Priester für schonungslose Transparenz
Zwei Initiativen von Kölner Seelsorgern haben Kardinal Rainer Maria Woelki Brandbriefe geschrieben. Einer ihrer Wünsche: die Veröffentlichung der Missbrauchsstudie. Unterdessen steigen im Erzbistum die Austrittszahlen.
KÖLN Im Erzbistum Köln melden sich jetzt auch die Priester kritisch zu Wort. Zwei Initiativen mit jeweils gut 30 Pfarrern haben an Rainer Maria Kardinal Woelki sogenannte Brandbriefe geschrieben. Der Grund: Insbesondere durch die mangelnde Aufarbeitung im Missbrauchsskandal erleide die Kirche im Erzbistum einen nachhaltigen Glaubwürdigkeitsund Vertrauensverlust in ihrer pastoralen Arbeit, zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“. Dafür habe die Bistumsleitung „persönliche Verantwortung“zu übernehmen.
Nur „schonungslose Transparenz und Aufklärung“könne gewährleisten, dass sich so etwas nicht wiederholen kann und wird, heißt es. Darüber hinaus schreiben die Seelsorger von einer „immer stärker werdenden inneren Distanzierung“. Diese Entwicklung wollen die Priester nicht mehr länger stillschweigend und resignierend hinnehmen.
Auslöser zu diesem in der Kirche ungewöhnlichen Schritt der Unmutsbekundung ist die anhaltende und eskalierende Debatte um das Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ( WSW ). 2018 war es vom Erzbistum in Auftrag gegeben, dann aber nicht veröffentlicht worden. „Methodische Mängel“wurden als Grund für die Zurückhaltung angeführt. Das Gutachten konzentrierte sich im Wesentlichen auf Vertuschungen von Missbrauchsfällen durch Vertreter der Bistumsleitung.
Aber auch das jüngste Angebot der Kanzlei – die ähnliche Gutachten bereits für verschiedene deutsche Bistümer erstellte, unter anderem für Aachen –, ihre Untersuchung ausschließlich auf der eigenen Website zu veröffentlichen und damit mögliche Haftungsrisiken selbst zu übernehmen, lehnte das Erzbistum ab.
„Ich verstehe nicht, warum die Studie noch immer unter Verschluss gehalten wird. Zumal mit einer Veröffentlichung viel Druck aus dem Kessel genommen werden könnte“, sagte Pastor Klaus Koltermann im Gespräch mit unserer Redaktion. Zu Beginn dieses Jahres waren dem Dormagener Priester noch dienstrechtliche Konsequenzen angedroht worden, nachdem dieser Kardinal Woelki öffentlich kritisiert hatte.
Klaus Koltermann gehört jetzt auch zu den Unterzeichnern des Priesterschreibens. „Wir suchen und wollen den Dialog. Die Bistumsleitung ist doch nicht unser Feind“, so Pastor Koltermann. „Aber es kann auch nicht sein, wenn einer mal etwas kritisiert, dass er gleich damit rechnen muss, bestraft zu werden. Das schürt nur Angst. Wir müssen angstfrei miteinander umgehen können.“
Auch vor diesem Hintergrund nehmen die beiden Initiativen der Seelsorger eine besondere Bedeutung ein. „Wir Priester haben mit unserem Versprechen, gehorsam und loyal zu sein, nie gelernt, unsere Interessen gemeinsam zu vertreten. Wenn mal ein Pfarrer etwas kritisierte und dann nach Köln zitiert wurde, hatte der schlicht und einfach keine Lobby und war der Struktur ausgeliefert“, sagt Pfarrer Koltermann.
Mit ihrer Initiative hätten die Priester endlich einen Weg gefunden, miteinander zu kommunizieren. „Manche haben Angst, öffentlich in Erscheinung zu treten, so mussten wir viele erst aus ihren Nischen herauslocken. Aber es muss auch dem Erzbischof daran gelegen sein, dass er Priester und Mitarbeiter hat, die mitdenken und sich engagieren und nicht einfach nur ihren Job erledigen.“
Das Erzbistum Köln zeigte sich am Donnerstag dazu bereit, mit der Kritik der Seelsorger-Initiativen konstruktiv umzugehen. „Wir müssen und werden unseren Dialog intensivieren“, sagte Generalvikar Markus Hofmann unserer Redaktion. Nach seinen Worten lasse sich nur mit Zuhören und im Austausch die Herausforderungen auch beim Pastoralen Zukunftsweg und der unabhängigen Untersuchung meistern.
Sowohl Kardinal Woelki als auch Generalvikar Hofmann und Pfarrer Mike Kolb als Leiter Personal Seelsorge hätten in den vergangenen Tagen viele Gespräch mit Priestern und Gremienvertretern geführt. „Wir diskutieren sehr offen und intensiv in unseren Gremien und persönlichen Gesprächen die aktuelle Situation im Erzbistum Köln“, so der Generalvikar. Diese Gesprächsmöglichkeiten würden auch weiterhin bestehen, wie Markus Hofmann betont: „Wem etwas am Herzen liegt, der engagiert sich – und so sehe ich auch das Schreiben meiner Mitbrüder.“
Inzwischen kehren immer mehr Gläubige dem Kölner Erzbistum den Rücken zu. So hat sich die Zahl der Online-Terminbuchungen für Kirchenaustritte in den vergangenen Monaten beinahe verdoppelt. Nach dem ersten Lockdown seien es beim zuständigen Amtsgericht zunächst etwa 600 bis 650 Termine im Monat gewesen. Da diese aber schnell vergriffen waren, hatte die Behörde jetzt noch einmal 100 weitere Termine pro Woche eingeführt.
Doch auch die verfügbaren 1000 Termine pro Monat sind derzeit offenbar nicht ausreichend. Sowohl der Februar als auch der März seien schon ausgebucht, erklärte ein Sprecher.