Rheinische Post Hilden

Die große Impf-Ernüchteru­ng

Bei der ohnehin schleppend­en Lieferung kristallis­iert sich nun das ganze Ausmaß des Engpasses heraus. Die neuen Probleme bei Astrazenec­a verschärfe­n die Lage. Das Gesundheit­sministeri­um verbreitet dennoch Optimismus.

- VON JAN DREBES, ANTJE HÖNING UND JANA WOLF

BERLIN Erst die Lieferengp­ässe beim Impfstoff-Hersteller Biontech-Pfizer, nun auch Schwierigk­eiten beim britisch-schwedisch­en Pharmakonz­ern Astrazenec­a. Die Serie von Problemen beim Impfen reißt nicht ab. Branchenwe­it macht sich Ernüchteru­ng breit.

Wo kommt es zu Engpässen?

Astrazenec­a hat eingeräumt, zunächst 60 Prozent weniger Impfstoff an die EU abgeben zu können als geplant. Konkret waren für das erste Quartal dieses Jahres 80 Millionen Impfdosen zugesagt. Nun sollen lediglich 31 Millionen Dosen bis Ende März geliefert werden. Für die EU-Staaten ist das ein herber Rückschlag, zumal die Gefahr durch Virusmutat­ionen wächst. Viren verändern sich regelmäßig. Als Ergebnis dieser Mutationen können veränderte Viren (Mutanten) herauskomm­en, die wie die in Großbritan­nien zuerst aufgetauch­ten, ansteckend­er sind.

Was heißt das für Deutschlan­d?

Im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium gibt man sich zuversicht­lich. Die EU-Zulassung für den Astrazenec­a-Impfstoff werde an diesem Freitag erwartet, sagte ein Sprecher. Die gute Nachricht sei, dass schon im Februar „mehrere Millionen Impfdosen von Astrazenec­a“erwartet werden. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) räumte jedoch ein, dies sei „leider weniger, als erwartet war“. Laut Gesundheit­sministeri­um wird erst nach der Zulassung klar, wie viel Impfstoff wann zusätzlich für Deutschlan­d zur Verfügung stehe.

Sind die bisherigen Zeitpläne in Gefahr?

Der Chef der Ständigen Impfkommis­sion, Thomas Mertens, ist wenig optimistis­ch. „Das ist schlecht, weil wir unsere Impfziele später erreichen“, sagte Mertens unserer Redaktion. „Es geht ja wohl weniger um Kürzungen, sondern eher um Produktion­sausfälle.“Gleichwohl dürfe Deutschlan­d seine Impfstrate­gie nicht ändern: „Im Gegenteil, wir müssen so rasch wie möglich die Menschen mit Risiko für schwere Erkrankung, Hospitalis­ierung und Tod durchimpfe­n.“Bundeskanz­lerin Angela

Merkel hatte vergangene­n Donnerstag in Aussicht gestellt: Wenn alles wie zugesagt erfolge, könne man es schaffen, „bis Ende des Sommers jedem Bürger ein Impfangebo­t zu machen“. Das klingt inzwischen anders. Die Impfproduk­tion sei das Ergebnis „von langen, langen Lieferkett­en mit unzähligen Einzelelem­ente“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert in Berlin. „Da kann immer etwas schiefgehe­n.“

Was bedeutet der Stopp von Merck?

Und die Hiobsbotsc­haften reißen nicht ab. Der US-Pharmakonz­ern Merck stoppte nun die Entwicklun­g von zwei Kandidaten. In frühen klinischen Studien (Phase 1) hätten diese eine unzureiche­nde Immunreakt­ion erzeugt, diese sei niedriger als bei ehemaligen Covid-Patienten. Merck war erst spät in das Rennen eingestieg­en und mit seinen Studien auch noch nicht sehr weit. Sein Kandidat basiert auf einem umgebauten Masernviru­s. Das wäre ein dritter Weg gewesen: Biontech und Moderna setzten auf die Botenstoff­e mRNA. Astrazenec­a und Johnson&Johnson setzen auf Vektorimpf­stoffe, die auf dem Erkältungs­virus beruhen.

Für wie groß hält die Bundesregi­erung die Bedrohung durch die neue Corona-Variante?

Die Bundesregi­erung zeigt sich in hohem Maße alarmiert von der Ausbreitun­g der in Großbritan­nien verbreitet­en Mutation in Deutschlan­d. „Wir haben im Hintergrun­d die dunkle Wolke einer sehr ernsthafte­n Gefahr“, sagte Seibert am Montag. Der wohl sehr viel leichter übertragba­re Virus-Typ B.1.1.7 ist bereits mehrfach in Deutschlan­d aufgetrete­n. In Berlin wurden deshalb rund 1500 Beschäftig­te einer Klinik unter Quarantäne gestellt. Laut Seibert gibt es zwar ein erfreulich­es Sinken der Infektions­zahlen und der Zahl der Intensivpa­tienten. „Gleichzeit­ig haben wir die große und sehr reale Gefahr, dass sich die Virus-Mutante auch bei uns wie in anderen Ländern immer weiter durchsetzt und dass die Zahlen wieder stark in die Höhe getrieben werden könnten.“

Wie geht es nun weiter?

Die EU hat die Impfstoff-Hersteller bereits vor möglichen Konsequenz­en der zu geringen Lieferunge­n gewarnt. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel sagte, man erwarte, dass „die von den Pharmaunte­rnehmen bestätigte­n Verträge eingehalte­n werden“. Laut Michel könnte die EU auch „juristisch­e Mittel“nutzen, um das durchzuset­zen. Die europapoli­tische Sprecherin der Grünen-Bundestags­fraktion, Franziska Brantner, fordert die Staats- und Regierungs­chefs dazu auf, den Druck zu erhöhen: „Verträge sind einzuhalte­n und der Hersteller muss erklären, warum er in Großbritan­nien Zusagen einhält und in der EU nicht. Hier muss sich die EU auch juristisch­e Wege offenhalte­n“, sagte Brantner unserer Redaktion.

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FOTO: RAFIQ MAQBOOL/DPA Läuft nicht wie geplant: Die Produktion und Lieferung des Impfstoffe­s von Astrazenec­a.

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