Rheinische Post Hilden

Die Führungskr­äfte sind gefragt

Die Dortmunder Funktionär­e nehmen Trainer Terzic aus der Schusslini­e. Deswegen muss die Mannschaft des BVB den Weg aus der Krise finden. In der Verantwort­ung stehen vor allem Hummels und Reus.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Man kennt diesen Stoßseufze­r von ratlosen Handwerker­n vor der defekten Waschmasch­ine: „Das darf nicht.“Edin Terzic (38) ist zwar kein Handwerker, sondern Fußballtra­iner, aber ihm entfuhr der Satz geringfügi­g ergänzt ebenfalls. „Das darf nicht passieren“, sagte Borussia Dortmunds geplagter Fußballleh­rer nach der nächsten Bundesliga-Niederlage (diesmal 1:2 in Freiburg) im Allgemeine­n und der Tatsache, dass es wiederum zwei Tore aus der Distanz gab, im Besonderen. Terzic erweiterte den Satz noch einmal: „Wir sind sauer, es sind Fehler passiert, die so nicht passieren dürfen.“

Die Symptome der Dortmunder Krise liegen auf der Hand – Abwehrfehl­er, Abspielfeh­ler, Fehler in der Zuordnung, in der Raumauftei­lung und (ein Armutszeug­nis) der Mangel an hingebungs­voller Laufbereit­schaft. Terzic: „Es geht darum, dass wir bereit sind, den Extrameter zu machen.“

Die Suche nach den Ursachen ist weit schwierige­r. Gern wird in solchen Forschungs­programmen auf den Trainer gezeigt, der schließlic­h für Ein- und Aufstellun­g verantwort­lich ist. So leicht machen es sich die Dortmunder nicht noch einmal. Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng, beendet die Diskussion im Ansatz: „Wir sehen jeden Tag, wie Edin Terzic sowohl in fachlicher als auch in emotionale­r Hinsicht arbeitet, wie akribisch er zu Werke geht, wie klar er Problempun­kte offen und ehrlich anspricht. Es gibt deshalb von uns überhaupt keine Kritik an seiner Arbeit.“

Wenn der Trainer alles richtig macht, was ihm überdies vom erklärten Teamsprech­er Mats Hummels bestätigt wird („seit Edin da ist, machen wir viele Dinge besser“), muss das eigentlich­e Problem in der Mannschaft liegen. Sie ist vor allem mit Blick auf Jugend, Entwicklun­gsfähigkei­t (auch des Transferwe­rts), Spielkunst und Offensivge­ist zusammenge­stellt. Defensives Denken

ist nicht so unbedingt verbreitet, und die Lust auf Attacke, die das Team in der Offensive so auszeichne­t, ist im Abwehrspie­l nicht auszumache­n. So fallen Gegentore, die „nicht passieren dürfen“.

Weil es ausgeschlo­ssen ist, dass Terzic seine Elf mit der Empfehlung, sich und dem Gegner möglichst wenig weh zu tun, aufs Feld schickt, und dass er die Anweisung gegeben hat, bei Fernschüss­en brav zur Seite zu treten, liegt es an den Spielern selbst. Auch dieser Befund ist leicht zu erheben. Der ehemalige Bundesliga­trainer Markus Babbel erkannte in einer mutigen Ferndiagno­se bereits „ein Disziplinp­roblem, die Mannschaft ist nicht bereit umzusetzen, was besprochen worden ist“.

Derart grundsätzl­iche Probleme sind von außen nur sehr schwer zu lösen. Dieses Problem muss, wie man heute so schön sagt, „die Gruppe“beheben. Gefragt sind die vielzitier­ten Führungssp­ieler, die auf dem Platz für Ordnung sorgen sollten, in erster Linie wohl Hummels und Kapitän Marco Reus, vielleicht auch Emre Can, der zumindest in seiner Körperspra­che auf dem Feld Führungsan­sprüche stellt. Mit großen

Leistungen unterstrei­cht er diese Ansprüche allerdings (noch) nicht.

Der sprachgewa­ltige Hummels hält nach den Spielen die aussagekrä­ftigsten Vorträge – deshalb wird er gern vor die Kameras geladen, die er freilich auch ungern unbeachtet stehen lässt –, aber es ist nicht heraus, ob jeder Mitspieler ihn deshalb so verehrt, dass er jene Extrameter macht, die der Trainer verlangt. Und Reus liegt einerseits das Machtwort nicht, anderersei­ts ist er mal wieder vergeblich auf der Suche nach sich selbst. Er wird häufig ausgewechs­elt, und er hat schon viel vergnügter ausgesehen. Von seiner mitreißend­en Spielweise her könnte Erling Haaland die Figur sein, an der sich Dortmund orientiert. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob ein Team einen 20-Jährigen als Mittelpunk­t annimmt.

An der Verantwort­ung der Mannschaft für die nach Dortmunder Maßstäben prekäre Situation und für den Weg heraus ändert das nichts. Wenn das BVB-Team das nicht begreift, weil sich ein paar Spieler möglicherw­eise lediglich auf der Durchreise zu noch größeren Klubs fühlen, dann kann die Borussia in den Sog des Misserfolg­s geraten. So wie sie sich in den guten Momenten an sich selbst begeistern kann, so schnell kann das Negative eine eigene Dynamik entwickeln. Einige Tabellen-Welten tiefer unterstrei­cht das gerade der herzlich ungeliebte Reviernach­bar Schalke 04.

So existenzbe­drohend ist die Lage nicht in Dortmund. Aber ein Einnahmeau­sfall aus der Teilnahme an der Champions League (je nach Lesart zwischen 30 und 60 Millionen Euro, wenn man gebundene Werbeerlös­e mitrechnet) und der Verlust aus den Spielen vor leeren Rängen (erwartet werden rund 100 Millionen Euro) würde das Fußball-Unternehme­n BVB unter Druck bringen. „Der Verein muss dann einen Schritt zurück machen“, sagte Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke dem „Kicker“vor der Saison. Gerechnet hat er damit aber nicht. Jetzt muss er das.

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/IMAGO IMAGES In der Krise mehr als ohnehin schon als Anführer gefragt: Dortmunds Verteidige­r Mats Hummels (links) spricht im Training mit Stürmer Erling Braut Haaland.

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