Das gefräßige Nationaltier
Kängurus sind Teil der australischen Landschaft. Doch eine Studie fand jetzt heraus, dass sie mehr Schaden an der Natur anrichten als eingeschleppte Tierarten wie Kaninchen. Schuld an der Überbevölkerung ist der Mensch.
SYDNEY Als einheimisches Tier wird das Känguru normalerweise nicht als Bedrohung für die australische Vegetation angesehen. Nur die Farmer beklagen sich regelmäßig darüber, dass die Beuteltiere ihnen die Weiden kahl fressen, Getreide zertrampeln oder Zäune beschädigen. Eine Studie der Universität von New South Wales in Sydney hat nun jedoch herausgefunden, dass auch die einheimische Landschaft durch die Überweidung von Kängurus Schaden nimmt. Zu viele Kängurus richten wohl sogar mehr Schaden an der Natur an als eingeschleppte Tierarten wie die Kaninchen.
Charlotte Mills, eine Ökologin und die Hauptautorin der Studie, die im Fachmagazin „Global Ecology and Conservation“veröffentlicht wurde, sagte, dass sich frühere Forschungen stets auf die Auswirkungen von Kaninchen konzentriert hätten, aber viel weniger über die Effekte von Kängurus bekannt gewesen sei. „Kaninchen und andere eingeführte Pflanzenfresser wie Ziegen werden in Australien oft als Hauptverursacher von Überweidung angesehen“, sagte sie. „Wir haben jedoch festgestellt, dass Kängurus einen größeren Einfluss auf das Land und insbesondere auf das Gras haben.“Zeichen einer Überweidung von Kängurus lassen sich laut der australischen Forscher inzwischen in zahlreichen Naturschutzgebieten nachweisen.
„Die Kängurus haben ernste Effekte auf Böden und Vegetation“, sagte auch Michael Letnic, ein weiterer Ökologe der Universität von New South Wales, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Auf den Flächen, auf denen Kängurus weideten, gab es nicht nur weniger Pflanzenarten, auch die Böden waren nährstoffärmer und dichter. Dies bedeutet beispielsweise, dass bei Regen weniger Wasser vom Boden aufgenommen werden kann.
Die Ergebnisse der australischen Universität basieren auf Feldforschungen, die während der Dürre im Jahr 2018 in insgesamt vier Naturschutzgebieten in semi-ariden Teilen des Landes unternommen wurden. Dafür wurden eingezäunte Abschnitte eingerichtet, in denen entweder Kaninchen, Kängurus oder beide Tierarten gemeinsam beobachtet wurden. Die Forscher verglichen in diesen Arealen dann die Gesundheit des Bodens und der
Vegetation. „Wir neigen dazu, Känguru-Beweidung als einen natürlichen Prozess zu betrachten, da es sich um eine einheimische Art handelt“, sagte Letnic. Doch inzwischen gebe es zu viele Kängurus in Naturschutzgebieten. So fanden die Forscher im Rahmen der Studie heraus, dass die Känguru-Dichte in den Schutzgebieten bis zu 145 Tiere pro Quadratkilometer betrug. Dies könne sich dann negativ auf die biologische Vielfalt auswirken.
Wartet man auf eine natürliche Korrektur der Überbevölkerung, so gefährdet dies weitere Arten, die ebenfalls auf die Vegetation angewiesen sind und womöglich kurz vor dem Aussterben stehen. Schuld an dieser Entwicklung ist letztendlich wieder einmal der Mensch. „Die Menschen haben die Dingos getötet – die natürlichen Feinde der Kängurus“, sagte Letnic. Das habe es den Kängurus leichter gemacht, sich zu vermehren.
Unter Umständen muss nun der Mensch noch einmal eingreifen, „um das Gleichgewicht wiederherzustellen und die nachteiligen Auswirkungen der Überweidung zu verringern“, wie der australische Forscher erklärte. Dies sei besonders in Zeiten von Dürre wichtig. Neben der Sterilisation von Tieren wäre eine Möglichkeit, mehr Tiere für die Fleisch- und Lederindustrie zu töten. Schon jetzt legt jeder Bundesstaat in Australien eine jährliche Quote fest, wie viele Tiere gejagt werden dürfen.
Bryan Grieg Fry, ein Biologe an der Universität von Queensland, forderte bereits 2017, dass mehr Kängurus auf den australischen Speiseplan sollten. Doch obwohl Kängurufleisch fettarm und zudem reich an Eisen, Protein und Omega 3 ist, haben viele Australier ein Problem damit, ihr Wappentier zu verspeisen. Im Supermarkt gibt es zwar in einer kleinen „Spezialitätenecke“auch Krokodil, Büffel, Reh und Känguru, doch hauptsächlich sind die Regale mit Geflügel, Rind-, Schweine- und Lammfleisch gefüllt.
Viele Tierschützer lehnen die Idee, Kängurus zu jagen, ebenfalls ab. Sie zweifeln vor allem daran, dass die
Jäger immer treffen, nicht zuletzt da die Jagd in der Regel nachts stattfindet. Bei Streifschüssen würden die Tiere qualvoll sterben, lautet eines der Argumente gegen die Abschüsse der Kängurus.
Mark Pearson, ein Vertreter der australischen Tierschutzpartei, stritt Ende vergangenen Jahres sogar öffentlich ab, dass die Zahl der Kängurus überhand genommen hätte. „Ich lade all diejenigen ein, die an dieser Behauptung festhalten, um sie zu töten: Zeigt sie mir“, schrieb er in einem Statement. „Bringt mich an die Orte, an denen Kängurus anscheinend eine Plage sind, weil ich habe das nirgendwo bisher gesehen – nicht vor den Buschfeuern und geschweige denn seither.“
Bei den verheerenden Buschfeuern in der Saison 2019/2020 waren insgesamt mehr als drei Milliarden Tiere in Australien ums Leben gekommen, darunter auch viele Kängurus und Wallabys.