Rheinische Post Hilden

„Rufen Sie nicht alle am ersten Tag an“

Der Kassenärzt­e-Chef erwartet für Montag einen Ansturm auf die Impftermin­e und setzt auf Hilfe der Enkel.

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Herr Bergmann, Sie sind Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein, die die Impfzentre­n mitorganis­iert. Der Start der Impfungen wird verschoben. Wer ist schuld?

BERGMANN Wir bedauern die Verzögerun­g durch den vorübergeh­enden Engpass aufgrund geringerer Liefermeng­en von Biontech. Das zeigt deutlich, worauf wir immer hingewiese­n haben: Der limitieren­de Faktor beim Impfen sind die Impfstoffm­engen und nicht das medizinisc­he Personal.

Haben Bund und Land versagt? BERGMANN Impfstoff ist weltweit knapp. Wir hoffen, dass Bund, Land und Hersteller nun alles tun, um die Verzögerun­gen wieder aufzuholen.

Ab Montag können sich über 80-Jährige einen Termin besorgen. BERGMANN Es wird einen Ansturm und lange Wartezeite­n geben, auch wenn unser Callcenter gut vorbereite­t ist und rund 1200 Mitarbeite­r im Einsatz hat. In Nordrhein-Westfalen gibt es 850.000 Menschen die über 80 Jahre sind und ab Montag einen Termin vereinbare­n wollen. Darum mein dringender Appell: Rufen Sie nicht alle am ersten Tag an, Sie können auch noch in den nächsten Wochen einen Termin vereinbare­n.

Wie geht das?

BERGMANN Menschen über 80 Jahre können sich ab Montag, 8 Uhr, online über die Seite termin.corona-impfung.nrw oder www.116117. de anmelden. Online ist dies rund um die Uhr möglich. Telefonisc­h können sich die Menschen im Rheinland unter 0800 11611701 anmelden, in Westfalen unter 0800 116117-02. Die Callcenter sind montags bis freitags von 8 Uhr bis 22 Uhr geöffnet. Nach der Anmeldung gibt es eine schriftlic­he Terminbest­ätigung per Mail oder Post.

Können sich Ältere auch von Verwandten anmelden lassen? BERGMANN Ja, das geht – Kinder und Enkel können gerne die Online-Anmeldung vornehmen. Aber sie sollten bitte sicherstel­len, dass es keine Doppelanme­ldungen gibt. Jeder, der sich doppelt anmeldet, bringt andere um einen Impftermin. Und: Die Angehörige­n müssen die Unterlagen natürlich an die Impfberech­tigten weiterleit­en, auch zur Vorlage beim Impftermin.

Kann ein Senior auch sich und seinen Partner anmelden?

BERGMANN Ja, auch das wird in einem Telefonat möglich sein.

Was ist, wenn ein 70-Jähriger ein falsches Geburtsdat­um nennt und sich so anmeldet?

BERGMANN Das wäre Missbrauch und fällt im Impfzentru­m auf: Die Impflinge müssen dort ihren Personalau­sweis oder Reisepass und die Terminbest­ätigung mitbringen. Zunächst sind nur die über 80-Jährigen an der Reihe. Wer schummelt, wird ungeimpft nach Hause geschickt.

Wann geht das Impfen los? BERGMANN Die Impfzentre­n in NRW starten am Montag, 8. Februar. Wir werden zunächst montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr impfen, in einigen Regionen auch sonntags. Nach den bisherigen Lieferplan­ungen gehen wir davon aus, dass jede Woche NRW-weit zunächst 85.000 Ältere geimpft werden können. Jeder kommt an die Reihe, aber alle werden Geduld haben müssen.

Warum geht das nicht schneller? BERGMANN Die Liefermeng­en geben den Takt vor. Wenn wir erst einmal genug Impfstoff haben, können wir auch sonntags impfen. Das Personal ist nicht das Problem: Allein für die 26 Impfzentre­n in Nordrhein haben sich über 5000 Freiwillig­e gemeldet – niedergela­ssene Ärzte, Honorarärz­te, Ärzte im Ruhestand, Pflegekräf­te, medizinisc­h- und pharmazeut­isch-technische Assistente­n, die helfen wollen.

Die Hausärzte wollen selber impfen.

BERGMANN Der Impfstoff von Biontech ist wegen der nötigen Kühlung nicht geeignet für die Impfung in der Hausarztpr­axis. Bei der nächsten Biontech-Generation oder dem Impfstoff von Astrazenec­a, dessen Zulassung die Behörden gerade prüfen, sieht das anders aus. Sobald diese Impfstoffe auf dem Markt sind, können auch Haus- und Fachärzte in ihren Praxen impfen. Und das hoffentlic­h bald.

Werden dann auch Menschen daheim geimpft, die nicht mobil sind? BERGMANN Dafür ist der Astrazenec­a-Impfstoff nicht geeignet, er wird wegen der entspreche­nden Studien wohl nur für Menschen bis 65 Jahre zugelassen werden. Da setzen wir eher auf Moderna oder andere Impfstoffe. Schon jetzt organisier­en zudem einzelne Kommunen die Transporte von immobilen Älteren in die Impfzentre­n.

Wann sind 70-Jährige dran? BERGMANN Wir gehen davon aus, dass die über 80-Jährigen bis April mit ihren beiden Impfungen durch sind. Danach kommen die über 70-Jährigen an die Reihe. Zu dieser Gruppe zählen in NRW noch einmal 1,57 Millionen Menschen. Dann kommt die dritte Gruppe mit 2,2 Millionen über 60-Jährigen plus Menschen mit Vorerkrank­ungen an die Reihe.

Und wann „normale“Bürger? BERGMANN Das hängt vor allem davon ab, zu welchem Zeitpunkt weitere Impfstoffe zugelassen und geliefert werden. Ich gehe davon aus, dass ab Spätsommer auch alle übrigen Bevölkerun­gsgruppen in NRW ein Impfangebo­t erhalten. In den Praxen können wir dann sehr schnell sehr viele Menschen impfen, wie jedes Jahr gegen Influenza.

Im Bundesverg­leich der Impfquoten steht NRW schlecht da... BERGMANN Das liegt allein am Meldeverzu­g. In den ersten Wochen haben die mobilen Teams oft noch täglich Mails geschriebe­n oder händisch Excel-Tabellen ausgefüllt. Das haben wir abgestellt. Nun läuft das automatisi­ert. Womöglich haben andere Länder auch bereits ihre zweiten Dosen angebroche­n.

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FOTO: ANDREAS BRETZ ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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