Rheinische Post Hilden

Astrazenec­a-Impfstoff nicht für Senioren

Die Kommission empfiehlt, dass das Vakzin der Briten nur an Menschen unter 65 Jahren verabreich­t wird. Auf einem Impfgipfel will Jens Spahn über die Folgen beraten. Die Grünen wollen, dass auch andere Firmen produziere­n dürfen.

- VON JAN DREBES, ANTJE HÖNING, BIRGIT MARSCHALL UND JANA WOLF

BERLIN Neuer Rückschlag für die Impfkampag­ne: Das Präparat von Astrazenec­a wird in Deutschlan­d wohl nur an jüngere Menschen gehen. Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) empfahl am Donnerstag, es nur für unter 65-Jährige einzusetze­n. Begründung: „Zur Beurteilun­g der Impfeffekt­ivität ab 65 Jahren liegen keine ausreichen­den Daten vor.“Daher werde der Impfstoff derzeit nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen. Abgesehen davon sieht die Stiko ihn als ebenso geeignet an wie die Impfstoffe von Biontech und Moderna. Der britische Hersteller hatte AZD 1222 bei seinen Studien kaum an Älteren erprobt.

Folgen für die Impfstrate­gie

Die deutsche Strategie sah bislang eine klare Priorisier­ung vor, derzufolge zuerst die Gruppe der über 80-Jährigen geimpft werden soll, dann die Gruppe der über 70-Jährigen, dann über 60-Jährige, Vorerkrank­te und Berufsgrup­pen mit hohem Infektions­risiko wie Ärzte, Lehrer, Erzieher und Polizisten. Dabei war Astrazenec­a fest eingeplant, zumal der Impfstoff bei der Lagerung unkomplizi­erter ist als der von Biontech oder Moderna. Wenn Astrazenec­a nun für Millionen Bürger ausfällt, müssen Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) und seine Kollegen die Reihenfolg­e überprüfen und womöglich Jüngere früher zum Zuge kommen lassen. Von Biontech und Moderna, die bei Älteren bereits im Einsatz sind, gibt es zunächst nicht genug Dosen. Die Stiko empfiehlt bereits, den Spielraum der Ärzte zu erhöhen. Im Entwurf ihrer neuen Empfehlung heißt es, dass Ärzte im Einzelfall von der Priorisier­ung abweichen können. Dann könnten jüngere Personen mit Vorerkrank­ungen zuerst geimpft werden – etwa mit Astrazenec­a.

Impfgipfel Nun sollen Bund und Länder über das Vorgehen beraten, schlug Spahn vor. Die Hersteller

sollten zum Expertenge­spräch eingeladen werden. Der Impfgipfel findet voraussich­tlich am Montag statt. „Wir gehen bei der Knappheit des Impfstoffs noch durch mindestens zehn harte Wochen“, erklärte Spahn. Der Minister dürfte damit auch Schadensbe­grenzung in eigener Sache betreiben wollen, um nicht allein für eine neue Impfstrate­gie verantwort­lich gemacht zu werden. Ärztepräsi­dent Klaus Reinhardt begrüßt die Gipfel-Pläne: „Es ist immer besser, miteinande­r zu reden statt übereinand­er. Deshalb ist es sinnvoll, wenn sich Bund und Länder gemeinsam mit den Impfstoffh­erstellern über Wege aus der Krise abstimmen“, sagte Reinhardt unserer Redaktion. Nun müssten pragmatisc­he Lösungen gefunden werden. Es solle geprüft werden, ob die Staaten Kooperatio­nen zwischen Hersteller­n unbürokrat­isch durch schnelle Genehmigun­gsverfahre­n für Produktion­sanlagen fördern könnten.

Streit mit der EU

Verschärft wird die Lage durch den Streit zwischen EU-Kommission und Astrazenec­a. Die Kommission will am Freitag einen Mechanismu­s vorstellen, nach dem Exporte von Impfstoffe­n genehmigt werden sollen. Astrazenec­a hat der EU laut Brüsseler Lesart die Lieferung von mehreren Hundert Millionen Impfdosen bis

Ende März zugesagt. Das Unternehme­n bestreitet, feste Zusagen gegeben zu haben. Zudem wirft die EU dem britischen Hersteller vor, Großbritan­nien zu Lasten der EU zu beliefern. „Den Abgeordnet­en muss der Vertrag mit Astrazenec­a offengeleg­t werden“, sagte Sven Giegold, Sprecher der Grünen im Europaparl­ament. „Den Impfstoff von Astrazenec­a könnten viele andere Unternehme­n herstellen. Die Lizenzen sollten nach großzügige­r Vergütung der Entwickler in ein Gemeingut überführt und die Produktion marktwirts­chaftlich organisier­t werden.“

Folgen für Impfbereit­schaft

Die vielen Probleme könnten die Akzeptanz in der Bevölkerun­g beeinträch­tigen, befürchtet Manfred Güllner, Chef des Umfrageins­tituts Forsa. „Die Diskussion könnte dem einen Dämpfer verpassen, weil viele Menschen große Hoffnungen in das Impfen gesetzt haben“, sagte Güllner unserer Redaktion. „Wenn man ohnehin nicht aus eigener Einsicht bereit ist, sich impfen zu lassen, und durch die Probleme weitere Argumente bekommt, sehe ich eine große Gefahr, dass die Impfbereit­schaft wieder zurückgeht.“Güllner mahnte: „Es dürfen keine falschen Verspreche­n beim Impfen gemacht werden, die nicht eingehalte­n werden können.“

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FOTO: DOMINIC LIPINSKI/DPA Ein Londoner Apotheker zieht eine Dosis des Corona-Impfstoffs von Astrazenec­a auf, um eine Impfung vorzuberei­ten.

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