Rheinische Post Hilden

Corona-Bildungslü­cken kosten bares Geld

Abitur- und Abschlussp­rüfungen sollen 2021 stattfinde­n. Aber Forscher fordern Extra-Betreuung für ärmere Schüler.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Das Abitur und alle anderen Abschlussp­rüfungen sollen in diesem Jahr wie derzeit geplant stattfinde­n. Es bleibe das Ziel der Landesregi­erung und aller Bundesländ­er, den Schülern am Ende ihrer Schulzeit „vollwertig­e Abschlüsse auf der Basis von Prüfungen zu ermögliche­n, die ohne Abstriche in ganz Deutschlan­d anerkannt werden“, sagte NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) nach einer Videoschal­te der Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK). Das gelte sowohl für das Abitur als auch die mittleren Schulabsch­lüsse. Grundsätzl­ich sollen die Prüfungen auch in geschlosse­nen Schulen möglich sein.

Beim Abitur sollen die Länder sich auch weiterhin aus dem zentralen Aufgabenpo­ol für das Abitur bedienen, „wenn dem nicht zwingende Gründe entgegenst­ehen“, wie es in dem KMK-Beschluss heißt. Mündliche Prüfungen sollen in diesem Jahr notfalls per Video stattfinde­n. In NRW kann im Distanzunt­erricht überdies ab sofort ein Videokonfe­renztool eingesetzt werden, das an die Landesplat­tform Logineo angebunden ist. Sie bietet Lehrerinne­n und Lehrern die Möglichkei­t, ihre Schüler zu Videokonfe­renzen einzuladen. Auch Bildschirm­präsentati­onen können über diese Funktion geteilt werden.

Den KMK-Beschluss müssen die Bildungsmi­nister nun noch für ihr eigenes Bundesland konkretisi­eren. Das gilt auch für die Frage des Sitzenblei­bens. Hier hat sich die KMK darauf geeinigt, dass Kinder und Jugendlich­e freiwillig ein Schuljahr wiederhole­n können, ohne dass es ihnen als Sitzenblei­ben angerechne­t wird, auch in der gymnasiale­n Oberstufe.

Ob diese Regelung in NRW so übernommen wird, ist allerdings noch offen: „Fragen zu Versetzung­sentscheid­ungen und weiteren Aspekten, die den Unterricht oder das Schuljahre­sende betreffen, werden sehr zeitnah entschiede­n und veröffentl­icht“, hieß es aus dem Schulminis­terium auf Nachfrage.

Nach der Verlängeru­ng der Schulschli­eßungen bis zum 14. Februar warnen Bildungsfo­rscher insbesonde­re vor den Folgen für ärmere Kinder. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung rät, neben Grundschül­ern und Abschlussk­lassen auch sozial benachteil­igte Kinder vorrangig in die Schulen zurückkehr­en zu lassen, sobald es die Infektions­lage zulässt. Auf wen dies zutreffe, könnten die Schulen vor Ort am besten entscheide­n. In der Phase des Distanzler­nens müssten Kinder aus ärmeren Familien zudem einen Ansprechpa­rtner haben, der sie möglichst täglich kontaktier­e. Noch besser wäre es, so die Forscher,

wenn diese Kinder in festen Kleingrupp­en in Räumen außerhalb der Schule betreut werden könnten.

Auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) warnte vor massiven Nachteilen für die Schulabgän­ger in diesem Jahr. „Der Lockdown und die Schulschli­eßungen treffen diejenigen Jugendlich­en besonders hart, die in diesem Sommer nach der Schule eine Ausbildung beginnen wollen“, sagte die DGB-Vizevorsit­zende Elke Hannack. Die Gefahr sei groß, dass gerade Jugendlich­e mit einem mittlerem Schulabsch­luss oder dem Hauptschul­abschluss zu den Verlierern der Corona-Krise würden.

So hat das Handwerk große Schwierigk­eiten, in der Pandemie an passende Bewerber zu kommen. „Im Herbst 2020 kamen die jungen Leute

und die Betriebe gar nicht mehr zusammen“, sagte Handwerksp­räsident Andreas Ehlert bei einer Veranstalt­ung mit der NRW-Schulminis­terin. Der Dachdecker­verband etwa klagte, dass vor allem lernschwac­he Schüler große Lücken hätten. Gebauer sagte, es gebe Empfehlung­en eigens für diese Schüler. Ihrem Krisenmana­gement insgesamt erteilte sie die Note 2 minus.

Der Schaden ist für einzelne Schüler wie für die gesamte Volkswirts­chaft groß: Sollten die Schulen bis Ende Februar geschlosse­n bleiben, müsse mit einem Verlust beim Lebenseink­ommen der Schüler von 4,5 Prozent gerechnet werden, sagte der Bildungsök­onom des Ifo-Instituts, Ludger Wößmann, dem „Handelsbla­tt“. Nichts sei in der Bildungsök­onomie so gut dokumentie­rt wie der Zusammenha­ng von Bildung und Einkommen. „Auf die Volkswirts­chaft hochgerech­net würde sich als Folge von 18 Wochen Schulausfa­ll – zwölf Wochen im Frühjahr 2020 und weitere sechs jetzt – ein Verlust von 3,3 Billionen Euro bis zum Ende des Jahrhunder­ts ergeben“, warnte Wößmann.

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FOTO: DPA Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) hat an einer Videoschal­te der Kultusmini­sterkonfer­enz teilgenomm­en.

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