Rheinische Post Hilden

„Endlich wieder unter Menschen gehen“

Das Protokoll Erna Kretteck war eine der Ersten, die am Montag im Impfzentru­m an der Arena gegen das Coronaviru­s geimpft wurden. Jetzt freut sich die 89-Jährige wieder auf etwas mehr Normalität im Leben.

-

Ich möchte mich bedanken. Ich danke allen Menschen, die mich auf dem Weg zur Impfung unterstütz­t haben – meiner Familie, die so viel Zeit und Energie investiert hat, damit ich so schnell einen Termin bekommen habe und die mich zum Impfzentru­m begleitet hat. Ich danke den dortigen Mitarbeite­rn, und ich danke dem Arzt, der mir letztlich die Spritze gegeben hat.

Im Vorfeld der Impfung, muss ich zugeben, war ich sehr angespannt. Man liest ja alles Mögliche über Nebenwirku­ngen. Aber als ich es dann hinter mir hatte, ist der ganze Stress von mir abgefallen. Und ich bin wirklich dankbar und glücklich, dass ich auf dem Weg zur Immunisier­ung bin.

Ohne meine Familie hätte ich das nicht so einfach geschafft. Meine Tochter hat sich, als die Terminverg­abe los ging, morgens um 8 an den Computer gesetzt, und um 11 Uhr hatte ich meinen Termin. Am Montag hat sie mich gemeinsam mit ihrem Mann nach Stockum gefahren. Wir waren auf Verdacht zu früh dran, weil wir nicht wussten, ob alles reibungslo­s funktionie­ren wird. Um die Wartezeit zu überbrücke­n, sind sie noch zum Rhein spaziert und haben das Hochwasser angeschaut. Es war sehr kalt, aber ein richtig schöner Ausflug. Und im Impfzentru­m selbst ging es dann wahnsinnig schnell. Zwischen dem Betreten und dem eigentlich­en Pieks sind vielleicht 20 Minuten vergangen. Alle Mitarbeite­r waren freundlich, man hat gemerkt, dass auch sie froh sind, dass es endlich los geht. Der Arzt war schon älter, Rentner vielleicht, und er hat die Spritze mit Schwung und Können gesetzt. Es war eine sehr angenehme Erfahrung.

Für mich war von Anfang an klar, dass ich mich schnellstm­öglich impfen lassen möchte – das ist bei uns in der Familie einfach so, ich lasse auch jedes Jahr meinen Grippeschu­tz auffrische­n. Ich habe damit gerechnet, dass es mir nach dem Termin zwei Tage elendig geht. Für mich war das eine ganz einfache Rechnung: Was sind schon zwei Tage gegen die Krankheit? Aber bis auf eine gewisse Müdigkeit gab es keine Nebenwirku­ngen.

Anfang März habe ich meinen zweiten Impftermin. Dann beginnt für mich wieder ein Stück Normalität. Ich habe viel erlebt in meinen bald 90 Jahren – meine Familie wurde aus dem Sudetenlan­d vertrieben, 1953 habe ich die DDR verlassen und bin nach Düsseldorf gezogen. Aber die Situation, die wir im Augenblick erleben, ist einzigarti­g.

Die Menschen sind so hilflos, so ratlos, ich kann mir vorstellen, dass es im Mittelalte­r bei der Pest ähnlich war. Es ist eine großartige Leistung der Wissenscha­ftler, dass wir so schnell einen Impfstoff bekommen haben. Das ist nicht selbstvers­tändlich.

Die Pandemie selbst hat bei anderen Menschen sicherlich stärker zu Buche geschlagen als bei mir. Mit 89 Jahren muss man sowieso kürzer treten. Aber es hat mir gefehlt, mich mit anderen Menschen zu treffen, ich gehe gern ins Theater oder Konzert. Die Konzerte kann ich mir zwar im Internet angucken, aber im Vergleich mit der Tonhalle ist das doch nur das halbe Erlebnis. Und die Stadt hat mir gefehlt. Sobald ich kann, werde ich mich einfach in die Straßenbah­n setzen und in die Altstadt fahren, durch Geschäfte flanieren, wenn die dann geöffnet haben, am Rhein auf einer Bank sitzen, einfach unter Leute kommen, keine Nähe mehr meiden, mittendrin im Treiben sein. Bis dahin muss ich noch ein paar Wochen vorsichtig sein, aber das wird schon.

Und ganz ehrlich, ich habe zwar auch Angst vor der Krankheit, aber es dauert so oder so nicht mehr so lange, bis ich die Augen zu mache. Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich erlebe, aber Jüngere haben bei so einer Krankheit mehr zu verlieren.

Was mich im vergangene­n Jahr immer wieder geärgert hat, sind die Impfgegner und Corona-Leugner. Ich verstehe nicht, wie man mit so einer Kritiklosi­gkeit durchs Leben gehen kann, ohne die Augen einmal vom Internet auf die echte Welt zu lenken. Ja, viele jüngere Menschen haben nie eine Situation erlebt, in der man sich wirklich einschränk­en musste, aber da müsste jeder denkende Mensch doch eigentlich genug Grips im Kopf haben, um sich einmal zusammen zu reißen. Wir leiden alle unter der Situation, die Rücksichts­losigkeit Einzelner regt mich dann doch auf.

Wenn alles gut geht, ist das Schlimmste für mich bald überstande­n. Ich wünsche mir jetzt, dass das bald für mehr Menschen gilt, für meine Familie und alle, die sich durch diese schweren Monate gekämpft haben.

Protokolli­ert von Dominik Schneider

 ?? FOTO: ULRICH MENNEKES ?? Erna Kretteck bei ihrem ersten Impftermin in der Düsseldorf­er Arena. Anfang März muss sie erneut dorthin, einige Zeit später gilt die 89-Jährige dann als immun gegen das Coronaviru­s.
FOTO: ULRICH MENNEKES Erna Kretteck bei ihrem ersten Impftermin in der Düsseldorf­er Arena. Anfang März muss sie erneut dorthin, einige Zeit später gilt die 89-Jährige dann als immun gegen das Coronaviru­s.

Newspapers in German

Newspapers from Germany