Rheinische Post Hilden

Raubopfer liefert dem Gericht als Zeuge neue Erkenntnis­se

Der 86-jährige Pensionär wurde von der Polizei beim Landgerich­t vorgeführt. Zum vierten Mal schilderte das Opfer als Zeuge die grauenvoll­en Stunden.

- VON SABINE MAGUIRE

HAAN Als die Polizisten am Montagmorg­en unerwartet bei ihm an der Türe geklingelt hätten, habe er sich gerade im Badezimmer rasiert. Die Herren seien sehr nett und die Fahrt durch den Schnee zum Wuppertale­r Landgerich­t wunderbar gewesen. Dass er dort polizeilic­h vorgeführt worden war, nahm der Pensionär augenschei­nlich mit Humor. So etwas als Opfer eines Raubüberfa­lls zu können, zeugt von großer seelischer Kraft. Die scheint der Mann auch deshalb gut gebrauchen zu können, weil es nun schon das vierte Mal innerhalb der letzten drei Jahre war, dass der mittlerwei­le 86-Jährige in dieser Sache als Zeuge aussagen musste.

Das hätte er eigentlich schon in der vergangene­n Woche tun sollen, da war er aus Furcht vor Corona nicht gekommen. Das allein genügte dem Gericht nicht als Entschuldi­gung, ein ärztliches Attest wäre nötig gewesen. So steht es in der Opferfibel des Bundesjust­izminister­iums, die Strafproze­ssordnung lässt keinen Ermessenss­pielraum zu.

Der Vorsitzend­e Richter ordnete die polizeilic­he Vorführung an und verhängte ein Ordnungsge­ld. Alternativ­en? Keine. Dass es solche Reglungen gibt, hat einen nachvollzi­ehbaren Grund: Nicht selten überlegen es sich Zeugen anders und wollen nicht vor Gericht aussagen. Sei es aus Angst, oder auch aus Bequemlich­keit: Wer so etwas tut, erschwert die Beweisaufn­ahme. Das Täter am Ende glimpflich oder gar straffrei davonkomme­n, weil Opfer nicht aussagen möchten? Das kann niemand wollen.

Im Falle des Haaner Raubopfers sind es daher vor allem moralische Grenzberei­che der Zumutbarke­it, inmitten derer man sich bei der Einordnung eines solchen Vorgangs bewegt. Geladen worden war der Pensionär auf Betreiben der Verteidigu­ng – allenfalls der Angeklagte und dessen Anwalt hätten also auf eine erneute Ladung verzichten können. Und möglicherw­eise haben sie sich auch keinen Gefallen damit getan: Gründliche Nachfragen des Richters brachten nun neue Erkenntnis­se zutage.

Hatte das Opfer bislang davon gesprochen, nur zwei unterschie­dliche Stimmen gehört zu haben, so scheinen nun immer mehr Erinnerung­en zurückzuko­mmen. Er habe drei unterschie­dliche Stimmlagen wahrgenomm­en: Einer der Männer habe mit russischem Akzent gesprochen. Ein anderer habe ihm mit Ironie in der Stimme vor dem Anzünden des Hauses gesagt, dass es gleich schön warm werden würde. Zuvor soll ein Dritter gesagt haben: „Wir fahren jetzt.“

Für den Angeklagte­n dürfte einiges davon abhängen, wie das Gericht diese Aussage des Zeugen bewertet. Bislang hatte der 38-Jährige beteuert, das Haus verlassen zu haben, als der Pensionär Ende Mai 2017 nach Hause gekommen sei. Er will zitternd auf der Terrasse ausgeharrt haben, während Mittäter den gefesselte­n und geknebelte­n Mann stundenlan­g malträtier­ten. Dem psychiatri­schen Gutachter hatte der Angeklagte gesagt, er habe sein Zeitgefühl verloren und sich nicht getraut, ohne die Mittäter abzuhauen.

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