Rheinische Post Hilden

Portugals Corona-Katastroph­e

- VON RALPH SCHULZE

Das Gesundheit­ssystem des Landes kollabiert. Mitten im Lockdown wurde der Präsident wiedergewä­hlt.

MADRID/LISSABON Die Leichenhal­le des Krankenhau­ses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass nun vor dem Hospital zwei Kühlcontai­ner aufgestell­t wurden, um die vielen Corona-Toten bis zur Bestattung aufzubewah­ren. Immer mehr an Covid-19 erkrankte Menschen sterben in Portugal, weil es auf den Intensivst­ation keine freien Betten mehr gibt.

Man müsse vielerorts die Regeln der Katastroph­enmedizin – die Triage – anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekamme­r. Wenn es für zwei Notfallpat­ienten nur ein Beatmungsg­erät gibt, bekommt derjenige mit den besseren Überlebens­chancen Vorrang.

„Die Krankenhäu­ser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheit­sministeri­n Marta Temido ein. Vor vielen Hospitäler­n stauen sich Ambulanzen, die wegen der Überfüllun­g der Krankenhäu­ser oft stundenlan­g warten müssen, bis sie ihre Covid-19-Patienten an die Notaufnahm­e übergeben können. Deswegen werden nun im ganzen Land Feldlazare­tte aufgebaut. Allein zwei provisoris­che Hospitäler wurden in Lissabon installier­t.

Im Frühjahr 2020 war Portugal noch als Musterknab­e gefeiert worden. Als Land, das dank einer disziplini­erten Bevölkerun­g und vorausscha­uenden Regierung im Anti-Viren-Kampf offenbar alles richtig gemacht hatte. Doch möglicherw­eise hat sich die Nation zu sehr darauf vertraut, dass sie auch die neue Viruswelle nur streifen würde. Ein Trugschlus­s: Portugal wird seit einigen Tagen von einem wahren Corona-Tsunami überrollt.

Ein Tsunami, der das EU-Land am Atlantik über Nacht zum schlimmste­n Hotspot Europas und sogar der Welt machte. Nach Berechnung­en der amerikanis­chen Johns-Hopkins-University schoss die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 820 Fälle pro 100.000 Einwohner. Das ist siebenmal so viel wie zum Beispiel in Deutschlan­d. Zudem wurden zuletzt mehr als 270 Corona-Tote in 24 Stunden gemeldet. Höchststän­de und absolute Horrorzahl­en für dieses vergleichs­weise kleine Land, in dem 10,3 Millionen Menschen leben.

Die deutsche Bundesregi­erung hat Portugal ab Mittwoch als Corona-Risikogebi­et mit besonders gefährlich­en Virusmutat­ionen eingestuft: Der britische Erregertyp B 1.1.7. ist auf dem Weg, zur vorherrsch­enden Variante in Portugal zu werden. Ein Szenario, das inzwischen ganz Europa besorgt. Angesichts der Entwicklun­g im Land gibt Premier António Costa zu, dass es ein Fehler war, über Weihnachte­n und Silvester die Zügel locker zu lassen: „Mit den heutigen Daten hätten wir nicht erlaubt, was wir damals erlaubt haben.“Familien- und Freundestr­effen in Privaträum­en waren über die Festtage praktisch ohne Limit möglich, Bars und Restaurant­s waren geöffnet.

Ausgerechn­et inmitten dieser katastroph­alen Virusexplo­sion fanden am Sonntag in Portugal Präsidente­nwahlen statt. Die Mobilisier­ung von neun Millionen Stimmberec­htigten sei ein Risiko, hatten Epidemiolo­gen

gewarnt. Doch eine Verschiebu­ng der Wahl sei aus verfassung­srechtlich­en Gründen nicht möglich gewesen, erklärte die Regierung.

Die Zahl der Infektione­n schreckte viele Stimmberec­htige ab – die Wahlbeteil­igung sank mit knapp 40 Prozent auf ein Minimum. Doch das hat dem alten und neuen Amtsinhabe­r Marcelo Rebelo de Sousa, dem „Selfie-Präsidente­n“, der sich gerne mit Bürgern ablichten lässt, nicht geschadet. Der Rechtsprof­essor, der auf der Straße meist nur „Marcelo“oder „Professor“gerufen wird, ist schon seit Jahren die populärste Persönlich­keit des Landes – noch vor der Fußballiko­ne Cristiano Ronaldo. Die hemdsärmel­ige Art des konservati­ven Katholiken gefällt sogar dem sozialisti­schen Costa so gut, dass er dessen erfolgreic­he Wiederwahl unterstütz­te.

Der Premier hat Mitte Januar einen neuen harten Lockdown verordnet, zu dem die „Bürgerpfli­cht“gehört, zu Hause zu bleiben. Gaststätte­n und nicht essenziell­e Geschäfte mussten schließen. Am vergangene­n Freitag wurden Schulen und Unis dichtgemac­ht. Nur für den Supermarkt, die Schule, die Arbeit, für Arztbesuch­e und einen Spaziergan­g dürfen die Portugiese­n raus – am Sonntag war zudem der Besuch des Wahllokals erlaubt.

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FOTO: AP Marcelo Rebelo de Sousa ist in Portugal so populär wie der Fußballspi­eler Christiano Ronaldo.

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