Rikschas: Von Indonesien in die Welt
Einst ein Symbol für Asien, heute ein Zeitgeist-Vehikel in europäischen Metropolen: In den Ursprungsländern hingegen verschwinden die Taxis der kleinen Leute immer mehr aus dem Straßenbild zwischen Bangkok und Bali.
Seit fast 50 Jahren tritt Tarmo in die Pedalen. Seine Fahrradrikscha, die ihm den bescheidenen Lebensunterhalt sichert, ist noch immer dieselbe, die ihm seinerzeit ein Onkel vorfinanziert hat. Zehn Monate hat es gedauert, bis er dem Verwandten das Geld zurückzahlen konnte. Seither transportiert er Schüler, Handwerker und Korangelehrte, Schränke für einen Tischler und die Großeinkäufe der Marktkunden. Fast täglich fährt er auch die Besitzer berühmter Kampfhähne samt ihrer besten Tiere zu den Arenen des kleinen Mannes, setzt dabei nicht selten auf den todsicheren Tipp eines Kunden – und verliert allzu oft den Ertrag einer ganzen Woche.
Tarmo ist mit seiner Rikscha, die in Indonesien Becak genannt wird, in Solo unterwegs, einer Stadt auf der Insel Java. Er gehört zu den Veteranen seiner Zunft. Da er nur wenige Worte Englisch spricht, muss er deshalb weitaus häufiger schwergewichtige Hausfrauen mit Taschen, Tüten und Kindern schleppen als junge Rucksacktouristen für das Zehnfache des Tarifs einmal um den Sultanspalast herumzukutschieren.
Ob Becaks in Indonesien, Cyclos in Vietnam, Rikschas in Indien, Bangladesch und Malaysia oder Trisikads auf den Philippinen – alle diese Taxis der kleinen Leute werden in
Südostasien immer weniger. Aus dem Stadtbild von Jakarta, dem alten Batavia, sind sie schon fast ganz verschwunden. Die Stadtverwaltung ließ in den 1990er-Jahren sogar an die 100.000 Becaks in die Bucht vor der Mega-Metropole werfen. Es ging ihr um ein „sauberes, humanes und würdevolles Jakarta“. Seither stinken die Abgase der 20-Millionen-Stadt mehr denn je zum Himmel.
In den ländlichen Regionen Indonesiens aber sind noch viele Pedal-Spediteure im Einsatz. Was von Touristen gern als exotisches Fotomotiv und unterhaltsames Event gebucht wird, ist für die Becak-Piloten harter Alltag. Auch in Solo, Tarmos Heimat, ist das so. Aber dort hat Tarmos Freund Tattat, 30 Jahre jünger, immerhin den Aufstieg geschafft und passables Englisch gelernt, mithilfe eines alten Lehrbuches und einiger Reisender aus dem Westen. Jetzt bietet er seine Dienste auch als „Guide“an. Er kennt zwar die Geschichte seines Landes nicht so gut, dafür weiß er, wo es das beste Nasi Goreng, Indonesiens Nationalgericht, gibt und welches Geschäft die feinsten Batiktücher der Stadt verkauft. Dafür ist ihm dann meistens ein Trinkgeld seiner Kunden und eine Kommission der empfohlenen Händler gewiss.
Weltmetropole der RikshaWallahs, wie die Taxi-Radler im indischen Sprachgebiet heißen, ist Dhaka, die Hauptstadt von Bangladesch. Die Metropole wird gerade in atemberaubendem Tempo modernisiert. Aber noch sollen dort einige Hunderttausend Rikschafahrer im Schichtdienst auf ihren oft zerfledderten Sätteln sitzen. Auch in Vietnam befördern die Cyclo-Fahrer tagtäglich weit mehr als ihnen europäische
Erstbesucher zutrauen. Touristen schließen gern Wetten ab, wer die meisten Passagiere vor oder hinter einem einzigen Cyclo-Fahrer gesehen hat: drei Erwachsene und vier Kinder sind vermutlich noch nicht Rekord.
An der Elfenbeinküste in Westafrika versucht man die Tradition mit dem Fortschritt zu verbinden: Dort werden die Tuk Tuks, wie man die automobile Weiterentwicklung der Rikschas auch in Thailand nennt, neuerdings von Solarzellen auf dem Dach angetrieben. Eher aus der Zeit gefallen wirken dagegen jene Männer in Kolkata, dem ehemaligen Kalkutta, die zwischen der Deichsel laufen und ihre Passagiere noch immer „im Handbetrieb“, also ohne Fahrrad, transportieren.
Treppenwitz der Verkehrsgeschichte: Während sich Asien solcher Vehikel mehr und mehr zu entledigen versucht, weil sie an die Kolonialzeit erinnern oder aus anderen Gründen nicht mehr ins Welt- und Straßenbild passen, erfreuen sich in Europa radelnde Touristen-Spediteure steigender Beliebtheit. Kaum eine Großstadt zwischen Kopenhagen, Rom und Düsseldorf, die nicht Velotrips und romantische Extratouren anbietet: Stadterkundungen, Hochzeits- und Mondschein-Fahrten.
Tarmo, unser Becakmann aus Solo, kann es jedenfalls kaum glauben, als wir ihm mithilfe seines Freundes, des Karriere-„Dolmetschers“Tattat, davon erzählen.