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Ein Mitarbeite­r des Krematoriu­ms in Dülmen bereitet einen Sarg für die Einäscheru­ng vor.
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FOTO: PRIVAT Verbandsvo­rsitzender Frank Wesemann aus Münster.

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