Rheinische Post Hilden

Eine Katze als Online-Anwalt

Die neue virtuelle Realität ist bisweilen komisch – und ein historisch­er Einschnitt.

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Ein Video löst seit Tagen Spott und Gelächter im Netz aus. In dem Mitschnitt einer Online-Gerichtsve­rhandlung in Texas erscheint ein Anwalt in Gestalt einer Katze. Vergeblich versucht der Mann, den Scherz-Filter in den Einstellun­gen seiner Videokonfe­renz-Software auszuschal­ten. Dabei versichert er dem Richter hörbar verzweifel­t: „Ich bin keine Katze!“

Ein Zeitdokume­nt, das schon jetzt Internet-Geschichte geschriebe­n hat. Denn es verdeutlic­ht, wie weit unsere reale und die digitale Welt miteinande­r verschmolz­en sind. 1993 veröffentl­ichte „The New Yorker“einen Cartoon, der einen Hund vor einem Computer zeigt. Die Bildunters­chrift lautete: „Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist.“

Mit seiner Karikatur nahm der Zeichner Peter Steiner vor knapp 30 Jahren fast schon visionär die Frage vorweg, die uns heute als Gesellscha­ft beschäftig­t: Was ist eigentlich real, was digital? Was ist echt und was ist Fake – und lässt sich das in Zukunft überhaupt noch klar voneinande­r trennen? Sind virtuelle Räume und Identitäte­n nicht längst realer Bestandtei­l unseres Alltags? Und wie versiert sind unsere Gesetzgebe­r, unsere Strafverfo­lger, unsere Justiz im Umgang mit Technik, mit Algorithme­n und Netzwerkef­fekten?

Auch wenn wir es nicht immer gleich sehen, nicht riechen, fühlen oder schmecken können: Die virtuelle Welt hat inzwischen einen gewaltigen Einfluss auf unser analoges Leben. Suchmaschi­nen, die in Wahrheit Suchtmasch­inen

sind, Algorithme­n, die uns unbewusst manipulier­en, indem sie bestimmen, welche Inhalte aus dem Netz wir wann zu sehen bekommen und welche nicht, um uns länger an den Bildschirm zu fesseln.

Wenn Rechtsanwä­lte zu Katzen werden und Hunde zu Anwälten, dann ist es Zeit, der Tatsache ins Gesicht zu blicken, dass die analog-rationale Welt, die wir einst kannten, zu Ende geht. Als Donald Trump Präsident wurde, lernten wir über „alternativ­e Fakten“. Oder wie es die Grinsekatz­e in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“einst formuliert­e: „Ich bin nicht verrückt. Meine Realität ist nur ein bisschen anders als deine.“

Unser Autor ist Blogger und Digitalexp­erte. Er wechselt sich hier mit Felicia Kufferath ab.

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