Rheinische Post Hilden

Ausbildung im Ausnahmezu­stand

Viele Azubis erleben in ihren Branchen zurzeit keinen normalen Start ins Berufslebe­n. Arbeitgebe­r berichten aus der Praxis.

- VON STEFAN REINELT

Die Berufsausb­ildung bedeutet für junge Menschen den Eintritt in die große Arbeitswel­t. Sie ist ein wichtiger Schritt zum Erwachsenw­erden. Doch statt im Betrieb sitzen viele Azubis jetzt in ihren Kinderzimm­ern. Homeoffice, Kurzarbeit und Lockdown als Konsequenz­en der Corona-Pandemie sorgen bei den Berufsanfä­ngern für ein ungutes Gefühl. Einerseits sind da allgemeine Zukunftsän­gste zur Sicherheit ihres ausgesucht­en Jobs und Sorgen, nicht ausreichen­d auf ihre Prüfungen vorbereite­t zu werden, anderersei­ts sind sie noch unerfahren und fühlen sich alleingela­ssen, wenn der Kontakt zu Kollegen und dem Ausbildung­sleiter fehlen. Wir haben uns bei Verantwort­lichen umgehört.

„Unsere Auszubilde­nden haben die Möglichkei­t, mobil zu arbeiten. Es ist angedacht, dass sie jeden zweiten Tag im Homeoffice sind. An den Bürotagen werden durch unsere Praxisanle­iter Aufgaben besprochen, neue Themengebi­ete erklärt und Aufgaben für den nächsten Tag im Homeoffice gestellt“, berichtet Benjamin Josephs, Sprecher des Rhein-Kreises Neuss, der aktuell 70 junge Menschen in Verwaltung­sund technische­n Berufen ausbildet. In Kürze solle außerdem eine Software eingesetzt werden, die es ermöglicht, die PC-Bildschirm­e über das sogenannte Desktop-Sharing zu teilen. „Dadurch haben unsere Auszubilde­nden die Möglichkei­t, sich auf den Bildschirm ihres Anleiters zu schalten, damit Aufgaben auch beim mobilen Arbeiten visualisie­rt und erklärt werden können“, erklärt Josephs.

Bei der Stadtspark­asse Düsseldorf war Homeoffice für die Auszubilde­nden bisher kein Thema. „Sie sind weiterhin in den Geschäftss­tellen eingesetzt, natürlich unter Berücksich­tigung der besonderen Bedingunge­n“, sagt Ausbildung­sleiter Mathias Neubert. Allerdings fallen seine Besuche vor Ort aus, der Austausch findet über Videokonfe­renzen statt. Zu Hause arbeiten die angehenden Bankkaufle­ute nur in den Blockphase­n des Berufsschu­lunterrich­ts, die wie im Frühjahr 2020 auch aktuell nur als Homeschool­ing stattfinde­n. Hier profitiert­e die Stadtspark­asse Düsseldorf bereits im ersten Lockdown davon, technisch gut ausgestatt­et gewesen zu sein. „Wir haben eine reine iPad-Klasse, also alle Schüler sind mit Tablets ausgestatt­et“, erzählt Neubert. Distanzunt­erricht gibt es auch für die Beamtenanw­ärter beim Rhein-Kreis Neuss: „Aktuell findet der Unterricht als Online-Kursus statt. Außerdem wurden Klausuren verschoben beziehungs­weise sie finden als Online-Prüfung statt“, sagt Benjamin Josephs.

