Rheinische Post Hilden

Speicher für Solarwende

Das Start-up Sonnen wollte mit Batterielö­sungen den Energiemar­kt revolution­ieren. An den Ambitionen des neuen Chefs Oliver Koch hat die Übernahme durch Shell nichts geändert.

- VON FLORIAN RINKE

NEUSS Australien, Südkorea, Kalifornie­n, Wildpoldsr­ied im Allgäu – man kann sich vorstellen, dass der Wechsel zu Sonnen für den gebürtigen Neusser Oliver Koch ein Kulturscho­ck war. Doch jetzt, sechseinha­lb Jahren später, lässt sich die Geschichte des Geschäftsf­ührers des Energiespe­icher-Anbieters Sonnen auch umgekehrt erzählen, als Aufbruch aus der Provinz in die Welt.

Aber der Reihe nach: Gestartet 2010 in Wildpoldsr­ied, ist Sonnen heute mit Standorten in Berlin, Großbritan­nien, Italien, den USA und Australien rund um den Globus vertreten. Weltweit arbeiten rund 700 Menschen für das Unternehme­n, das inzwischen nicht nur Energiespe­icher anbietet, sondern sich anschickt, auch als Stromverso­rger eine zentrale Rolle zu spielen. Oliver Koch sagt jedenfalls sehr selbstbewu­sst: „Für die klassische­n Energiever­sorger ist es eine Bedrohung ihres Geschäftsm­odells, wenn man mit jemandem wie Sonnen die Stromkoste­n auf null Euro senken kann.“

Null Euro – das ist das große Verspreche­n der Energiewen­de, die Sonnen seit Jahren aktiv vorantreib­t. Das bayerische Wildpoldsr­ied ist dafür der perfekte Standort: 2018 wurde in der Gemeinde achtmal mehr Strom aus erneuerbar­en Energie erzeugt, als vor Ort verbraucht wurde. Hier, in der vermeintli­chen Provinz des Allgäus starteten Christoph Ostermann und Torsten Stiefenhof­er ihr Start-up Sonnen, mit dem sie Privathaus­halte mit Batteriesp­eichern ausstatten wollten. Besitzer von Solaranlag­en konnten ihren Strom vom Dach speichern und selbst verwenden, anstatt ihn ins Stromnetz einzuspeis­en. Stattdesse­n kann der Strom auch nachts verwendet werden, wenn die Sonne nicht scheint. „Wir waren eigentlich zu früh dran, wir mussten den Markt erst einmal entwickeln“, hat Ostermann über diese Zeit einmmal gesagt. Der Gründer hat sich nach knapp zehn Jahren des rasanten Wachstums zurückgezo­gen und die Leitung von Sonnen in die Hände von Oliver Koch übergeben, der nun die nächste Phase der Firmengesc­hichte dirigieren soll.

„Am Anfang bestand unser Geschäftsm­odell aus dem Verkauf von Energiespe­ichern“, sagt Koch. Mehr als 50.000 Haushalte hat das Unternehme­n inzwischen damit ausgerüste­t. Nun hat man damit begonnen, die Anlagen zu vernetzen, um so virtuelle Kraftwerke zu schaffen. So könne man inzwischen sogar Netzbetrei­bern wie Tennet Dienstleis­tungen anbieten, mit denen sich das Netz stabilisie­ren lässt, sagt Koch. Tennet wiederum würde dafür sogar bezahlen, und die Kunden bekämen einen Teil als Prämie ausgezahlt. Bislang übernahmen etablierte Stromanbie­ter

solche Aufgaben mit ihren Kraftwerke­n – Eon, RWE, Steag. Es sind Namen aus Kochs alter Heimat. Der Manager ist im nordrhein-westfälisc­hen Kaarst aufgewachs­en, der Braunkohle-Tagebau Garzweiler ist nur knapp 30 Kilometer entfernt.

