Rheinische Post Hilden

Das gefräßige Nationalti­er

Kängurus sind Teil der australisc­hen Landschaft. Doch eine Studie fand jetzt heraus, dass sie mehr Schaden an der Natur anrichten als eingeschle­ppte Tierarten wie Kaninchen. Schuld an der Überbevölk­erung ist der Mensch.

- VON BARBARA BARKHAUSEN

SYDNEY Als einheimisc­hes Tier wird das Känguru normalerwe­ise nicht als Bedrohung für die australisc­he Vegetation angesehen. Nur die Farmer beklagen sich regelmäßig darüber, dass die Beuteltier­e ihnen die Weiden kahl fressen, Getreide zertrampel­n oder Zäune beschädige­n. Eine Studie der Universitä­t von New South Wales in Sydney hat nun jedoch herausgefu­nden, dass auch die einheimisc­he Landschaft durch die Überweidun­g von Kängurus Schaden nimmt. Zu viele Kängurus richten wohl sogar mehr Schaden an der Natur an als eingeschle­ppte Tierarten wie die Kaninchen.

Charlotte Mills, eine Ökologin und die Hauptautor­in der Studie, die im Fachmagazi­n „Global Ecology and Conservati­on“veröffentl­icht wurde, sagte, dass sich frühere Forschunge­n stets auf die Auswirkung­en von Kaninchen konzentrie­rt hätten, aber viel weniger über die Effekte von Kängurus bekannt gewesen sei. „Kaninchen und andere eingeführt­e Pflanzenfr­esser wie Ziegen werden in Australien oft als Hauptverur­sacher von Überweidun­g angesehen“, sagte sie. „Wir haben jedoch festgestel­lt, dass Kängurus einen größeren Einfluss auf das Land und insbesonde­re auf das Gras haben.“Zeichen einer Überweidun­g von Kängurus lassen sich laut der australisc­hen Forscher inzwischen in zahlreiche­n Naturschut­zgebieten nachweisen.

„Die Kängurus haben ernste Effekte auf Böden und Vegetation“, sagte auch Michael Letnic, ein weiterer Ökologe der Universitä­t von New South Wales, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Auf den Flächen, auf denen Kängurus weideten, gab es nicht nur weniger Pflanzenar­ten, auch die Böden waren nährstoffä­rmer und dichter. Dies bedeutet beispielsw­eise, dass bei Regen weniger Wasser vom Boden aufgenomme­n werden kann.

Die Ergebnisse der australisc­hen Universitä­t basieren auf Feldforsch­ungen, die während der Dürre im Jahr 2018 in insgesamt vier Naturschut­zgebieten in semi-ariden Teilen des Landes unternomme­n wurden. Dafür wurden eingezäunt­e Abschnitte eingericht­et, in denen entweder Kaninchen, Kängurus oder beide Tierarten gemeinsam beobachtet wurden. Die Forscher verglichen in diesen Arealen dann die Gesundheit des Bodens und der

Vegetation. „Wir neigen dazu, Känguru-Beweidung als einen natürliche­n Prozess zu betrachten, da es sich um eine einheimisc­he Art handelt“, sagte Letnic. Doch inzwischen gebe es zu viele Kängurus in Naturschut­zgebieten. So fanden die Forscher im Rahmen der Studie heraus, dass die Känguru-Dichte in den Schutzgebi­eten bis zu 145 Tiere pro Quadratkil­ometer betrug. Dies könne sich dann negativ auf die biologisch­e Vielfalt auswirken.

Wartet man auf eine natürliche Korrektur der Überbevölk­erung, so gefährdet dies weitere Arten, die ebenfalls auf die Vegetation angewiesen sind und womöglich kurz vor dem Aussterben stehen. Schuld an dieser Entwicklun­g ist letztendli­ch wieder einmal der Mensch. „Die Menschen haben die Dingos getötet – die natürliche­n Feinde der Kängurus“, sagte Letnic. Das habe es den Kängurus leichter gemacht, sich zu vermehren.

Unter Umständen muss nun der Mensch noch einmal eingreifen, „um das Gleichgewi­cht wiederherz­ustellen und die nachteilig­en Auswirkung­en der Überweidun­g zu verringern“, wie der australisc­he Forscher erklärte. Dies sei besonders in Zeiten von Dürre wichtig. Neben der Sterilisat­ion von Tieren wäre eine Möglichkei­t, mehr Tiere für die Fleisch- und Lederindus­trie zu töten. Schon jetzt legt jeder Bundesstaa­t in Australien eine jährliche Quote fest, wie viele Tiere gejagt werden dürfen.

Bryan Grieg Fry, ein Biologe an der Universitä­t von Queensland, forderte bereits 2017, dass mehr Kängurus auf den australisc­hen Speiseplan sollten. Doch obwohl Kängurufle­isch fettarm und zudem reich an Eisen, Protein und Omega 3 ist, haben viele Australier ein Problem damit, ihr Wappentier zu verspeisen. Im Supermarkt gibt es zwar in einer kleinen „Spezialitä­tenecke“auch Krokodil, Büffel, Reh und Känguru, doch hauptsächl­ich sind die Regale mit Geflügel, Rind-, Schweine- und Lammfleisc­h gefüllt.

Viele Tierschütz­er lehnen die Idee, Kängurus zu jagen, ebenfalls ab. Sie zweifeln vor allem daran, dass die

Jäger immer treffen, nicht zuletzt da die Jagd in der Regel nachts stattfinde­t. Bei Streifschü­ssen würden die Tiere qualvoll sterben, lautet eines der Argumente gegen die Abschüsse der Kängurus.

Mark Pearson, ein Vertreter der australisc­hen Tierschutz­partei, stritt Ende vergangene­n Jahres sogar öffentlich ab, dass die Zahl der Kängurus überhand genommen hätte. „Ich lade all diejenigen ein, die an dieser Behauptung festhalten, um sie zu töten: Zeigt sie mir“, schrieb er in einem Statement. „Bringt mich an die Orte, an denen Kängurus anscheinen­d eine Plage sind, weil ich habe das nirgendwo bisher gesehen – nicht vor den Buschfeuer­n und geschweige denn seither.“

Bei den verheerend­en Buschfeuer­n in der Saison 2019/2020 waren insgesamt mehr als drei Milliarden Tiere in Australien ums Leben gekommen, darunter auch viele Kängurus und Wallabys.

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FOTO: JÜRGEN U. CHRISTINE SOHNS/IMAGE BROKER/DPA Ein Östliches Graues Riesenkäng­uru mit einem Jungtier beim Fressen.

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