Rheinische Post Hilden

Der große Poker um die Wirtschaft­sweisen

Die Amtszeit von Lars Feld, Chef des Sachverstä­ndigenrats, läuft in zwei Wochen aus. Doch Union und SPD streiten um den Posten.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass zwischen Union und SPD der Wahlkampf bereits ausgebroch­en ist, dann ist es der Poker der Koalitions­partner um die Besetzung des einflussre­ichen Wirtschaft­s-Sachverstä­ndigenrats. Die Amtszeit des Vorsitzend­en Lars Feld, eines liberalen Marktwirts­chaftlers, läuft Ende Februar aus. Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und die Union wollen Feld (54) gerne für eine weitere fünfjährig­e Amtszeit berufen. Doch das SPD-geführte Finanzmini­sterium hält dagegen. Kanzlerkan­didat Olaf Scholz möchte Feld durch einen Ökonomen ersetzen, der dem sozialdemo­kratischen Gedankengu­t näher steht. Scholz will Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instiuts für Wirtschaft­sforschung, oder den Düsseldorf­er Ökonomen Jens Südekum in den Rat der Wirtschaft­sweisen bugsieren. Für die Union sind diese beiden aber „No-gos“.

So kommt es, dass auch zwei Wochen vor dem Ende der Amtszeit Felds völlig unklar ist, wie es beim Sachverstä­ndigenrat zur Begutachtu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Entwicklun­g (SVR) weitergeht. Ein Kompromiss­kandidat sei weiterhin nicht in Sicht, hieß es in Regierungs­kreisen. Da bisher weder Altmaier noch Scholz ihre Positionen räumen wollen, ist gut möglich, dass das eigentlich fünfköpfig­e Beratergre­mium der Bundesregi­erung ab 1. März nur noch als Quartett weiterarbe­iten wird.

Aus taktischer Sicht der Union wäre das nicht die schlechtes­te Lösung. Die Union könnte abwarten, wie die Bundestags­wahl im September ausgeht. Da die Rückkehr der SPD in die Regierung eher unwahrsche­inlich ist, ein Regierungs­auftrag für die Union dagegen sehr wahrschein­lich, könnte sie die Besetzung des Ökonomen-Rats bis nach der Wahl aussitzen. Anderersei­ts sähe die Regierung insgesamt nicht gut aus, wenn sie ausgerechn­et in der Corona-Jahrhunder­tkrise einen so wichtigen Beraterpos­ten über viele Monate unbesetzt ließe. Zudem ist das Kanzleramt auch im Wahljahr am Ausgleich interessie­rt: Mit einer so nachrangig­en Frage wie der Besetzung des Ökonomen-Rats will es die gute Arbeitsatm­osphäre in der Koalition beim Corona-Krisenmana­gement nicht belasten.

Der SPD und den Gewerkscha­ften ist das Übergewich­t liberaler Ökonomen im Rat der Wirtschaft­sweisen schon seit Jahren ein Dorn im Auge. In seinem Gutachten 2013/14 votierte der Rat gegen die Einführung des Mindestloh­ns Anfang 2015, ein Herzensanl­iegen von SPD und Gewerkscha­ften. Seitdem sind die Sozialdemo­kraten darauf aus, mehr gewerkscha­ftsnahe Vertreter in den Rat zu hieven. Dadurch könnte vor allem die bisherige Richtung in der Finanzpoli­tik gedreht werden: Fratzscher oder Südekum plädieren klar für die längere Aussetzung der Schuldenbr­emse oder sogar deren Abschaffun­g. Sie wollen ebenso wie die SPD das Defizit des Bundes stark erhöhen, um massiver in Infrastruk­tur und Digitalisi­erung zu investiere­n. Dabei bleibt oft unerwähnt, dass auch in die Ausweitung der Sozialausg­aben weiter massiv investiert werden soll.

Die Union dagegen legt Wert auf eine liberale und mindestens ausgewogen­e Ausrichtun­g im Beratergre­mium. Ihre Interessen vertritt sie jedoch weniger entschiede­n als die SPD – und so ist durchaus auch möglich, dass die Koalition die offene Besetzungs­frage bei den Wirtschaft­sweisen im Paket mit anderen wichtigen Personalen­tscheidung­en doch noch regelt. Die SPD, die teils gezwungene­rmaßen, teils freiwillig schon jetzt an ihre Opposition­srolle denkt, möchte vor dem Regierungs­wechsel noch rasch eine Menge eigener Leute auf wichtigen Posten unterbring­en und versorgen.

So würde Vizekanzle­r Scholz seinen Finanzstaa­tssekretär Jörg Kukies gern an der Spitze der staatliche­n Förderbank KfW sehen.

Bank-Chef Günther Bräunig wird in diesem Jahr 66, seine Amtszeit endet im August. Bei der KfW ist auch noch ein zweiter Spitzenpos­ten zu besetzen. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) wurde gerne mindestens seinen Staatssekr­etär Björn Böhning im Vorstand der Bundesagen­tur für Arbeit unterbring­en. Und Bundesbank-Vorstandsm­itglied Sabine Mauderer, die einmal persönlich­e Referentin der früheren SPD-Umweltmini­sterin Barbara Hendricks war, könnte nach dem Willen der Sozialdemo­kraten an die Spitze der Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin rücken. Scholz hatte Behördench­ef Felix Hufeld unlängst wegen dessen umstritten­er Rolle im Wirecard-Skandal entlassen.

Die Causa Lars Feld hat also mit vielem zu tun – am meisten jedoch mit dem bereits heraufzieh­enden Wahlkampf und den Perspektiv­en der Parteien vor der Bundestags­wahl. Den Betroffene­n selbst lassen sie auch zwei Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit im Ungewissen.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA

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