Die Führungskräfte sind gefragt
Die Dortmunder Funktionäre nehmen Trainer Terzic aus der Schusslinie. Deswegen muss die Mannschaft des BVB den Weg aus der Krise finden. In der Verantwortung stehen vor allem Hummels und Reus.
DORTMUND Man kennt diesen Stoßseufzer von ratlosen Handwerkern vor der defekten Waschmaschine: „Das darf nicht.“Edin Terzic (38) ist zwar kein Handwerker, sondern Fußballtrainer, aber ihm entfuhr der Satz geringfügig ergänzt ebenfalls. „Das darf nicht passieren“, sagte Borussia Dortmunds geplagter Fußballlehrer nach der nächsten Bundesliga-Niederlage (diesmal 1:2 in Freiburg) im Allgemeinen und der Tatsache, dass es wiederum zwei Tore aus der Distanz gab, im Besonderen. Terzic erweiterte den Satz noch einmal: „Wir sind sauer, es sind Fehler passiert, die so nicht passieren dürfen.“
Die Symptome der Dortmunder Krise liegen auf der Hand – Abwehrfehler, Abspielfehler, Fehler in der Zuordnung, in der Raumaufteilung und (ein Armutszeugnis) der Mangel an hingebungsvoller Laufbereitschaft. Terzic: „Es geht darum, dass wir bereit sind, den Extrameter zu machen.“
Die Suche nach den Ursachen ist weit schwieriger. Gern wird in solchen Forschungsprogrammen auf den Trainer gezeigt, der schließlich für Ein- und Aufstellung verantwortlich ist. So leicht machen es sich die Dortmunder nicht noch einmal. Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielerabteilung, beendet die Diskussion im Ansatz: „Wir sehen jeden Tag, wie Edin Terzic sowohl in fachlicher als auch in emotionaler Hinsicht arbeitet, wie akribisch er zu Werke geht, wie klar er Problempunkte offen und ehrlich anspricht. Es gibt deshalb von uns überhaupt keine Kritik an seiner Arbeit.“
Wenn der Trainer alles richtig macht, was ihm überdies vom erklärten Teamsprecher Mats Hummels bestätigt wird („seit Edin da ist, machen wir viele Dinge besser“), muss das eigentliche Problem in der Mannschaft liegen. Sie ist vor allem mit Blick auf Jugend, Entwicklungsfähigkeit (auch des Transferwerts), Spielkunst und Offensivgeist zusammengestellt. Defensives Denken
ist nicht so unbedingt verbreitet, und die Lust auf Attacke, die das Team in der Offensive so auszeichnet, ist im Abwehrspiel nicht auszumachen. So fallen Gegentore, die „nicht passieren dürfen“.
Weil es ausgeschlossen ist, dass Terzic seine Elf mit der Empfehlung, sich und dem Gegner möglichst wenig weh zu tun, aufs Feld schickt, und dass er die Anweisung gegeben hat, bei Fernschüssen brav zur Seite zu treten, liegt es an den Spielern selbst. Auch dieser Befund ist leicht zu erheben. Der ehemalige Bundesligatrainer Markus Babbel erkannte in einer mutigen Ferndiagnose bereits „ein Disziplinproblem, die Mannschaft ist nicht bereit umzusetzen, was besprochen worden ist“.
Derart grundsätzliche Probleme sind von außen nur sehr schwer zu lösen. Dieses Problem muss, wie man heute so schön sagt, „die Gruppe“beheben. Gefragt sind die vielzitierten Führungsspieler, die auf dem Platz für Ordnung sorgen sollten, in erster Linie wohl Hummels und Kapitän Marco Reus, vielleicht auch Emre Can, der zumindest in seiner Körpersprache auf dem Feld Führungsansprüche stellt. Mit großen
Leistungen unterstreicht er diese Ansprüche allerdings (noch) nicht.
Der sprachgewaltige Hummels hält nach den Spielen die aussagekräftigsten Vorträge – deshalb wird er gern vor die Kameras geladen, die er freilich auch ungern unbeachtet stehen lässt –, aber es ist nicht heraus, ob jeder Mitspieler ihn deshalb so verehrt, dass er jene Extrameter macht, die der Trainer verlangt. Und Reus liegt einerseits das Machtwort nicht, andererseits ist er mal wieder vergeblich auf der Suche nach sich selbst. Er wird häufig ausgewechselt, und er hat schon viel vergnügter ausgesehen. Von seiner mitreißenden Spielweise her könnte Erling Haaland die Figur sein, an der sich Dortmund orientiert. Es ist allerdings mehr als fraglich, ob ein Team einen 20-Jährigen als Mittelpunkt annimmt.
An der Verantwortung der Mannschaft für die nach Dortmunder Maßstäben prekäre Situation und für den Weg heraus ändert das nichts. Wenn das BVB-Team das nicht begreift, weil sich ein paar Spieler möglicherweise lediglich auf der Durchreise zu noch größeren Klubs fühlen, dann kann die Borussia in den Sog des Misserfolgs geraten. So wie sie sich in den guten Momenten an sich selbst begeistern kann, so schnell kann das Negative eine eigene Dynamik entwickeln. Einige Tabellen-Welten tiefer unterstreicht das gerade der herzlich ungeliebte Reviernachbar Schalke 04.
So existenzbedrohend ist die Lage nicht in Dortmund. Aber ein Einnahmeausfall aus der Teilnahme an der Champions League (je nach Lesart zwischen 30 und 60 Millionen Euro, wenn man gebundene Werbeerlöse mitrechnet) und der Verlust aus den Spielen vor leeren Rängen (erwartet werden rund 100 Millionen Euro) würde das Fußball-Unternehmen BVB unter Druck bringen. „Der Verein muss dann einen Schritt zurück machen“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke dem „Kicker“vor der Saison. Gerechnet hat er damit aber nicht. Jetzt muss er das.