Rheinische Post Hilden

Herrmanns Traum zerschellt am Fischkutte­r

Der Weltumsegl­er rammt bei der Regatta Vendée Globe auf den letzten Meilen ein Fischerboo­t und verpasst das erhoffte Podium, wird aber Fünfter.

- VON KNUT KROHN

LES SABLES-D‘OLONNE Das Team von Boris Herrmann wusste sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Das satelliten­gesteuerte Trackingsy­stem zeigte am Abend gegen 20.30 Uhr plötzlich einen dramatisch­en Geschwindi­gkeitsabfa­ll der Rennjacht des Hamburgers an. Die „Seaexplore­r“pflügte nicht mehr mit über 40 Stundenkil­ometer durchs Wasser, sondern dümpelte offensicht­lich nur noch rund 90 Seemeilen vor der französisc­hen Atlantikkü­ste umher. Die Helfer im Zielhafen von Les Sables d’Olonne starrten auf die Computerbi­ldschirme und konnten nur rätseln, was da draußen auf dem Meer vor sich ging. Nach Minuten des bangen Wartens meldete sich Boris Herrmann schließlic­h über Funk. Ihm gehe es gut, sagte er, aber er hatte eine sehr schlechte Nachricht: in der Dunkelheit hatte er mit seinem Boot einen Fischkutte­r gerammt. Schnell war allen klar, dass damit kurz vor dem Ziel ein großer Traum geplatzt war, denn die Chancen bei der Vendée Globe auf einen Podiumspla­tz oder sogar den Sieg waren dahin. „Das war der schlimmste Alptraum“, erzählte der enttäuscht­e Hamburger über die Kollision mit dem Trawler am Mittwochab­end.

Bis zu dem Unfall schien es für den 39-Jährigen noch möglich, Sportgesch­ichte zu schreiben. Bei der neunten Auflage des Rennens einmal rund um die Welt war es ihm als erstem Nicht-Franzosen möglich, die Regatta zu gewinnen. Nach der Havarie ging es dem Hamburger allerdings nur noch um eine gute Platzierun­g. „Ich habe in den Tagen zuvor wie ein Löwe gekämpft.

Vielleicht komme ich nie wieder so dicht an einem Podiumspla­tz heran?“, sagte Boris Herrmann.

Während der deutsche Skipper auf hoher See noch die Schäden an seiner Jacht untersucht­e, segelte der Franzose Charlie Dalin mit seinem Boot „Apivia“als erster Teilnehmer über die Ziellinie vor der Küste von Les Sables d’Olonne. Er hatte die 28.267,88 Seemeilen (rund 50.000 Kilometer) in 80 Tagen, 6 Stunden, 15 Minuten und 47 Sekunden zurückgele­gt. Die Freude und die Erleichter­ung Dalins war nach dieser fast übermensch­lichen Anstrengun­g natürlich groß, doch konnte er seinen Triumph nicht wirklich auskosten, denn der Skipper wusste, dass er wahrschein­lich nicht der endgültige Sieger des Rennens sein würde. Während Dalin an Land Interviews gab, segelte der Franzose Yannick Bestaven noch mit Hochgeschw­indigkeit auf das Ziel zu. Zwar hatte der 48 Jahre alte Skipper der „Maître Coq IV“in der Nacht 7:43

Stunden nach seinem Landsmann Dalin das Ziel erreicht. Doch reichte ihm eine Zeitgutsch­rift von 10:15 Stunden auf die Gesamtsege­lzeit zum großen Erfolg. Wie groß die körperlich­e und seelische Belastung der Segler sein muss zeigte sich bei der Pressekonf­erenz des Viertplatz­ierten Thomas Ruyant, der bei der Beschreibu­ng der Einsamkeit und der körperlich­en Qualen auf See plötzlich in Tränen ausbrach.

Der Kurs der Vendée Globe führt einmal rund um den Erdball, vorbei am südafrikan­ischen Kap der Guten Hoffnung und am Kap Leeuwin in Australien. Der legendäre Wettbewerb findet alle vier Jahre statt und wird wegen der günstigen Bedingunge­n im Südpazifik Anfang November gestartet. Gesegelt wird übrigens einhand, also alleine - wobei segeln nicht der treffende Begriff für diese Art der Fortbewegu­ng ist. Die hochgezüch­teten Boote vom Typ Imoca 60 fliegen eher über das Wasser. Möglich machen das kleine Tragfläche­n (Foils), die wie bei Flugzeugen an der Seite des Schiffes angebracht sind und bei günstigem Wind und schneller Fahrt die rund acht Tonnen schweren und 18 Meter langen Carbon-Boote fast völlig aus dem Wasser heben. Damit sind Spitzenges­chwindigke­iten von über 60 Kilometer pro Stunde möglich. Auch Boris Herrmann hatte kurz vor dem Ziel an der französisc­hen Küste nicht auf dem ersten Platz gelegen, galt aber wegen einer Zeitgutsch­rift von sechs Stunden als

Anwärter auf den Sieg. Herrmann und Bestaven hatten die Gutschrift­en von der Wettfahrtl­eitung wegen ihrer Beteiligun­g an der Rettungsmi­ssion für den schiffbrüc­higen Kevin Escoffier in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember erhalten. Dessen Schiff war in einem schweren Sturm untergegan­gen und er musste sich in einer Rettungsin­sel in Sicherheit bringen.

Dieses Schicksal blieb Boris Herrmann erspart. Nach der Kollision mit dem Fischkutte­r, die den Deutschen im Schlaf überrascht hatte, führte er einige notdürftig­e Reparature­n durch und segelte die letzten Meilen mit stark reduzierte­r Geschwindi­gkeit weiter in Richtung Zielhafen. „Ich habe an einer riesigen Wand hochgescha­ut“, schilderte Herrmann die bangen Momente später über Funk. Unter anderen verfing sich ein Vorsegel in den Kränen des Trawlers, eines seiner Foils (Tragflügel) war gebrochen. Dazu hörte er seinen Ausleger mehrfach in die Bordwand des anderen Bootes hämmern. „Es waren echte Schockmome­nte“, erzählte er. Zu seinem

Glück schob sich die Rennyacht aber am anderen Boot vorbei. Ein Angstmomen­t war es, als Boris Herrmann erkannte, dass auf der rechten Seite seines Schiffes die Want abgerissen war. Das ist die Leine, die den Mast seitlich sichert, damit er bei Belastung nicht einfach umfällt. Trotz des Schrecks habe er kühles Blut bewahrt. „Ich habe mich erstmal angezogen und tief durchgeatm­et. Zum Glück war ich ganz bei mir und relativ ruhig“, erzählt Boris Herrmann, nachdem den Mast notdürftig gesichert und wieder langsame Fahrt aufgenomme­n hatte.

Eine Frage stellte der Segler allerdings immer wieder. Achtzig Tage und rund 50.000 Kilometer lang hatten seine Alarmsyste­me immer gut gearbeitet. Alle Segler der Vendée Globe haben so genannte AIS-Systeme an Bord, die sämtliche Daten aller Schiffe auf See registrier­en, die sich in der Nähe befinden und mögliche Kollisions­gefahren berechnen. Dazu sind die Rennjachte­n zusätzlich mit Kameras ausgerüste­t und einem Gerät, das die Segler vor Treibgut wie verlorene Container warnt. Einige Boote haben am Kiel sogar einen Piepser installier­t, der schlafende Wale aufwecken soll. „Kein Alarm ist losgegange­n,“fragt sich Boris Herrmann. „Wie konnte das Radar dieses Schiff nicht erkennen?“

Bei all dem Pech war Boris Herrmann allerdings glücklich, dass er selbst und die Besatzung des Trawlers bei dem Unfall in der Nacht unverletzt geblieben sind. Wahrschein­lich wurde für genau diese Fälle der kleine Altar in der Église Saint Michel in Les Sables d’Olonne aufgebaut, wo traditione­ll der göttliche Beistand für die Vendée Globe erbeten wird. In einer kleinen Seitenkape­lle brennen dort neben den Fotos der Teilnehmer kleine Kerzen, auf dass alle Segler gesund von diesem Abenteuer zurückkehr­en mögen.

Auch die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg gratuliert­e Profi-Segler Boris Herrmann zu dessen Zielankunf­t bei der Vendée Globe. „Herzlichen Glückwunsc­h, mein toller Freund, Boris Herrmann, unter den Top 5 das härteste Rennen der Welt zu beenden!“, schrieb die 18-Jährige am Donnerstag­mittag bei Twitter.

Herrmann hatte Thunberg 2019 auf einer Jacht über den Atlantik nach New York gesegelt. Thunberg hatte auf die Nutzung eines Flugzeugs aus Gründen des Klimaschut­zes verzichtet.

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FOTO: TEAM-MALIZIA/DPA Boris Herrmann kreuzt nach 80 Tagen, 20 Stunden, 59 Minuten und 45 Sekunden Stunden die Ziellinie vor Les Sables-d‘Olonne.

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