Chef auf Bewährung
Die Zukunft des WHO-Generaldirektors Tedros Adhanom Ghebreyesus ist ungewiss.
GENF Vor einem Jahr schlug die große Stunde des Dr. Tedros. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation präsentierte sich dem globalen Publikum mit besorgter Miene. Vor Dutzenden Journalisten und umringt von Fachleuten rief der Äthiopier angesichts des „neuen Coronavirus“den internationalen Gesundheitsnotstand aus – die höchste globale Alarmstufe der WHO. Es gehe nicht so sehr um das, was in China geschehe. „Unsere größte Sorge ist die Ausbreitung des Erregers in Ländern mit schwächeren Gesundheitssystemen, die nicht darauf vorbereitet sind.“
Seit jenem denkwürdigen Auftritt im Genfer WHO-Hauptquartier steht Tedros Adhanom Ghebreyesus immer wieder am Pranger. Die Vorwürfe: Zu langsam, zu unentschlossen, zu selbstgefällig reagiere Tedros auf den Corona-Ausbruch, der zur schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg eskalierte. So konnte sich die WHO unter Tedros zum Beispiel lange nicht zu klaren Empfehlungen zum Maskentragen durchringen. Noch hält sich Tedros im Amt des WHO-Generaldirektors, in das er 2017 aufrückte.
Tedros ist jedoch bis zum Ende seiner Amtszeit 2022 ein WHO-Chef auf Bewährung. So heißt es aus diplomatischen Kreisen. Spätestens auf der Weltgesundheitsversammlung 2022 werden die 194 Mitgliedsländer über seine Zukunft entscheiden. Viel wird für Tedros davon abhängen, ob das WHO-Programm für Covid-19-Impfungen zum Erfolg wird. Erst im Februar soll das Programm „Covax“mit der Lieferung von Impfdosen beginnen.
Bei der weiteren Karriereplanung von Tedros wird auch das WHO-Schwergewicht USA wieder ein gehöriges Wort mitreden. Direkt an seinem ersten Amtstag stoppte der neue US-Präsident Joe Biden den Austrittsprozess seines Landes aus der Organsisation. „Das ist ein guter Tag für die WHO“, jubelte Tedros. Jetzt muss Tedros der Biden-Administration zeigen, dass er der Richtige an der Spitze ist.
Inmitten der Krise wirft ausgerechnet die Regierung seines Heimatlandes dem WHO-Chef Knüppel zwischen die Beine. Tedros diente von 2005 bis 2016 in einem autoritären Regime in Äthiopien zuerst als Gesundheitsminister, dann als Außenminister. Im Jahr 2018 übernahm die jetzige Regierung in Addis
Abeba die Macht. Die äthiopische Armeespitze behauptete im November 2020, Tedros agitiere in dem blutigen Konflikt um die Tigray-Region gegen den Zentralstaat. „Das ist nicht wahr“, entgegnet der Beschuldigte.
Das Kopfschütteln über Tedros setzte im Januar 2020 ein, als er tagelang zögerte, bis er den internationalen Gesundheitsnotstand anordnete. Eine Untersuchungskommission legt jetzt nahe, dass die WHO „raschere und stärkere Warnungen“hätte aussenden können. Brisant: Die Kommission mit der früheren Präsidentin Liberias, Ellen Johnson Sirleaf, als Ko-Vorsitzenden wurde von der WHO selbst auf den Weg gebracht.
Ebenso sorgte das allzu enge Verhältnis des WHO-Chefs zum autoritären China für Befremden. Tedros überschüttete das Covid-19-Ursprungsland lange mit Lob. Schon damals kamen erhebliche Zweifel an Pekings Corona-Politik auf. Später bezichtigt der damalige US-Präsident Donald Trump die WHO und China, den Ausbruch gemeinsam vertuscht zu haben. Die Manöver von Tedros seien „tödlich“; Trump leitete den US-Ausstieg aus der WHO ein. Über Tedros’ Lippen kam lange so gut wie kein kritisches Wort an die Adresse Chinas. Erst am 5. Januar wurde es dann auch ihm zu viel. Mehrere Tage hatten Chinas Behörden die Einreise internationaler Corona-Experten blockiert. „Ich bin sehr enttäuscht“, brachte Tedros hervor.