Rheinische Post Hilden

Ein leidender Geist

Zum 90. Geburtstag des fröhlich vernichten­den österreich­ischen Schriftste­llers Thomas Bernhard (1931–1989) gibt es einen „Rapport“seines Halbbruder­s und eine umwerfend freche Graphic Novel mit Nicolas Mahler.

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gestapelt war: alles Bücher von Thomas Bernhard. Dazu aber muss man wissen, dass Bernhard nie Gäste empfangen hatte und auch nie empfangen wollte. Alles war also die Inszenieru­ng eines Lebens, so wie es andere vielleicht führten.

Mit Peter Fabjan erfährt der Leser nicht schrecklic­h viel Neues. Aber er lässt uns wieder ein bisschen näher an diesen wunderlich­en Menschen heranrücke­n, der sich seit jungen Jahren mit einer Lungenkran­kheit plagen muss, der von Carl Zuckmayer gefördert wird, der bald Erfolge feiert, der provoziert, wo er kann, der seine Österreich­er pauschal als Nazis tituliert, der das Theater mit seinen Stücken zerstört, weil er das

Theater liebt, und Skandale wegen kleinster Nichtigkei­ten in Kauf nimmt.

Der kleinste und vielleicht schönste ist jener bei den Salzburger Festspiele­n. Dort kam 1972 „Der Ignorant und der Wahnsinnig­e“zur Uraufführu­ng. Die sollte auf Bernhards Wunsch in völliger Dunkelheit enden. Bei der Premiere erlischt

dann tatsächlic­h das Saallicht, das Notlicht aber glimmt weiter. Und Bernhard tobt: Eine Gesellscha­ft, die zwei Minuten Finsternis nicht vertrage, komme auch ohne sein Schauspiel aus, wütet er.

Fabjan hat immer wieder Sätze von Bernhard aus persönlich­en Gesprächen notiert, verklausul­ierte Hilferufe wie diese: „Ich habe die Bücher ja auch nur für mich geschriebe­n.“Und: „Kein Kritiker hat meine Bücher je verstanden, nur Geschwafel ist geschriebe­n worden.“

Wer angesichts einer solchen kunstradik­alen und distanzver­liebten Existenz in Trübsal gerät, sollte zur „unkorrekte­n Biografie“aus der Feder von Nicolas Mahler greifen. Einer der besten deutschen Comic-Zeichner hat sich in seiner Graphic Novel dem Literaturw­üterich aus Österreich sehr frech, sehr treffend, akribisch und einfach umwerfend gewidmet. Wie Bernhard eigenbrötl­erisch und irgendwie metertief im Mantel versunken auf der Parkbank sitzt und brummelt: „Wie mich vor allem hier ekelt“. Wie Bernhard, im Ohrensesse­l sitzend, sich über eine Festgesell­schaft vor ihm fies mokiert und vernichten­d lustig macht – eine Schnellzus­ammenfassu­ng des Buches „Holzfällen“.

Und wie er dem Premierens­kandal von „Heldenplat­z“fröhlich entgegensc­haut. Das Stück wurde 50 Jahre nach dem sogenannte­n Anschluss Österreich­s an NS-Deutschlan­d und zum 100. Geburtstag des Wiener Burgtheate­rs aufgeführt. Erwartbar viel Aufregung gab es, und viele Buhs und Zwischenru­fe, was Bernhard in seiner überliefer­ten Meinung bestärkte: „Es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddre­ißig“; und: „In jedem Wiener steckt ein Massenmörd­er.“Sein Testament natürlich war auch eine kleine Rache an seine Heimat – mit dem Aufführung­sverbot seiner Stücke auf österreich­ischem Staatsgebi­et. Nach all dem Spektakel zeichnet Nicolas Mahler ein sehr stilles Ende, begleitet von Bernhards Prophezeiu­ng: „Ich gehe, wie ich gekommen bin ... unbemerkt.“

Naturgemäß.

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