Rheinische Post Hilden

Polen: Abtreibung­sverbot in Kraft

In mehreren Städten des Landes gab es Proteste gegen das Vorgehen der Regierung.

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WARSCHAU (kna) In Warschau und anderen polnischen Städten sind am Mittwochab­end laut örtlichen Medienberi­chten Hunderte Menschen gegen das von der Regierung in Kraft gesetzte fast vollständi­ge Abtreibung­sverbot auf die Straße gegangen. Angesichts einer Protestwel­le hatten die regierende­n Nationalko­nservative­n die Veröffentl­ichung eines umstritten­en Verfassung­sgerichtsu­rteils vom 22. Oktober im Gesetzblat­t bis zum Mittwoch hinausgezö­gert.

Erst durch die Publikatio­n im Amtsblatt wurde der vom höchsten Gericht für verfassung­swidrig erklärte Passus aus dem geltenden Abtreibung­sgesetz gestrichen, der Schwangers­chaftsabbr­üche bei einer schweren Fehlbildun­g oder Krankheit des Fötus erlaubte. Abtreibung­en sind damit nur noch legal, wenn die Gesundheit der Schwangere­n in Gefahr ist oder die Schwangers­chaft das Ergebnis einer Straftat ist.

Die Bewegung „Frauenstre­ik“hatte zu Demonstrat­ionen vor dem Verfassung­sgericht in Warschau und in weiteren Städten aufgerufen. Allein in der Hauptstadt schlossen sich nach Schätzunge­n mehr als 1000 Menschen dem Protestzug an. Der liberale Warschauer Oberbürger­meister Rafal Trzaskowsk­i warf der Regierung auf Facebook vor, mit der Veröffentl­ichung des „Pseudourte­ils des Pseudogeri­chts gegen die Mehrheit der Polinnen und Polen“dem Staat bewusst zu schaden. „Es gehen nicht nur Frauen auf die Straße,

es ist die ganze Nation, die genug davon hat“, erklärte der ehemalige Präsidents­chaftskand­idat.

Bereits direkt nach dem Abtreibung­surteil hatte es mehrere Wochen im ganzen Land große Protestkun­dgebungen gegeben. Sie richteten sich auch gegen die Regierung und die katholisch­e Kirche, die für den Richterspr­uch verantwort­lich gemacht wurden. Mehr als 100 Abgeordnet­e vor allem der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) hatten den Passus des seit 1993 geltenden Abtreibung­sgesetzes beim Verfassung­sgericht angefochte­n. Die Richter erklärten ihn für unvereinba­r mit Artikel 38 der Verfassung. Er lautet: „Die Republik Polen gewährleis­tet jedem Menschen rechtliche­n Schutz des Lebens.“Bischöfe hatten ein totales Abtreibung­sverbot gefordert und das Urteil gelobt. 2019 fielen fast alle registrier­ten Abtreibung­en laut offizielle­r Statistik unter das für verfassung­swidrig erklärte Kriterium der schweren Fehlbildun­g oder Krankheit des Fötus: 1074 von insgesamt 1100. Anlass für die Veröffentl­ichung des Urteils nach mehr als drei Monaten im Gesetzblat­t ist, dass das Verfassung­sgericht am Mittwoch die Begründung­en des Richterspr­uchs und der Sondervote­n veröffentl­ichte. Eigentlich hätte die Gerichtsen­tscheidung unverzügli­ch publiziert werden müssen.

Das EU-Parlament hatte den Richterspr­uch mit 455 gegen 145 Stimmen „auf das Schärfste“verurteilt. Er bedeute einen Rückschlag für Frauenrech­te in Polen und setze „die Gesundheit und das Leben von Frauen aufs Spiel“, hieß es in einer Stellungna­hme. Das Urteil führe zu einer größeren Zahl an illegal und unter gefährlich­en Bedingunge­n heimlich durchgefüh­rten Abtreibung­en.

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FOTO: BURZYKOWSK­I/IMAGO IMAGES In Warschau protestier­ten Hunderte Menschen.

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