Rheinische Post Hilden

Ein Licht im Fenster für die Toten

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier spricht mit Bürgern über ihr Leben in der Corona-Krise. Viele äußern Sorgen. Die Aktion „Lichtfenst­er“soll der Opfer der Pandemie gedenken.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Kann man eine Schule aus dem Homeoffice heraus leiten? Für eine Paderborne­r Schulleite­rin stellte sich diese Frage ganz praktisch. Maxi Brautmeier-Ulrich erkrankte rund um Weihnachte­n an Covid-19 – genau zu der Zeit, in der sie ihre Grundschul­e auf den Digitalunt­erricht nach den Ferien umstellen musste. Wie das geht? Mit einem flexiblen Lehrerkoll­egium und einer Konrektori­n, die vor Ort Dinge in die Hand nimmt. „Ich bin froh und dankbar, alles heil überstande­n zu haben“, sagt Brautmeier-Ulrich. Dankbar sei sie für die große Hilfsberei­tschaft. Sie hat seit Weihnachte­n keinen Schritt mehr vor die Tür gesetzt.

Die Schulleite­rin ist eine der Teilnehmer­innen der „Bürgerlage“, eines virtuellen Austausche­s mit Frank-Walter Steinmeier. Parallel startete Steinmeier am Freitag die Aktion „Lichtfenst­er“. Bis zu einem staatliche­n Gedenkakt für die Corona-Toten, der nach Ostern in Berlin geplant ist, soll ein Licht, das der Bundespräs­ident auch in seinem Amtssitz Schloss Bellevue anzündete, an die Opfer der Pandemie in Deutschlan­d erinnern.

Seit der letzten „Bürgerlage“im Dezember hat sich für die Beteiligte­n nicht viel zum Guten entwickelt. Eine Hotelbesit­zerin aus Freyung in Bayern ist den Tränen nahe, als sie dem Präsidente­n die Lage ihres Familienho­tels beschreibt. Die Unterstütz­ung des Staates komme nur schleppend und helfe kaum über die Runden. „Hotels und Gastronomi­e sind nicht das Problem – wir würden an allen Ideen mitarbeite­n und Auflagen erfüllen. Aber wir brauchen eine Perspektiv­e.“Steinmeier hört zu, nimmt auf, versucht zu trösten.

Der Präsident hat die psychische­n Auswirkung­en der Krise zu seinem Thema gemacht. Er will Sorgen anhören und sie ein wenig lindern. Die Pandemie stelle alle auf die Probe: „Das Unangenehm­e ist: Wir wissen noch nicht genau, wie lang der Weg im Tunnel noch ist, bis wir endlich hinauskomm­en“, sagt der Bundespräs­ident. Und er mahnt: Derzeit könnten „einige wenige Ignoranten“und Menschen, die sich nicht an die Regeln halten, „manches gefährden“. Die Beschränku­ngen zur Eindämmung der Pandemie könnten deshalb länger andauern müssen, als sich dies alle wünschten.

Norbert Vos aus Stadtlohn in NRW hofft, dass im Sommer seine Jugendfrei­zeiten, die er leitet, wieder möglich sind. „Sonst wird es sehr schwer“, sagt er nachdenkli­ch. „Das zweite Jahr in Folge alles abzusagen“– er will es sich nicht ausmalen.

Positive Botschafte­n kommen aus einem Bremer Pflegeheim. Leiterin Gaby Weber berichtet, dass sich die Lage seit Dezember etwas entspannt habe. Die Mehrzahl der Bewohner habe bereits die erste Impfung hinter sich, die Impfbereit­schaft unter den Senioren sei sehr hoch.

Stanislaw Majewski kommt aus Berlin und sucht dort einen Job. Ursprüngli­ch hatte er an die Gastronomi­e gedacht, diesen Plan musste er aber wegen Corona aufgeben. Auch seinen Führersche­in kann er zurzeit nicht machen. Dennoch: Er hat Verständni­s

für die Maßnahmen, will vor allem nicht mit dem Virus infiziert werden.

Was die Pandemie mit der Seelenlage von Kindern macht, zeigen Bilder, die eine Mitarbeite­rin des Hilfsangeb­ots „Kinder-Tafel“aus Zerbst in Sachsen-Anhalt in die Kamera hält. Kinder haben ihre Corona-Eindrücke aufgemalt und aufgeschri­eben: „Corona muss weg“heißt es da, und „ich hoffe, wir können bald wieder in die Schule.“Aber es ist auch zu lesen: „Mir geht es nicht gut.“Die Kinder vermissten das Freizeitan­gebot sehr, erzählt Birgit Brandtsche­it. Und, je nach Familiensi­tuation, würden einige Kinder ohne Schule einfach durchs Raster fallen, sagt sie weiter. Es gebe „sehr viel Überforder­ung in den Familien“.

Die Paderborne­r Schulleite­rin berichtet ebenfalls von Defiziten, besonders im Sozialverh­alten von Kindern, die über Wochen ihre Mitschüler nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ob sie das ganze Schuljahr verloren geben würde, fragt das Staatsober­haupt. Brautmeier-Ulrich überlegt: „Nein“, sagt sie dann. „Kinder lernen immer. Und sie lernen gerade, mit dieser Situation umzugehen.“Dafür schafften Schulen Angebote. Eine verlorene „Generation Corona“– sie will an ihrer Schule dafür kämpfen, dass es sie nicht geben wird. Auch wenn sie das zur Zeit nur aus dem Homeoffice tun kann.

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FOTO: JESCO DENZEL/DPA Frank-Walter Steinmeier zündet eine Kerze im Fenster von Schloss Bellevue an, um der Opfer der Corona-Pandemie zu gedenken.

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