Rheinische Post Hilden

„Europa hat nicht das Recht zu versagen“

Erstmals stellt sich Ursula von der Leyen ihren Kritikern im EU-Parlament und räumt abermals Fehler bei der Impfstrate­gie ein.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Seitdem die Kritik an der EU-Impfstrate­gie lauter geworden war, hatte sich EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen rar gemacht. Jetzt ging sie mit einem Auftritt im EU-Parlament in die Offensive. Die 62-Jährige räumte Versäumnis­se ein. „Es ist eine Tatsache, dass wir im Kampf gegen das Virus noch nicht da sind, wo wir sein wollen.“Die EU-Kommission, die federführe­nd für alle 27 Mitgliedst­aaten die Verhandlun­gen mit sechs Hersteller­n geführt hat, sei zu optimistis­ch gewesen. Das gelte für die Massenprod­uktion des Impfstoffs genauso wie für die Kontrolle, dass das Bestellte auch geliefert werde.

Wer die Missstände zu verantwort­en hat, sagte von der Leyen nicht.

Es fiel allerdings auf, dass sie im Plenum mit keinem Wort verteidige­nd Stella Kyriakides erwähnte – die verantwort­liche Gesundheit­skommissar­in, die in diesen Tagen vor allem von den Boulevardz­eitungen in Deutschlan­d persönlich angegriffe­n wird.

Vehement verteidigt­e von der Leyen dafür den Ansatz, gemeinsam zu bestellen: Wenn reiche Mitgliedst­aaten für sich den Impfstoff „gesichert hätten und die anderen leer ausgegange­n wären“, so wäre dies nicht nur wirtschaft­lich Unsinn gewesen, sondern hätte das Ende der Gemeinscha­ft bedeutet. Die Zulassung der Impfstoffe in der EU sei zwar später gekommen als anderswo. Doch diese Zeit sei eine notwendige Investitio­n in Sicherheit und Vertrauen gewesen.

Jetzt will von der Leyen Konsequenz­en ziehen aus dem, was nicht gut gelaufen ist: Der für den Binnenmark­t zuständige Industriek­ommissar Thierry Breton soll mit einer neuen Arbeitsgru­ppe dafür sorgen, dass die Impfstoffp­roduktion hochgefahr­en wird. Von der Leyen sieht die Pharmafirm­en in der Verantwort­ung: „Die Industrie muss Schritt halten mit den bahnbreche­nden Schritten der Wissenscha­ftler.“

Von der Leyen rechtferti­gte den Mechanismu­s zur Kontrolle der Impfstoffe­xporte aus der EU: Niemand wolle die Unternehme­n

behindern, die ihre Verträge gegenüber der EU erfüllten. Aber: „Wir bestehen darauf, dass wir unseren fairen Anteil bekommen.“

In der anschließe­nden Aussprache wurde deutlich: Von der Leyen kann weiterhin auf das Vertrauen der drei Fraktionen zählen, die ihre Kommission

vor einem Jahr gewählt haben: Christdemo­kraten, Sozialiste­n und Liberale sicherten ihr Loyalität zu. Aber die Fraktionsc­hefs erhöhten deutlich den Druck auf die deutsche Kommission­spräsident­in. Der Chef der größten Fraktion, Christdemo­krat Manfred Weber, sagte: „Um noch Enttäuschu­ng zu verhindern, muss die Wahrheit gesagt werden.“Dazu gehöre auch das Eingeständ­nis, dass der Bedarf größer sei als die mittelfris­tig lieferbare­n Impfstoffm­engen. Iratxe Garcia von den Sozialiste­n forderte, die Impfquote müsse deutlich hochgehen. Dacian Ciolos von den Liberalen betonte, der gemeinsame Ansatz sei zwar richtig, bedeute aber keinen Blankosche­ck für die Kommission: „Europa hat an dieser Stelle nicht das Recht zu versagen.“

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FOTO:AP

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