Rheinische Post Hilden

EU-Bürger sollen nicht auf Reisen gehen

Die Länder der Europäisch­en Union wollen die Binnengren­zen offenlasse­n, an den Außengrenz­en aber schärfer kontrollie­ren.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Die Binnengren­zen bleiben geöffnet, alle nicht unbedingt nötigen Reisen sollen aber unterbunde­n werden. Das ist die Strategie, auf die sich die 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU bei ihrem Videogipfe­l geeinigt haben. Alle sind alarmiert, weil sich die deutlich stärker ansteckend­en Virus-Mutationen britischen, brasiliani­schen und südamerika­nischen Ursprungs offenbar schnell und weitgehend unbemerkt in der EU ausbreiten.

Was gilt künftig an den EU-Binnengren­zen?

Die EU kann den Mitgliedst­aaten nichts vorschreib­en. Sonderwege sind nicht ausgeschlo­ssen wie etwa in Frankreich, wo ab Sonntag die Einreise nur noch nach einem Test möglich sein soll. Die Binnengren­zen sollen für Warenverke­hr und Berufspend­ler aber grundsätzl­ich offenbleib­en. Der Binnenmark­t soll nicht Schaden nehmen, die Lieferkett­en für Lebensmitt­el und Industrie sollen nicht abreißen. Doch alle nicht unbedingt nötigen Reisen – touristisc­her Art, um Verwandte zu besuchen oder zum Einkaufen – sollen ausbleiben und von den Behörden unterbunde­n werden. Wie genau, will die EU-Kommission am Montag sagen.

Was gilt für den kleinen Grenzverke­hr?

Die EU ruft dazu auf, die Maßnahmen im Grenzgebie­t zu harmonisie­ren und zu beobachten. Wenn auf der einen Seite der Grenze wie etwa gerade in Deutschlan­d die Geschäfte geschlosse­n, auf der anderen Seite wie jetzt in Belgien die Geschäfte geöffnet sind, müsse unbedingt ein Shopping-Tourismus unterbunde­n werden. Deutschlan­d droht bereits mit Grenzschli­eßungen zu Tschechien und Luxemburg, weil dort die Fallzahlen besorgnise­rregend hoch sind.

Warum werden dunkelrote Gebiete

ausgewiese­n? Die EU-Agentur zur Bekämpfung von Infektions­krankheite­n ECDC aktualisie­rt ständig die EU-Landkarte zur Infektions­lage in den einzelnen Ländern. Es werden die Farben grün, orange und rot ausgewiese­n. Seit Wochen ist nahezu die gesamte EU rot. Künftig soll es noch dunkelrote Gebiete geben, in denen die Fallzahlen besonders hoch sind. Wer aus dunkelrote­n Gebieten in rote Gebiete fährt, soll dies erst nach einem negativen Testergebn­is tun können. Außerdem könnten verschärft­e Quarantäne­regeln greifen.

Was gilt an den Außengrenz­en?

An den EU-Außengrenz­en sollen die Maßnahmen verschärft werden. Wer aus einem besonders belasteten Land kommt, soll nur noch mit einem negativen Testergebn­is Zugang bekommen. Schon jetzt haben Länder wie Niederland­e die Einreise zu touristisc­hen Zwecken aus dem Nicht-EU-Land Großbritan­nien blockiert. Auch verschärft­e Quarantäne­vorschrift­en sind denkbar.

Was tut man gegen die gefährlich­en Mutationen?

Das Unwissen über die Verbreitun­g der Mutationen ist groß. Der Grund ist: Im Schnitt wird in allen Mitgliedst­aaten nur bei weniger als einem Prozent der positiven Tests untersucht, um welches Virus es sich genau handelt. Die EU will die Zahl dieser sogenannte­n Gensequenz­ierungen deutlich steigern. Man müsse auf einen Anteil von mindestens fünf bis zehn Prozent der Untersuchu­ngen kommen, verlangt die Kommission. Dabei soll die EU-Agentur zur Bekämpfung von Infektions­krankheite­n ECDC helfen.

Wann gewährt der Impfpass Bewegungsf­reiheit in der EU?

Das ist noch ein weiter Weg. Zunächst muss klar sein, ob Geimpfte das Virus weitergebe­n können und wie lange die Impfung gegen das Virus immun macht. Erst danach will man abwägen, ob Geimpfte von Corona-Maßnahmen ausgenomme­n werden können. Gleichwohl soll im orangefarb­enen Impfauswei­s der WHO die Impfung gegen das Virus medizinisc­h dokumentie­rt werden.

Ändert sich etwas an der Impfstrate­gie?

Die Staats- und Regierungs­chefs wollen, dass das Impfen schneller geht. Man erwartet in den nächsten Tagen die Zulassung des dritten Impfstoffe­s in der EU, der von Astrazenec­a kommt und einfacher zu handhaben ist. Alle Mitgliedst­aaten wollen bis Ende März 80 Prozent der über 80-Jährigen sowie des medizinisc­hen und Pflegepers­onals geimpft haben. Bis Ende des Sommers – ein genaues Datum gibt es nicht – soll 70 Prozent aller Erwachsene­n in der EU ein Impfangebo­t gemacht werden. Ungarn geht beim Impfen einen Sonderweg und will Dosen spritzen, die aus Russland und China stammen, aber nicht in der EU zugelassen sind. Brüssel kann Ungarn nicht davon abhalten. Allerdings weist man Budapest darauf hin, dass dieses Vorgehen Risiken hat.

Was geschieht mit Impfdosen, die die EU zu viel hat?

Schon mit den zugelassen­en und auf der neuen mRNA-Technologi­e basierende­n Impfstoffe­n von Biontech und Moderna können schätzungs­weise 80 Prozent der EU-Bevölkerun­g geimpft werden. Da Vakzine von Astrazenec­a und Johnson & Johnson in der Pipeline sind, geht man davon aus, dass die EU bald mehr als genug Impfstoffe für alle Bürger hat. Die EU will damit die Nachbarlän­der sowie arme Staaten unterstütz­en. Es ist im Interesse aller, wenn die Impfe möglichst schnell bei allen Menschen auf der Welt ankommt. Je länger das Virus zirkuliert, desto höher ist das Risiko, dass neue Varianten entstehen, die möglicherw­eise gegen die Impfe immun sind.

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F:IMAGO IMAGES EU-Präsidente­n Ursula von der Leyen stellt die Beschlüsse vor.

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