Online statt Alpen
Die Vertreter aus Politik, Finanz- und Wirtschaftswelt tagen beim Weltwirtschaftsforum coronabedingt nur virtuell statt in Davos.
BERLIN (dpa/epd/rtr) Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen China und den USA oder Europa hat sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für mehr internationale Kooperation und freien Welthandel ausgesprochen. Die Probleme der Welt könnten von keinem Land alleine gelöst werden, sagte Xi Jinping am Montag in einer Videorede zur Eröffnung des Jahrestreffens des Weltwirtschaftsforums, das wegen der Corona-Pandemie diesmal nicht im Schweizer Ort Davos, sondern online stattfindet.
„Die Geschichte und Wirklichkeit haben es wiederholt deutlich gemacht, dass der fehlgeleitete Ansatz des Antagonismus und der Konfrontation, sei es in der Form eines kalten Krieges, eines richtigen Krieges, eines Handelskrieges oder Technologiekrieges am Ende den Interessen aller Länder schadet und das Wohlergehen aller untergräbt“, stellte Xi Jinping fest. Keine der großen Volkswirtschaften hat 2020 in der Corona-Krise ein Wachstum
geschafft – mit Ausnahme von China. Kleine Bündnisse zu bilden, werde die Welt nur weiter spalten, sagte Xi Jinping. Ohne konkret auf die Vielzahl neu verhängter Sanktionen der USA gegen China einzugehen, warnte er eher allgemein davor, andere Länder zu bedrohen oder Sanktionen zu verhängen, eine Entkopplung der Volkswirtschaften oder Unterbrechung von Lieferketten einzuleiten. Auch dürfe Außenhandelspolitik nicht zulasten anderer Länder gehen.
Beobachter waren im Vorfeld gespannt darauf, welche Signale Xi Jinping in Richtung USA senden würde – nach den von Handelskrieg und dem Zurückdrängen internationaler Kooperation geprägten Jahren der US-Präsidentschaft von Donald Trump. Die Regierung des neuen US-Präsidenten Joe Biden hat bereits klargemacht, dass sie auf keinen Kuschelkurs gegenüber dem Handelsrivalen einschwenken wird.
Das WEF hat mit einer sogenannten Agenda-Woche begonnen; erst
Ende Mai soll ein Präsenzgipfel der Elite aus Politik, Finanz- und Wirtschaftswelt folgen – pandemiebedingt in Singapur und nicht in Davos. Die Agenda-Woche bietet laut WEF-Gründer Klaus Schwab Entscheidern aus aller Welt ein virtuelles Forum, um in dem für die Zukunft „zentralen Jahr 2021“Wege aus der Krise aufzuzeigen.
Mit von der Partie war EZB-Chefin Christine Lagarde: Sie diskutierte in einem Gesprächsforum darüber, wie die Welt wieder in die Wachstumsspur zurückfinden kann – zugeschaltet waren auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire und Volkswagen-Chef Herbert Diess. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen könnte das Thema transatlantische Beziehungen bei ihrem Agenda-Auftritt am Dienstag streifen, ebenso Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Kanzlerin rechnet nach der Amtseinführung
Bidens mit einer Verbesserung der Beziehungen zu Washington.
Biden hat auch im Umgang mit der Corona-Krise mit dem Stil seines Vorgängers gebrochen. Als eine seiner ersten Maßnahmen unterzeichnete er einen Erlass, in dem er die Bereitschaft seiner Regierung erklärt, sich an der internationalen Covax-Initiative zu beteiligen. Diese soll eine weltweit faire und gerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen garantieren. Der Schritt unterstreicht, dass Biden – anders als sein Vorgänger Trump – auch auf eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Eindämmung des Virus setzt. Pfizer-Chef Albert Bourla wird am Freitag auf dem Digitalforum ebenso wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Gelegenheit haben, einen Ausblick auf die Impfentwicklung zu geben.
Die Corona-Pandemie wird nach Einschätzung der Entwicklungshilfsorganisation Oxfam zu einer weltweiten Verschärfung der wirtschaftlichen Ungleichheit führen. Die Auswirkungen von Covid-19 treffe Menschen im globalen Süden deutlich stärker als die im Norden, heißt es in dem am Montag in Berlin veröffentlichten Oxfam-Bericht „The Inequality Virus“. Vor dem Weltwirtschaftsforum gibt die Hilfsorganisation
alljährlich einen eigenen Report zu sozialer Ungleichheit heraus. Oxfam spricht sich für eine „Demokratisierung der Wirtschaft“aus, um die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern.
Es drohe zum ersten Mal seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen vor über einem Jahrhundert eine Verschärfung der wirtschaftlichen Ungleichheit in fast allen Ländern. Für den Bericht hat Oxfam nach eigenen Angaben 295 Wirtschaftsforscherinnen und -forscher aus 79 Ländern befragt. 87 Prozent der Wissenschaftler erwarteten demnach als Folge der Pandemie in ihrem Land eine Zunahme oder einen starken Anstieg der Einkommensungleichheit. Für diesen Fall prognostiziere die Weltbank zudem, dass noch 2030 mehr Menschen in Armut leben werden als vor der Pandemie. Als Hauptursache für die wachsende Ungleichheit benennt Oxfam das aktuelle Wirtschaftssystem, das vor allem auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sei.