Rheinische Post Hilden

Chef auf Bewährung

Die Zukunft des WHO-Generaldir­ektors Tedros Adhanom Ghebreyesu­s ist ungewiss.

- VON JAN DIRK HERBERMANN

GENF Vor einem Jahr schlug die große Stunde des Dr. Tedros. Der Generaldir­ektor der Weltgesund­heitsorgan­isation präsentier­te sich dem globalen Publikum mit besorgter Miene. Vor Dutzenden Journalist­en und umringt von Fachleuten rief der Äthiopier angesichts des „neuen Coronaviru­s“den internatio­nalen Gesundheit­snotstand aus – die höchste globale Alarmstufe der WHO. Es gehe nicht so sehr um das, was in China geschehe. „Unsere größte Sorge ist die Ausbreitun­g des Erregers in Ländern mit schwächere­n Gesundheit­ssystemen, die nicht darauf vorbereite­t sind.“

Seit jenem denkwürdig­en Auftritt im Genfer WHO-Hauptquart­ier steht Tedros Adhanom Ghebreyesu­s immer wieder am Pranger. Die Vorwürfe: Zu langsam, zu unentschlo­ssen, zu selbstgefä­llig reagiere Tedros auf den Corona-Ausbruch, der zur schlimmste­n Krise seit dem Zweiten Weltkrieg eskalierte. So konnte sich die WHO unter Tedros zum Beispiel lange nicht zu klaren Empfehlung­en zum Maskentrag­en durchringe­n. Noch hält sich Tedros im Amt des WHO-Generaldir­ektors, in das er 2017 aufrückte.

Tedros ist jedoch bis zum Ende seiner Amtszeit 2022 ein WHO-Chef auf Bewährung. So heißt es aus diplomatis­chen Kreisen. Spätestens auf der Weltgesund­heitsversa­mmlung 2022 werden die 194 Mitgliedsl­änder über seine Zukunft entscheide­n. Viel wird für Tedros davon abhängen, ob das WHO-Programm für Covid-19-Impfungen zum Erfolg wird. Erst im Februar soll das Programm „Covax“mit der Lieferung von Impfdosen beginnen.

Bei der weiteren Karrierepl­anung von Tedros wird auch das WHO-Schwergewi­cht USA wieder ein gehöriges Wort mitreden. Direkt an seinem ersten Amtstag stoppte der neue US-Präsident Joe Biden den Austrittsp­rozess seines Landes aus der Organsisat­ion. „Das ist ein guter Tag für die WHO“, jubelte Tedros. Jetzt muss Tedros der Biden-Administra­tion zeigen, dass er der Richtige an der Spitze ist.

Inmitten der Krise wirft ausgerechn­et die Regierung seines Heimatland­es dem WHO-Chef Knüppel zwischen die Beine. Tedros diente von 2005 bis 2016 in einem autoritäre­n Regime in Äthiopien zuerst als Gesundheit­sminister, dann als Außenminis­ter. Im Jahr 2018 übernahm die jetzige Regierung in Addis

Abeba die Macht. Die äthiopisch­e Armeespitz­e behauptete im November 2020, Tedros agitiere in dem blutigen Konflikt um die Tigray-Region gegen den Zentralsta­at. „Das ist nicht wahr“, entgegnet der Beschuldig­te.

Das Kopfschütt­eln über Tedros setzte im Januar 2020 ein, als er tagelang zögerte, bis er den internatio­nalen Gesundheit­snotstand anordnete. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion legt jetzt nahe, dass die WHO „raschere und stärkere Warnungen“hätte aussenden können. Brisant: Die Kommission mit der früheren Präsidenti­n Liberias, Ellen Johnson Sirleaf, als Ko-Vorsitzend­en wurde von der WHO selbst auf den Weg gebracht.

Ebenso sorgte das allzu enge Verhältnis des WHO-Chefs zum autoritäre­n China für Befremden. Tedros überschütt­ete das Covid-19-Ursprungsl­and lange mit Lob. Schon damals kamen erhebliche Zweifel an Pekings Corona-Politik auf. Später bezichtigt der damalige US-Präsident Donald Trump die WHO und China, den Ausbruch gemeinsam vertuscht zu haben. Die Manöver von Tedros seien „tödlich“; Trump leitete den US-Ausstieg aus der WHO ein. Über Tedros’ Lippen kam lange so gut wie kein kritisches Wort an die Adresse Chinas. Erst am 5. Januar wurde es dann auch ihm zu viel. Mehrere Tage hatten Chinas Behörden die Einreise internatio­naler Corona-Experten blockiert. „Ich bin sehr enttäuscht“, brachte Tedros hervor.

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FOTO: DI NOLFI/DPA Tedros Adhanom Ghebreyesu­s ist WHO-Generaldir­ektor.

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