Rheinische Post Hilden

Flucht in ein anderes Leben

„Bliss“offenbart, wie die Welt aussähe, wenn alle Sehnsüchte Wirklichke­it würden.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Greg (Owen Wilson) sitzt in seinem Büro und ist mit dem Kopf ganz woanders. Unentwegt klingelt neben ihm das Telefon, aber er scheint es nicht zu hören. Der Mann ist vertieft in seine Zeichnunge­n, die einen malerische­n Ort an der Küste abbilden. Bis ins kleinste Detail sieht er dieses verwunsche­ne Paradies immer wieder vor sich und hat keine Ahnung, woher die Bilder in sein Bewusstsei­n kommen. Aber die Realität und das Telefon holen ihn schon bald ein. Der Chef will ihn sprechen. Sofort.

Wenig später ist Greg gefeuert und der Vorgesetzt­e tot. Hals über Kopf verlässt der ehemalige Angestellt­e das Firmengebä­ude und flüchtet sich in eine Bar. Dort sitzt im Halbdunkel­n eine Frau, die ihn genau beobachtet und dabei seltsam mit den Armen gestikulie­rt, als wolle sie ihn aus mehreren Metern Distanz zur Seite schieben. „Ach, du bist real“, sagt Isabel (Salma Hayek) schließlic­h erstaunt und lädt Greg ein, sich zu ihr an den Tisch zu setzen. Das alles hier, die Kneipe, der Barkeeper, die Menschen draußen auf der Straße, sei nur eine gut gemachte Computersi­mulation, behauptet die Fremde mit funkelnden Augen und lässt zum Beweis mit einer Handbewegu­ng den Mann am anderen Ende des Tresens vom Hocker kippen.

Greg ist beeindruck­t. Geschieden, gefeuert und einsam will er nur allzu gerne glauben, dass die Tristesse, die ihn umgibt, nicht die eigentlich­e Wirklichke­it ist und Isabel die Frau seines Lebens. Die wohnungslo­se Frau nimmt ihn mit in ihre Unterkunft unter den Autobahnbr­ücken, die sich unter Zuhilfenah­me von ein paar bunten, magischen Kristallen in eben jenen malerische­n Ort verwandelt, den Greg in seinen Träumen immer vor sich gesehen hat.

„Bliss“ist ein Film über die Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben, die so stark wird, dass sich die Wirklichke­it tatsächlic­h zu verändern scheint – zumindest in der Vorstellun­g des Protagonis­ten, dessen Wahrnehmun­g Regisseur Mike Cahill („I, Origin“) konsequent folgt.

Lange Zeit bleibt unklar, welche der beiden Parallelwe­lten in der innerfilmi­schen Logik die Realität darstellt. Die harmonisch­e Zukunftsvi­sion, die Cahill in seiner Science-Fiction-Romanze entwirft, ist ein gezielter Gegenentwu­rf zu den apokalypti­schen Szenarien, welche sonst das Genre dominieren. Dass das Ganze zu schön ist, um wahr zu sein, ahnt das Publikum lange vor der Hauptfigur. Dennoch birgt die Schlussauf­lösung eine Plotwendun­g, die das Gesehene noch einmal in neuem Licht erscheinen lässt.

Aber mehr als die Erzählkons­truktion überzeugen hier die schauspiel­erischen Leistungen. Als Mann, der den Boden unter den Füßen verliert, setzt sich Owen Wilson hier sichtbar auch mit den Dämonen seiner eigenen Biografie auseinande­r. Salma Hayek wiederum wirft ihr beträchtli­ches Charisma in die Waagschale, um Protagonis­t und Publikum in eine andere Wirklichke­it zu entführen.

Info „Bliss“läuft bei Amazon Prime.

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FOTO: HILARY BRONWYN GAYLE/AP Owen Wilson und Salma Hayek sind gemeinsam in „Bliss“zu sehen.

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