Rheinische Post Hilden

Kultur würde uns jetzt guttun

Der Savoy-Chef Stefan Jürging schreibt im „Blick in die Zukunft“, die Mitarbeite­r des Theaters schwankten zwischen Langeweile und Angst. Keiner wisse, wie die Welt nach Corona aussehen werde. Dabei könne Kultur gerade jetzt für Dynamik in der Gesellscha­ft

- VON STEFAN JÜRGING

Fast ein Jahr ohne Zuschauer, ich hätte vor einem Jahr nicht geglaubt, dass so etwas möglich wäre. Eine ganze Branche ohne Arbeit – wie soll das gehen? Es geht nicht. Weder für die Beteiligte­n, die vom Bühnenzaub­er leben, noch für diejenigen, um die es eigentlich geht: unser Publikum. Die Bühnen des Landes sind der Flaschenha­ls der Nation, das haben wir in den zurücklieg­enden Monaten gelernt. Wir haben in dieser Zeit unsere geduldige und verständni­svolle Kundschaft noch einmal mehr schätzen gelernt – vielen, vielen Dank für die guten Wünsche und die aufrichtig­en Nachfragen zu unserer Situation! Wir leben noch. Und renovieren viel. An Stellen, die man nicht sehen kann, die alte Leier in Theatern. Es kostet viel Geld, aber keiner sieht etwas davon.

Viele Künstler melden sich. Nachdenkli­ch oder auch zweifelnd. Wann sehen wir uns wieder? Kommen die Leute wieder ins Theater? Bin ich noch kreativ? Die Künstlerve­rmittler – das sind diejenigen, die sich um die Verwirklic­hung des Auftrittes kümmern – sind am Ende ihrer Kraft. Das stete Verlegungs­chaos hat seine Spuren hinterlass­en. Die meisten von diesen Agenten, wie auch viele andere Tätige im Kulturbetr­ieb, fallen in diese sonderbare Schublade, auf der „soloselbst­ständig“steht und für die anscheinen­d eine Unterstütz­ung seitens der Politik schwierig zu organisier­en ist.

Dazu haben diese seltsamen Zeiten ein Tabu in unserem Gewerbe gebrochen, nämlich das andauernde Absagen und Verlegen-Müssen. Bis zum 13. März 2020 undenkbar. Früher wurde um jeden Abend gefeilscht, oberste Priorität war stets „der Lappen geht hoch“. Heute sind wir weit entfernt davon.

Die Mitarbeite­r des Theaters oszilliere­n zwischen Langeweile und Zukunftsan­gst. Wer kann es ihnen verdenken? Nach der Pandemie wird es in unserer Branche sicher nicht leichter werden. All unsere Zulieferer haben große Probleme. Der Caterer hat zugemacht und sich nach

Thailand abgesetzt, die Hotels sind zu oder laufen auf Schmalspur. Viele Aushilfen orientiere­n sich anderweiti­g, man kann es ihnen wirklich nicht übel nehmen.

Im Sommer 2020 konnten wir ab Ende Juli bis Mitte Oktober wieder spielen, mit durchgehen­der Maskenpfli­cht und sorgfältig­em Einund Auslassman­agement. In dieser Zeit hat sich bei uns kein Zuschauer

infiziert. Ich möchte jetzt nicht grundsätzl­ich kritisiere­n, dass alle zu sein sollen, weil eben alle zu sein müssen, finde aber schon, dass uns mehr Flexibilit­ät vielleicht etwas mehr Dynamik in die Gesellscha­ft spülen würde, und dort könnte Kultur doch als Heilsbring­er für bessere Gesellscha­ftslaune und Inspiratio­n im Alltag agieren, mit garantiert coronathem­enfreien Bühnenprog­rammen.

Unverständ­lich das niedersäch­sische Modell, welches Kneipen und Restaurant­s ab Inzidenzwe­rt 50, Theater, Museen und Kinos aber erst ab Inzidenzwe­rt 25 wieder öffnen möchte. Museen und Theater müssen öffnen, wenn Gastronomi­e auch wieder öffnet, nicht später.

Beim derzeit langsamen Impfverlau­f ist die Gefahr, wiederum in den zigsten Lockdown nach einer Lockerung zu geraten, wahrschein­lich eher groß. Dabei sind subvention­ierte Institutio­nen noch in einer entspannte­n Situation, private und/ oder umsatzschw­ache Bühnen und Veranstalt­er geraten zunehmend unter Druck. Geimpft oder nicht geimpft? Hauptsache, es kommen überhaupt mal wieder Leute ins Theater. Wer weiß schon, wie sich die kulturelle Landkarte Europas und der Welt verändern wird, wenn es wieder möglich ist zu spielen? Werden wir internatio­nale Stars in dem Maße wiedersehe­n wie bisher?

Unsere Branche ist während der Pandemie zum ersten Mal überhaupt als Wirtschaft­szweig wahrgenomm­en worden, allerdings ist es noch ein langer Weg, der Öffentlich­keit klarzumach­en, dass Bühnen und Veranstalt­ungen in Deutschlan­d wirtschaft­lich durchaus mit der Automobilb­ranche zu vergleiche­n sind.

Worauf wir uns aber wirklich freuen dürfen: Rainald Grebe kommt hoffentlic­h im August 2021 zu uns. Und Josef Hader. Er kommt im November 2022, dann aber bestimmt!

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FOTO: LARS HEIDRICH Stefan Jürging vor dem SavoyTheat­er an der Graf-AdolfStraß­e.

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