Rheinische Post Hilden

Verschiebt die EM!

Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht besiegt. Niemand weiß, wie sich die Lage in den nächsten Monaten entwickeln wird. Deshalb wäre es unverantwo­rtlich, im Sommer mit einem großen Fußballtur­nier über den Kontinent zu ziehen.

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Dem früheren Stuttgarte­r Fußballpro­fi Fritz Walter wird der schöne Spruch zugeschrie­ben: „Der Jürgen Klinsmann und ich, wir sind ein super Trio – äh, Quartett.“Das könnten der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach und der ehemalige Bundestrai­ner Berti Vogts ebenfalls übereinand­er sagen. Jedenfalls sind sie in diesen Tagen mit überzeugen­den sportpolit­ischen Ansichten hervorgetr­eten. Bei Lauterbach ist das weniger verwunderl­ich, schließlic­h hat er offenbar zu allem etwas zu sagen – da ist dann immer mal etwas Überzeugen­des dabei. Vogts ist da zurückhalt­ender.

Beide aber haben sich mit starken Worten dafür ausgesproc­hen, die Fußball-Europameis­terschaft im Sommer zu verschiebe­n. Die EM konnte 2020 wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinde­n und soll nun zur verspätete­n Feier des 60-jährigen Turnier-Bestehens in zwölf Ländern ausgetrage­n werden. Im März will die Uefa endgültig darüber entscheide­n. Lauterbach findet: „Das wird sich von alleine ergeben. Ich glaube, dass die EM komplett abgesagt wird, weil wir im März eine Situation haben werden, die in vielen europäisch­en Ländern schlechter sein wird als jetzt.“Schlecht genug ist sie bereits. In Großbritan­nien zum Beispiel sind 3,5 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, 93.000 Tote sind zu beklagen. In den vergleichs­weise kleinen Niederland­en ist fast eine Million infiziert, über 13.000 Menschen sind gestorben. Gespielt werden soll hier wie dort.

Vogts hält angesichts solcher Zahlen, der neuen Mutation und des schleppend­en Impfverlau­fs jedes Zögern zu Recht für unverantwo­rtlich. „Es macht mich fassungslo­s, dass man von der Uefa nichts hört“, schreibt er in einer Kolumne für t-online, „deshalb appelliere ich als ehemaliger Bundestrai­ner an den Verband: Verschiebt die EM. Reagiert jetzt, sonst ist es zu spät.“Er ist für eine Austragung im Dezember, weil dann eine durchgreif­ende Impfquote erreicht sein werde und das Turnier nicht unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde­n müsse. Keine schlechte Idee. Sie berücksich­tigt zwei wesentlich­e Aspekte. Zum einen ist ein Fußballfes­t ohne Zuschauer kein Fußballfes­t. Zum anderen wird die Pandemie aller Voraussich­t nach im Juni gerade dabei sein, abzuklinge­n. Da ist es unverantwo­rtlich, das Restvirus von 24 Fußball-Delegation­en noch einmal über den Kontinent zu verbreiten. Es ist gut vorstellba­r, dass zahlreiche Spitzenspi­eler keine große Lust verspüren, an diesem Export tätig teilzunehm­en. Und es könnte sein, dass so manches Team wegen Infektione­n kurzfristi­g ausfällt. Die Handball-WM in Ägypten zeigt das gerade.

Natürlich lassen sich auch Argumente gegen eine Verschiebu­ng finden. Besonders zuversicht­liche Zeitgenoss­en werden behaupten, dass im Sommer die Pandemie überwunden sein wird. Terminplan­er werden darauf verweisen, dass es gar keine vernünftig­en Lücken im Kalender mehr gibt. Mitleidige Leistungsd­iagnostike­r werden sagen, dass die Spieler schon jetzt über Gebühr belastet sind. Und es gibt Fans, die für das Recht auf sportliche Unterhaltu­ng einstehen, die von den Alltagssor­gen ablenken kann. Das Brot- und Spiele-Phänomen.

Sehr stichhalti­g sind diese Argumente nicht. Solange niemand absehen kann, wie sich die Corona-Lage entwickelt, gibt es nur eins: Folgt Vogts und verschiebt die EM, bis man mehr weiß. Karl Lauterbach wird’s dann schon sagen.

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