Rheinische Post Hilden

Salo Muller gegen die Deutsche Bahn

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Die Reichsbahn transporti­erte Millionen in die KZs. Ein Niederländ­er meint: Dafür soll gezahlt werden.

BERLIN/AMSTERDAM Unmittelba­r bevor am Mittwoch der Befreiung des Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslagers Auschwitz gedacht wird, muss sich die Deutsche Bahn einer schwierige­n Debatte stellen: Muss sie Schadeners­atz dafür zahlen, dass das Vorgängeru­nternehmen Reichsbahn Millionen Menschen während der NS-Zeit in die Vernichtun­gslager der Nazis transporti­erte?

Eine entspreche­nde Forderung des niederländ­ischen Autors Salo Muller an Deutsche Bahn und Bundesregi­erung wurde durch einen Bericht im ARD-Magazin „Titel, Thesen, Temperamen­te“bekannt. Der jetzt 84-Jährige verlor am Ende des Zweiten Weltkriegs Eltern und Geschwiste­r, die als Juden von den Nationalso­zialisten ermordet wurden. Im Jahr 2018 erreichte er, dass die niederländ­ische Eisenbahn insgesamt 50 Millionen Euro dafür zahlte, dass sie rund 7000 niederländ­ische Juden mit Zügen deportiert hatte. Auch er erhielt einige Tausend Euro von dem Betrag, meint aber, dass auch die Deutsche Bahn zahlen soll. „Das Vorgängeru­nternehmen

der Deutschen Bahn war verantwort­lich für die Transporte in die Vernichtun­gslager und den Tod seiner Eltern“, erklärt sein Anwalt Axel Hagedorn auf Anfrage. Also müsse die Deutsche Bahn ebenso für ihre Verantwort­ung geradesteh­en wie ihr Schwesteru­nternehmen in den Niederland­en.

Linke und Grüne zeigen als Opposition­sparteien Verständni­s für das Anliegen. „Ich unterstütz­e die Forderunge­n von Muller“, sagt Dietmar Bartsch, Linken-Fraktionsc­hef, dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. Er weist darauf hin, auch die französisc­he Eisenbahn habe Entschädig­ung

für Deportatio­nen bezahlt. Grünen-Fraktionsv­ize Konstantin von Notz meint, Bundesregi­erung und Bahn sollten sich ernsthaft mit der Forderung auseinande­rsetzen, legt sich aber nicht fest, was geschehen soll.

Die Bahn erklärt, sie sei sich ihrer „historisch begründete­n Verantwort­ung bewusst“. Es sei offensicht­lich, „welches Leid und Unrecht Herrn Muller widerfahre­n ist“. Der Staatskonz­ern ergänzt, er sei als erst 1994 gegründete­s neues Unternehme­n nicht Rechtsnach­folger der Reichsbahn, entspreche­nde Forderunge­n müssten an die Bundesregi­erung gestellt werden. Und die habe in den letzten Jahren viel getan, um mit Hilfe von Wiedergutm­achungsabk­ommen sowie verschiede­ner Regelungen für von NS-Verbrechen betroffene Gruppen einen Ausgleich zu schaffen.

Die Bundesregi­erung argumentie­rt vergleichb­ar. Seit 1949 seien mehr als 70 Milliarden Euro für Wiedergutm­achung bezahlt worden, so ein Sprecher des Bundesfina­nzminister­s. In einem Brief an Mullers Anwalt, der unserer Redaktion vorliegt, argumentie­rt das Ministeriu­m, es könne sowieso nie eine richtige „Wiedergutm­achung“des „Horrors in den Konzentrat­ionslagern und Gettos“geben. Berlin gebe sich aber Mühe, für das Leid zu entschädig­en. Auch Muller habe profitiert. Er könne auch von Deutschlan­d bezahlte Pflegehilf­e bekommen. Für die „Deportatio­n als solche“könne aber nicht gezahlt werden, sie sei ja Teil eines Systems gewesen.

In den Niederland­en ist die Lage anders: Der Staat war kein Massenmörd­er, also zahlt er keine Entschädig­ung. Doch die dortige Bahn war beteiligt. Sie musste also rein moralisch Kompensati­on zahlen.

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FOTO: DPA Salo Muller 2019 bei einem Termin in Utrecht.

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