Das sind die Typen der Hinrunde
Viel Zeit zum gemütlichen Bilanzieren der Hinrunde bleibt nicht. Ein Tag ist es nur, denn am Freitag geht es ja schon weiter in der Fußball-Bundesliga mit dem Spiel der Borussias aus Mönchengladbach und Dortmund, einem echten Spitzenspiel. Hier kommt aber trotzdem eine ganz persönliche Hitliste der Hinrunde 20/21.
Manager der Hinrunde: Sven Mislintat.
Mit den Augen ist das so eine Sache, mit blauen Augen vor allem. Annette Humpe schrieb in den 1980ern für die Popgruppe „Ideal“ein Lied über die Faszination von blauen Augen, der Schauspieler Terence Hill betörte Millionen mit seinem Blick von der Leinwand. Sven Mislintat setzt seine blauen Augen bei der Suche nach Talenten ein. Er macht das mit derart beeindruckendem Erfolg, dass sie ihn in der Branche „Diamantenauge“nennen. Dortmund verschaffte er so einst als Chefscout Shinji Kagawa, Robert Lewandowski und Ousmane Dembélé. Und nun ist er in Stuttgart der Mann hinter einer Mannschaft, die mit ihrem Tempo und ihrer fußballerischen Frische die Liga aufmischt – selbst bei Niederlagen wie in Bielefeld. Das Scheinwerferlicht sucht Mislintat nicht. Und er sieht mit 48 Jahren und seiner blonden Beachboy-Mähne immer noch so aus, als habe er sein Surfboard nur kurz vor dem Stadion abgestellt. Wie ein Herr Direktor wirkt er jedenfalls nicht, obwohl er ja einer ist, Sportdirektor nämlich. Trotz all der jugendlichen Raketen, die da gerade für den VfB auf dem Feld zünden wie Silas Wamangituka, den er in der zweiten französischen Liga entdeckte, ist Mislintat mit ziemlicher Sicherheit die wichtigste Stuttgarter Verpflichtung
der jüngeren Vergangenheit. Sein Grundsatz: „Du musst mutig sein.“Hört sich ganz einfach an.
Ist es aber nicht.
Trainer der Hinrunde: Urs Fischer.
Union Berlin ist im zweiten Jahr Erstligist. Das ist schon mal eine ausgewachsene Sensation. Noch irrer aber ist die Tatsache, dass der Außenseiter aus Köpenick ganz ernsthaft im Kampf um die Plätze mitmischt, die im Sommer in den internationalen Fußball führen. Zu verdanken hat er das in nicht unerheblichem Maß seinem Trainer, einem freundlichen, zurückhaltenden Herrn mit grauem Bürstenschnitt und unüberhörbarem Schweizer Akzent. Urs Fischer (54) passt nach Köpenick wie die weltberühmte Geschichte des Schusters Voigt, der als falscher Hauptmann die preußische Obrigkeit an der Nase herumführte. Fischer ärgert die Bundesliga-Prominenz. Bayern und Mönchengladbach kamen über 1:1-Unentschieden nicht hinaus, Dortmund (1:2) und Leverkusen (0:1) verloren gegen die Eisernen, nur Leipzig gewann mit 1:0. Fischers System beruht auf der alten Weisheit, das eine sichere Defensive Grundlage aller fußballerischen Erfolge ist, und dass Ordnung auf dem Feld herrschen muss. „Es braucht Ordnung“, sagt der Trainer, „sonst kann die Gefahr bestehen, dass es wild wird.“Das mag er nicht. Lieber impft er seiner Elf die Kleinigkeiten ein, die im Fußball die größten Folgen haben: Funktionierende
Abläufe, Standards und die vielzitierten Laufwege. Von den Erfolgen lässt er sich nicht blenden. Denn: „Thema ist der Klassenerhalt.“
Spieler der Hinrunde: Manuel Neuer.
Als die Bayern vor acht Jahren Meister wurden, da hatten sie am Ende der Saison bescheidene 18 Gegentreffer kassiert. 2021 könnten die Münchner im Sommer wieder ganz oben stehen, aber die Gegentorquote wird völlig anders aussehen. Schon jetzt bewegt sich der Rekordtitelträger locker auf die 30 zu. Und es könnten weit mehr sein, weil die Bayern-Abwehr voller Großmut zur Wohlfühlzone konternder Gegner geworden ist. Dass die Gegner der Münchner ihre verblüffende Beinfreiheit nicht in viel mehr Torjubel umsetzen konnten, liegt an Manuel Neuer (34). Der Welttorhüter verhinderte mit Paraden, die nur ein Welttorhüter bringt, reihenweise Einschläge in sein Tor. Und er fuhr den rechten Arm nicht allein zum wilden Reklamieren sehr erfolgreich aus. Auf längere Sicht wird er ihn allerdings lieber wieder als Reklamierarm einsetzen. Denn derartige Gegentorfluten sind für Neuer eine persönliche Beleidigung. Deshalb brüllt er in letzter Zeit auch häufig reichlich verzweifelt herum. Trotz des entgegenkommenden Abwehrverhaltens der ganzen Mannschaft stehen die Bayern nach 17 Spielen wieder an der Tabellenspitze. Das liegt an Neuer, an der ungeheuerlichen Torquote von Robert Lewandowski und an der Konkurrenz, die in so einer Situation längst einmal hätte vorbeiziehen müssen.
Aber das ist eine andere Geschichte.