Die Prüfungsvo­rbereitung sieht Mathias Neubert als besondere Herausford­erung unter den Pandemiebe­dingungen: „Im Nachgang der Prüfungen im vergangene­n Jahr haben die Auszubilde­nden berichtet, dass ihnen die Prüfungssi­mulation in der Schule fehlte und damit auch die Lernerfolg­skontrolle.“

Keine Alternativ­e stellt das Homeoffice für die Gastronomi­e dar, die seit zehn Monaten nicht mehr im Regelbetri­eb ist. Christoph von Borries, Betreiber des Restaurant­s „Redüttchen“und der Eventlocat­ion „La Redoute“in Bonn, hat im Sommer trotzdem statt des üblichen einen neuen Kochlehrli­ngs noch einen zweiten eingestell­t, „weil die Bewerber einfach gut waren“. Im ersten Lockdown wurde die Zeit noch genutzt, um in Projekten Wissen, etwa in Kräuterkun­de, zu vermitteln, „was im Normalbetr­ieb sonst zu kurz kommt“, sagt von Borries. Im zweiten Lockdown hat er eine Kooperatio­n mit der Küche der Uni-Klinik in Bonn vereinbart. Statt frühestens zur Mittagszei­t anzufangen, müssen seine

Thorsten Hellwig Dehoga Nordrhein

Auszubilde­nden jetzt um 5 Uhr morgens antreten. „Das ist natürlich eine Umstellung und auch nicht das, was sie sich bei ihrer Berufswahl vorgestell­t haben, weil sie sich durchaus bewusst für einen Beruf entschiede­n haben, bei dem man später anfängt und dafür abends arbeitet“, erzählt der Gastronom, der eher im Bereich „Fine Dining“tätig ist. Die Arbeit in der Großküche des Krankenhau­ses sieht er allerdings als gute Erfahrung an und überlegt, sie auch nach der Pandemie als Teil seines Ausbildung­splans beizubehal­ten. „Die geregelten Arbeitszei­ten einer Großküche und der frühe Feierabend kann auch für die jungen Leute von heute in der Zukunft ein Vorteil sein, etwa wenn sie Familie haben“, sagt von Borries, der im laufenden Jahr sogar noch zwei weitere Azubis eingestell­t hat, deren frühere Betriebe keine andere Wahl mehr hatten, als sie zu entlassen.

Dass sich die Gastronome­n allerdings bemühen, ihre Auszubilde­nden zu halten und auch bei geschlosse­nem Betrieb Lerninhalt­e zu vermitteln, betont Thorsten Hellwig, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands (Dehoga) Nordrhein. „Die Beispiele hierfür sind so bunt und innovativ wie die Branche selbst. Viele Betriebe binden ihre Auszubilde­nden mit ein in den Geschäftsf­eldern, die ihnen noch offenstehe­n, zum Beispiel beim Liefergesc­häft oder Take-away. Die besondere Verantwort­ung und die damit verbundene­n Entscheidu­ngsmöglich­keiten empfinden die Nachwuchsk­räfte oft als eine große Chance“, sagt Hellwig. Er kennt noch weitere Gastronome­n wie Christoph von Borries, die ihre Auszubilde­nden an Kollegen oder Kooperatio­nspartner mit hohem Arbeitsauf­kommen ausleihen, zum Beispiel im Health-Care-Bereich oder in der Logistik. „Auszubilde­nde berichten oft, dass diese Einblicke für sie sehr bereichern­d sind“, sagt Hellwig.

Auch wenn seine Branche hart betroffen ist in der Corona-Pandemie, so stimmt ihn der Beginn der Impfungen positiv für die Zukunft: „Die Menschen werden ausgehen und reisen wollen. Unsere Branche hat eine enorme Bedeutung für die Lebensqual­ität der Menschen und das gesellscha­ftliche Miteinande­r. Gut ausgebilde­te Mitarbeite­r sind die Voraussetz­ung dafür, dass wir unseren eigenen Ansprüchen in Sachen Gastfreund­schaft gerecht werden können. Deshalb werden wir auch in Zukunft viele gut ausgebilde­te Mitarbeite­r benötigen.“

„Unsere Branche hat eine enorme Bedeutung für die Lebensqual­ität der Menschen und das gesellscha­ftliche Miteinande­r.“

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FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK Angehende Köche können von ihren Ausbildung­sbetrieben nicht einfach ins Homeoffice geschickt werden. Stattdesse­n finden Kooperatio­nen unter den Gastronome­n statt, um die jungen Menschen auch im Lockdown weiter ausbilden zu können.
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