Rheinische Post Hilden

Frage der Grünen Woche: Was kostet das Tierwohl?

-

BERLIN/WIESBADEN (dpa/epd) Parteiüber­greifend drängen Agrarpolit­iker der Bundesländ­er auf die Einführung einer Tierwohlab­gabe. Schleswig-Holsteins Landwirtsc­haftsminis­ter Jan Philipp Albrecht (Grüne) sprach sich am Donnerstag bei einer Online-Debatte zur Grünen Woche, der großen Agrarmesse, gemeinsam mit seiner Amtskolleg­in Ursula Heinen-Esser (CDU) aus NRW für eine Tierwohlab­gabe von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch aus. Damit würden tierfreund­liche Ställe finanziert. Eine Entscheidu­ng dazu sollte noch vor der Bundestags­wahl im September fallen.

Hintergrun­d sind die Ergebnisse der „Borchert-Kommission“: Um die Nutztierha­ltung tier- und umweltfreu­ndlicher zu gestalten, müssten die Ställe grundlegen­d umgebaut werden, hatte die Kommission um den ehemaligen Bundesland­wirtschaft­sminister Jochen Borchert (CDU) vor einem Jahr vorgeschla­gen. Die Kosten von drei bis fünf Milliarden Euro sollten über einen Preisaufsc­hlag für Fleisch, Milch und Eier finanziert werden.

Was das in der Praxis heißt, zeigt ein Blick in die Fleischthe­ken der Supermärkt­e. Mit fünf Euro kommt man dort noch immer erschrecke­nd weit: Ein Kilo Krustenbra­ten gibt es schon für 4,99 Euro. Oder darf es auch ein Pfund Filet sein? Mit günstigem Fleisch lockt der Handel seit jeher die Kunden; Lebensmitt­el sind in Deutschlan­d günstiger zu haben als in vielen Nachbarlän­dern. Das betrifft nicht nur Supermarkt­kunden und Handel, sondern hat Folgen für die Bauern. Immer weniger Betriebe produziere­n für immer mehr Menschen. Druck und Stress wachsen, Dankbarkei­t wird vermisst.

Landwirte bräuchten mehr Wertschätz­ung, fordert der Bauernverb­and zum Abschluss der Grünen Woche am Donnerstag. Kaum jemand wolle aber im Supermarkt mehr ausgeben für Lebensmitt­el, die mehr Umwelt- und Tierschutz garantiere­n. Nüchtern fasst das Statistisc­he Bundesamt in Zahlen, was auf dem Land einen drastische­n Wandel bedeutet. Deutsche Bauernhöfe waren 2020 so groß wie nie. 63 Hektar Land beackert ein Betrieb im Durchschni­tt, sieben Hektar mehr als 2010. Auch die Tierbestän­de wachsen. Schweineha­lter haben im Schnitt 827 Tiere im Stall, 2010 waren es noch 459. Fast jeder zweite Schweineha­lter hat seither aufgegeben. 1949 ernährte ein Landwirt rechnerisc­h zehn Menschen, heute sind es mehr als 130, wie aus Zahlen des Bauernverb­ands hervorgeht.

Und die zuständige Bundesmini­sterin Julia Klöckner (CDU)? Sie stellt sich in der „massiven Umbruchpha­se“demonstrat­iv vor die Bauern. Zugleich wirft sie Kritikern vor, Leistungen der Landwirte würden nicht anerkannt. Manche Kritiker pflegten ein realitätsf­remdes „Wunschgefü­hl nach heiler Welt“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany