Das alte Feindbild Deutschland
Die rechtsnationale Regierung Polens strebt massive Änderungen in der EU an. Die PiS begründet ihre Politik stets aufs Neue mit dem Widerstand gegen das angeblich übermächtige Berlin. Selbst ein EU-Austritt ist nicht mehr tabu.
Witold Waszczykowski hat noch nie viel von diplomatischer Mäßigung gehalten. Das war schon zu seiner Zeit als polnischer Außenminister so, von 2015 bis 2018. Zum Start ins Amt rechnete der Politiker der rechtskonservativen PiS damals mit Linken, Grünen und Liberalen in Europa ab. Es komme ihm manchmal so vor, als müsse sich „die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in nur eine Richtung bewegen – zu einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, einer Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen“.
Es war kein Zufall, dass Waszczykowski den Satz, der bald einige Berühmtheit erlangte, zunächst via „Bild“-Zeitung an ein deutsches Publikum richtete. Denn zum ideologischen Kern der PiS gehört seit Langem die Überzeugung, dass die EU in erster Linie ein deutsches Projekt ist. Jüngst eröffnete PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski ein programmatisches Interview, in dem er auf die kommenden Jahre vorausblickte, mit der Aussage: „Es ist kein Geheimnis, dass in der EU-Kommission die Deutschen entscheiden.“Ziel der Berliner Politik sei es, die politische Integration auf dem Kontinent immer weiter voranzutreiben. Diesen Plänen jedoch, so lautete Kaczynskis Kampfansage, werde Polen unter Führung der PiS niemals zustimmen.
Wenige Tage später war es wiederum Waszczykowski, der in einer Twitter-Botschaft auf den Rückzug von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Politik vorausblickte. Wenn Merkel aus dem Amt scheide, werde er ihr keine Träne nachweinen: „2020 war ein Jahr des Rechtsbruchs in Europa und der brutalen Umsetzung deutscher Interessen in den Bereichen Klima, Gas, Beziehungen zu China. Es war ein Jahr der Förderung Russlands, der Vertreibung der USA aus Europa und der Schwächung der Nato.“Was die PiS ihrerseits im Jahr 2021 vorhat, hatte zuvor Kaczynski klargemacht: Polen strebe eine Änderung der EU-Verträge an, um den Nationalstaaten wieder mehr Freiheiten zu geben, selbst zu entscheiden.
Das klang schon fast wie bei Boris Johnson vor dem Brexit-Referendum 2016. „Take back control“lautete damals die Devise der Brexiteers – die Kontrolle über das eigene Land zurückgewinnen. Tatsächlich hält die Debatte über einen möglichen Polexit, also einen Austritt Polens aus der EU, in Warschau seit Wochen an. Am Ende entscheide das Volk, erklärte Kaczynski zuletzt. Eine klare Absage an einen Polexit sehe anders aus, analysierte die Wirtschaftszeitung „Puls Biznesu“. Kaczynski sage zwar „nicht offen, dass er unter den Bedingungen einer engeren EU-Integration einen Polexit unterstützen würde, aber aus seinen Worten geht das klar hervor. Das heißt natürlich nicht, dass ein solches Szenario in Sichtweite ist, aber das Risiko ist gestiegen.“
Zu verstehen sind die Polexit-Debatten sowie die Angriffe auf Merkel und „das deutsche Europa“nur vor dem Hintergrund der polnischen Innenpolitik. Denn Auslöser der jüngsten PiS-Offensive war die Einigung auf einen neuen EU-Rechtsstaatsmechanismus im Dezember, den Polen und Ungarn lange mit einem Veto gegen den Haushalt der Europäischen Union blockiert hatten. Am Ende war den Regierungen in Warschau und Budapest aber der ungestörte Geldfluss wichtiger. Sie begnügten sich mit einer faktischen Schonfrist, die endet, sobald der Europäische Gerichtshof über den Mechanismus geurteilt hat. Das dürfte im äußersten Fall zwei Jahre dauern, eher weniger.
Für den weiteren Umbau der polnischen Demokratie, den sich die PiS auf die Fahnen geschrieben hat, ist die Frist in jedem Fall zu knapp. Die nächste Parlamentswahl in Polen steht erst Ende
Witold Waszczykowski Polnischer Ex-Außenminister 2023 an. Bis dahin wollen Kaczynski und vor allem Justizminister Zbigniew Ziobro die absolute Mehrheit der „Vereinigten Rechten“im Sejm, dem polnischen Parlament, nutzen, um den hochumstrittenen Umbau des Gerichtswesens abzuschließen und vor allem den privaten Mediensektor unter Regierungskontrolle zu bringen. Auch in diesem Fall greift das alte Feindbild Deutschland: Vor allem der Berliner Axel-Springer-Verlag ist an mehreren auflagenstarken Tageszeitungen, Magazinen und Internetportalen in Polen beteiligt.
Das soll sich nach dem Willen der Warschauer Regierung ändern. „Es kann nicht sein, dass ein Teil der Medien zum Wahlkampfstab unserer Konkurrenten zählt“, hatte Ziobro nach der Präsidentschaftswahl im vergangenen Juli erklärt und eine „Repolonisierung“im Mediensektor angekündigt. Im Dezember kaufte der staatliche Energiekonzern PKN Orlen den Regionalzeitungsverlag Polska Press, eine Tochter der deutschen Verlagsgruppe Passau. Weitere Übernahmen sollen folgen. Dabei stehen die einflussreichen staatlichen Rundfunk- und Fernsehsender längst unter Kontrolle der PiS. Seit dem Machtwechsel 2015 stürzte Polen in der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen von Platz 18 auf Rang 62 ab.
Ob der Rechtsstaatsmechanismus der Europäischen Union geeignet ist, solche Entwicklungen zu stoppen, ist offen. Dass die polnische Regierung den Mechanismus fürchtet, ist aber nicht zu übersehen. Justizminister Ziobro kündigte bereits an, die entsprechende EU-Verordnung dem polnischen Verfassungstribunal vorzulegen, das mehrheitlich mit PiS-treuen Richtern besetzt ist. Sollte das Gericht die europäischen Regeln für verfassungswidrig erklären, würde dies zu einer Konfrontation zwischen polnischen und EU-Institutionen führen. Da der Mechanismus den Stopp von Finanzhilfen vorsieht, säße die Kommission in Brüssel zwar am längeren Hebel. Die PiS aber dürfte die Frage nach einem Polexit in dieser Situation noch einmal neu stellen.
„2020 war ein Jahr des Rechtsbruchs in Europa“