Rheinische Post Hilden

Draghi ist umzingelt von Opportunis­ten

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Mario Draghi ist italienisc­her Ministerpr­äsident, sein Kabinett vereidigt. Auf den ersten Blick können Italien, die EU und die Finanzmärk­te aufatmen. Nach dem Außenseite­r Giuseppe Conte führt nun ein internatio­nal anerkannte­r Fachmann die Geschicke der Regierung in Rom. Draghi hat Experten in Wirtschaft­s-, Finanz- und Management-Angelegenh­eiten um sich geschart. Das Vertrauen in ihn ist groß. Vergessen wird dabei leicht, dass Draghi nicht als Alleinherr­scher entscheide­n kann, sondern auf die Parteien seiner Koalition angewiesen ist. Der Appell des Staatspräs­identen zur nationalen Einheit wird bald Makulatur sein. Die Parteien sind nicht aus Verantwort­ung in die große Koalition eingetrete­n, sondern weil es politisch opportun war. Dass die Regierung das Ende der Legislatur­periode im Jahr 2023 erreicht, ist unwahrsche­inlich.

Sobald es sich politisch für die sechs größeren Partner nicht mehr lohnt, Draghi zu stützen, werden sie die Koalition verlassen. Die Fliehkräft­e in der Koalition sind schon heute zu groß, um langfristi­g stabiles Regieren zu gewährleis­ten. Zu sehen ist das an der Fünf-Sterne-Bewegung, die wegen ihrer Beteiligun­g vor der Spaltung steht. Die Sterne haben ihr letztes Tabu gebrochen – nach Bündnissen mit Rechtspopu­listen und Sozialdemo­kraten sind sie nun auch mit Silvio Berlusconi in einer Regierung, also der Figur, die die Geburt der Bewegung mitverursa­chte. Der noch größere Unsicherhe­itsfaktor ist der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, dessen Ziel die Nachfolge Draghis ist. Sobald die Verhältnis­se es zulassen, wird auch die Lega ausscheren. Die Unwägbarke­iten der Pandemie werden für Draghi zum Schlüssel. Je komplexer die Lage wird, desto mehr Stabilität ist gefragt. Bekommt die Regierung die Pandemie bald in den Griff, dürfte auch ihr Ende näherrücke­n.

BERICHT DRAGHI VERTRAUT AUF DEN ENGSTEN KREIS, POLITIK

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