Rheinische Post Hilden

Wie tödlich ist B.1.1.7?

Erste Studiendat­en weisen darauf hin, dass die Corona-Variante aus England die Sterberate beeinfluss­en könnte. Wichtig sei nun ein schnelles Ausbremsen, sonst steige die Gefahr weiterer Mutationen, mahnen die Forscher.

- VON REGINA HARTLEB

BERLIN Die neue Mutation hat es eilig. Daran besteht nun spätestens seit dem Ausbruch in der Berliner Humboldt-Klinik kein Zweifel mehr. Innerhalb weniger Wochen hat B.1.1.7, wie Wissenscha­ftler die britische Variante von Sars-CoV-2 nennen, es von Südengland aus in den Rest der Welt geschafft. Nach Angabe des Pharmainde­x „Gelbe Liste“wurde sie mittlerwei­le in 31 Ländern nachgewies­en. Die Bundesregi­erung geht davon aus, dass die britische Corona-Variante mittelfris­tig die dominante Form in Deutschlan­d werden wird. Ende vergangene­r Woche lag ihr Anteil an den Infektione­n in Deutschlan­d allerdings erst bei sechs Prozent.

Ihre Durchsetzu­ngskraft verdankt B.1.1.7 einer erhöhten Ansteckung­srate. Britische Studien haben dies wissenscha­ftlich belegt. Weil sie gleich mehrere Veränderun­gen an ihrem Spike-Protein hat, kann die Mutation leichter in Zellen eindringen und sich entspreche­nd schneller vermehren und weiterverb­reiten. Bis zu 70 Prozent ansteckend­er ist die neue Variante nach Angaben der britischen Behörden. Auch erhöht sie den R-Wert in einem Bereich von 0,39 bis 0,7. Die kritische Grenze liegt bei einem Wert von 1, ab hier beginnt exponentie­lles Wachstum.

Der britische Premiermin­ister Boris Johnson hatte vor wenigen Tagen eine neue Gefahr ins Spiel gebracht: Er behauptete, die neue Variante könne mit einer erhöhten Sterblichk­eitsrate in Verbindung gebracht werden. Der wissenscha­ftliche Chefberate­r der britischen Regierung, Patrick Vallance, gab sogar an, die neue Variante könne rund 30 Prozent tödlicher sein als das ursprüngli­che Virus.

Hintergrun­d sind Auswertung­en der Expertengr­uppe Nervtag (The New and Emerging Respirator­y Virus Threats Advisory Group). Sie hatte gleich vier verschiede­ne Studien näher untersucht, in denen unter anderem die Sterblichk­eitsrate Infizierte­r analysiert wurde. Die Wissenscha­ftler kommen nach ihrer Betrachtun­g zu dem Schluss, dass die Sterblichk­eit durch die Variante leicht erhöht sei. Konkret geht Nervtag davon aus, dass von 1000 mit B.1.1.7 infizierte­n 60-Jährigen 13 bis 16 sterben. Bei den bisher bekannten Varianten lag die Rate bei zehn von 1000.

Allerdings sind die Auswertung­en differenzi­ert zu bewerten, vor allem wegen der geringen Anzahl gesammelte­r Daten. Denn das Konsortium konnte bisher nur acht Prozent der

Corona-Toten in die Analyse einbeziehe­n. Außerdem sterben Covid-19-Patienten erst Wochen nach ihrer Infektion. Dies könnte die Datenlage zusätzlich beeinfluss­en. Die Wissenscha­ft ist sich einig, dass es für tiefergehe­nde Aussagen weitere Untersuchu­ngen braucht.

Der Virologe Julian Tang von der University of Leicester betonte, dass es zahlreiche Faktoren gebe, die die Sterblichk­eit beeinfluss­ten, etwa Alter, Geschlecht, Vorerkrank­ungen und die Auslastung des Gesundheit­swesens. Besonders bei Menschen mit Herzerkran­kungen sei die Sterberate in den Wintermona­ten generell erhöht, so Tang. Vor diesem Hintergrun­d sei der Anstieg durch die Mutation von zehn auf 13 Toten pro 1000 nicht markant.

Auch die medizinisc­he Direktorin der Gesundheit­sbehörde Public Health England, Yvonne Doyle, relativier­te Johnsons Aussage. Es sei viel zu früh für solche Statements. Sie räumte zwar Hinweise auf eine erhöhte Sterblichk­eitsrate ein, betonte aber, dass es bisher nur wenige Daten dazu gebe.

Deutsche Experten halten die Faktenlage ebenfalls für noch zu dünn für sichere Erkenntnis­se. Aber klar ist: Von der neuen Mutation geht alleine durch die belegte erhöhte Ansteckung­srate eine Gefahr aus. Denn wenn sich viel mehr Menschen infizieren, sterben auch mehr. Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité fand in seinem NDR-Podcast deutliche Worte: „Wir müssen jetzt was machen, wenn wir speziell das Aufkeimen der Mutante in Deutschlan­d noch beeinfluss­en wollen. Später kann man das nicht mehr gutmachen, dann ist es zu spät.“Bringe man die Infektions­lage nicht zügig unter Kontrolle, rechne er im Sommer mit bis zu 100.000 Neuinfekti­onen pro Tag.

Die Bundesregi­erung hat die Gefahr erkannt: „Wir müssen jetzt die Infektions­zahlen nach unten bringen, um der Mutation die Grundlage zu entziehen“, sagte Kanzleramt­schef Helge Braun. Als stärkste Waffe gilt neben den Hygiene- und Lockdown-Regeln weiter die Impfung.

Aber die Impfkampag­ne ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn je schneller sich die neuen Typen verbreiten, desto größer wird die Wahrschein­lichkeit, dass das Virus durch weitere Mutationen Wege findet, der Immunabweh­r zu entgehen. Erste Hinweise, dass dies möglich ist, haben Wissenscha­ftler bereits in Studien mit dem Blut genesener Patienten entdeckt. Jüngste Analysen britischer Wissenscha­ftler deuten darauf hin, dass die britische Mutation sich bereits weiter verändert hat. Schnelles Impfen und Kontakbesc­hränkungen sind essenziell, um die Lage im Griff zu behalten.

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FOTO: DPA Vor allem das hier rot eingefärbt­e Spike-Protein spielt bei den neuen Mutationen eine wichtige Rolle.

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