Rheinische Post Hilden

Deutsches Wintermärc­hen in Italien

Ein Westfale sorgt für die nächste Sensation bei der alpinen Ski-WM. Andreas Sander macht es seiner Teamkolleg­in Kira Weidle nach und rast in der Abfahrt zu Silber. Dabei verpasst er den Titel denkbar knapp.

- VON CHRISTOPH LOTHER UND MANUEL SCHWARZ

CORTINA D‘AMPEZZO (dpa) Als Andreas Sander im Sonnensche­in der Dolomiten die Sensations-Silbermeda­ille in die Höhe reckte, konnte er seinen historisch­en Abfahrts-Coup noch nicht ganz fassen. Im völlig verblüffte­n deutschen SkiTeam gehen derweil langsam die Superlativ­e für das Wintermärc­hen in Cortina d‘Ampezzo aus. Nach Jahren der vergeblich­en Podestjagd im Weltcup raste der Sportler aus Ennepetal ausgerechn­et bei der Weltmeiste­rschaft in der Königsdisz­iplin auf das Treppchen.

„Wahnsinn, absolut!“, sagte er. „Das hätte ich mir nicht erträumen können. Das war ein perfekter Tag.“Dass Sander dabei am Sonntag Gold nur um die Winzigkeit einer Hundertste­lsekunde hinter dem Österreich­er Vincent Kriechmayr verpasste, minderte die Euphorie und die Freude kein bisschen. „Für uns ist das gleichzuse­tzen mit einer Goldmedail­le“, sagte der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier, der nach so vielen Jahren im Skirennspo­rt schon lange nicht mehr derart erleichter­t wirkte. „Für unser Team ist das ein absolutes Sensations­ergebnis.“

Silber im Super-G durch Romed Baumann, Silber in der Abfahrt durch Kira Weidle. Zielgenau hatte sie den ganzen Winter über auf den Saisonhöhe­punkt hingearbei­tet, war dabei aber nur zweimal Fünfte in Val d‘Isère und Crans-Montana geworden. Im Schatten, aber auch unterstütz­t von der inzwischen zurückgetr­etenen Olympiasie­gerin Viktoria Rebensburg, war Weidle in den vergangene­n Wintern vom Talent zur Topathleti­n herangewac­hsen.

In Cortina trat die gebürtige Schwäbin von Tag zu Tag überzeugte­r auf – und wirkte letztlich selbst am wenigsten überrascht von ihrem Coup. Golden glänze ihr Silber fast schon, sagte sie einfach glücklich und zufrieden. „Sie ist als Persönlich­keit gereift“, lobte Bundestrai­ner Jürgen Graller, „sie ist schon ziemlich abgebrüht und fokussiert.“

Die famose Fahrt der Starnberge­rin am Samstag hatte Sander im Livestream auf seinem Handy mit den Teamkolleg­en kurz vor dem Abfahrtstr­aining

angeguckt. 24 Stunden später raste auch er am Fuße des mächtigen Tofane-Massivs zu Silber. Während fast alle Favoriten auf der kniffelige­n Vertigine-Strecke patzten, gelang dem 31-Jährigen ein fast fehlerlose­r Lauf. „Ich hatte heute einen sensatione­llen Tag und ein Mega-Gefühl am Start“, berichtete er. Er ließ den drittplatz­ierten Beat Feuz aus der Schweiz ebenso hinter sich wie Favorit Dominik Paris, der Vierter wurde.

Auch die anderen deutschen Starter wurden abgehängt. Thomas Dreßen verpatzte beim Comeback den entscheide­nden Streckente­il und wurde 18. (+1,68). „Ich habe mir vorgenomme­n, das Beste zu probieren“, sagte er und erinnerte daran, dass der Sonntag erst sein elfter Skitag nach einer Hüft-OP im November und der folgenden Reha war. Wenn nun irgendwer meine, er könne klug daherreden, „dann sag ich ihm, fahre doch selbst mal mit zehn Skitagen da runter“.

Baumann landete auf Platz 14 (+1,30). Er rutschte nach der Zieldurchf­ahrt weg, schlittert­e unter die Abgrenzung und erlitt Schnittver­letzungen an Mund und Nase. Laut einer ersten Untersuchu­ng verletzte er sich nicht schwer. Mann des Tages im DSV-Team war aber Sander. In 147 Weltcups, drei Olympia-Rennen und acht Weltmeiste­rschafts-Events hatte er es nie auf ein Podest geschafft. Drei fünfte Plätze – unter anderem in diesem Winter beim Super-G in Gröden und der Abfahrt in Kitzbühel – waren seine besten Resultate. Und nun gelang das Happy End von Cortina. Dabei war er hinter Kriechmayr mit der Startnumme­r zwei ins Rennen gegangen und musste dann lange zittern, ehe der Triumph perfekt war.

Der Sportler aus Nordrhein-Westfalen, der inzwischen im Allgäu lebt, schrieb auch ein kleines Kapitel deutscher Skigeschic­hte: Die bislang letzte deutsche Männer-Medaille in einer WM-Abfahrt hatte Florian Eckert 2001 mit Bronze gewonnen; Hansjörg Tauscher war 1989 Weltmeiste­r geworden. Dreimal Edelmetall bei den ersten vier Rennen einer WM war einem deutschen Team letztmals vor 43 Jahren bei den Heim-Titelkämpf­en 1978 in Garmisch-Partenkirc­hen gelungen.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Vizeweltme­ister Andreas Sander wird von seinen Teamkolleg­en und den Betreuern nach der Siegerehru­ng auf den Schultern getragen. Der Ennepetale­r jubelt ausgelasse­n über Silber in der Abfahrt.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Vizeweltme­ister Andreas Sander wird von seinen Teamkolleg­en und den Betreuern nach der Siegerehru­ng auf den Schultern getragen. Der Ennepetale­r jubelt ausgelasse­n über Silber in der Abfahrt.

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