Koch hat sich jedoch der Zukunft verschrieb­en. Er erzählt von Ladezyklen, von Batterieze­llen aus Lithium-Eisenphosp­hat, die ohne den häufig durch Kinderarbe­it gewonnenen Rohstoff Kobalt auskommen, und lacht, wenn man fragt, ob alte Batterien aus Elektroaut­os nach ein paar Jahren noch als Heimspeich­er genutzt werden können. „Die Technologi­e unserer Speicher-Batterien ist eine etwas andere als in der Autoindust­rie. Die dort verwendete­n Batteriety­pen würden wir in unseren Heimspeich­ern nicht verbauen“, sagt Koch diplomatis­ch.

Doch das sehen andere Anbieter anders. In Aachen entwickelt das Start-up Voltfang Batteriesp­eicher aus alten Elektroaut­o-Batterien. Die Speicher von Sonnen würden zwar mehr Ladezyklen schaffen, sagt Gründer David Oudsandji. Dank intelligen­ter Algorithme­n können man jedoch wie Sonnen eine Verwendung von zehn Jahren als Heimspeich­er gewährleis­ten – und das, ohne dafür neue Zellen produziere­n zu müssen.

Der Markt ist also umkämpft und wird sich durch Innovation­en immer wieder verändern, das weiß man auch in Wildpoldsr­ied. Als neue Wettbewerb­er hat Sonnen Anbieter wie Tesla oder BYD ausgemacht. Die Elektroaut­o-Hersteller setzen ebenfalls darauf, ihre Kunden mit Heimspeich­ern zu versorgen. Umgekehrt setzt Sonnen nun auch auf den Vertrieb von Elektroaut­os im Abonnement, wobei man einen Tesla Model 3 mieten kann – ab 1129 Euro im Monat, Strom inklusive.

Für den Kunden soll es so einfach wie möglich sein. Ginge es nach Koch, sollte das umgekehrt auch für Unternehme­n wie Sonnen in Europa gelten. Denn während für Touristen die Schlagbäum­e gefallen sind, orientiert sich der Energiesek­tor noch vielfach an Landesgren­zen. „Ein Handy muss für Europa nur einmal zugelassen werden“, sagt Koch: „Der Energiemar­kt ist hingegen sehr heterogen, da gibt es leider noch keine einheitlic­hen europäisch­en Regeln.“

Unterstütz­ung bekommt Koch von der Verbrauche­rzentrale NRW, die sich ebenfalls für bessere Rahmenbedi­ngungen einsetzt. „Wir finden solche dezentrale­n Ansätze wie den von Sonnen sehr gut. Der aktuelle Rechtsrahm­en verhindert aber, dass solche Ideen sich stärker durchsetze­n“, sagt der dortige Energie-Experte Thomas Seltmann. In einem anderen Punkt widerspric­ht er dem Sonnen-Chef jedoch: Die Stromrechn­ung von null Euro hält er für einen Marketing-Gag; immerhin würde man allein eine fünfstelli­ge Summe in Photovolta­ikanlage und Batteriesp­eicher investiere­n. „Was Sonnen hier wohl meint, sind die Kosten für den verbleiben­den Strombezug aus dem Netz“, sagt Seltmann.

Am Wachstumsp­otenzial ändert das nichts. Davon ist man bei Shell überzeugt. Der Energiekon­zern hat sich schon 2018 an Sonnen mit Risikokapi­tal beteiligt. Damals machte Sonnen bei knapp 70 Millionen Euro Umsatz noch rund 25,5 Millionen Euro Verlust. Seit Shell das bayerische Start-up 2019 komplett übernommen hat, werden keine genauen Zahlen mehr kommunizie­rt. Glaubt man Koch, hat sich nach der Übernahme ansonsten aber wenig geändert: „Der Speicherma­rkt steht weltweit noch am Anfang – und wir setzen daher weiter auf schnelles und starkes Wachstum“, sagt er.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ?? FOTO: SONNEN ?? Sonnen-Chef Oliver Koch.
FOTO: SONNEN Sonnen-Chef Oliver Koch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany