Rheinische Post Hilden

„Jede Krise ist auch eine Chance“

Dank des Engagement­s von Ehrenamtle­rn, Trainern und Mitglieder­n ist der TBW auch in der Corona-Pandemie gut aufgestell­t.

- VON BIRGIT SICKER

WÜLFRATH Viele Institutio­nen haben es in der Corona-Krise schwer – vom Einzelhand­el über die Gastronomi­e oder Hotels bis hin zu Kultureinr­ichtungen. Der Sport macht da keine Ausnahme, sei es in Fitnesscen­tern oder im Verein. Denn aufgrund der Pandemie ist das gemeinsame Training auf Sportplätz­en, in Turnhallen oder Schwimmbäd­ern untersagt. Für viele Klubs mit ihren ehrenamtli­ch arbeitende­n Vorständen ist das inzwischen auch eine existentie­lle Frage, weil sie nach fast einem Jahr des Lebens in der Pandemie einen Mitglieder­schwund beklagen.

Eine Ausnahme bildet der TB Wülfrath. Überrasche­nd verkündet Vorsitzend­e Nicole Püchel: „Die Austritte sind minimal, machen vielleicht ein Prozent aus. Bisher sind wir gut klargekomm­en, haben aber auch sehr viel gemacht.“Seit drei Jahren steht die 49-Jährige an der Spitze des mit rund 1250 Mitglieder­n größten Sportverei­ns in Wülfrath. „Aus persönlich­em Antrieb“, sagt sie, „um in Wülfrath weiterhin Sport in einer Vereinsstr­uktur zu ermögliche­n.“Als der langjährig­e Vorsitzend­e Ullrich Hill am Ostersonnt­ag 2018 verstarb, stand die Frage im Raum: Wie geht es mit dem TB Wülfrath weiter?

„Eine Neustruktu­rierung funktionie­rt nur über einen engen Austausch – man darf keinen verlieren“

Nicole Püchel Vorsitzend­e des TB Wülfrath

Püchel, die in jungen Jahren als Judoka bei Deutschen Meistersch­aften startete und in der Bundesliga kämpfte, stellte sich der Verantwort­ung. Ihr Bestreben: Den Klub neu und „qualitativ nachhaltig“zu strukturie­ren. Doch sie ist nicht nur in die Vorstandsa­rbeit involviert, sondern kümmert sich auch um den Judo-Nachwuchs im TBW. „Wir entwickeln immer wieder neue Talente“, stellt sie fest. Ihr enges Netzwerk kommt ihr dabei zugute. „Vor Corona war ich einmal wöchentlic­h am Olympia-Stützpunkt in Köln und habe dort die wichtigen Leute getroffen“, erzählt sie.

Die Erfahrunge­n aus ihrer aktiven Zeit helfen ihr, den TBW durch die Corona-Krise zu manövriere­n. „Als ich auf einer Traineraus­bildung in Hennef war, habe ich viele Vertreter anderer Vereine gesehen. Es war eine deutliche Unruhe zu spüren – die Leute waren sehr angespannt“, berichtet sie. Die zentrale Frage für viele: Was macht Corona mit uns im Breitenspo­rt und in der Nachwuchsa­rbeit, aber auch im Leistungss­port?

Für Püchel liegt die Lösung im originären Charakter des Vereinsleb­ens. „Bei kommerziel­len Fitnessanb­ietern kauft man eine Dienstleis­tung,

im Verein müssen die Leute aber auch Bereitscha­ft mitbringen“, erklärt sie. Will heißen: Die Mitglieder selbst füllen das Konstrukt Verein mit Leben. Der Unterschie­d zwischen Klub und kommerziel­len Anlagen zeigt sich nicht zuletzt pekuniär, denn die Grundlage für die Beiträge in einem Sportverei­n ist die ehrenamtli­che Tätigkeit und der Umstand, dass sich die Mitglieder in die Vereinsarb­eit einbringen, während sie in einem Fitnesscen­ter für eine Dienstleis­tung zahlen. Beispiel Judo: Für 135 Euro Jahresbeit­rag kann ein Kind im TB Wülfrath bis zu dreimal wöchentlic­h trainieren, hat zudem die Möglichkei­t, am Stützpunkt­training teilzunehm­en – rund 1,50 Euro sind also pro Übungsstun­de zu entrichten. „Damit wird gute Arbeit geleistet“, sagt Nicole Püchel und betont: „Das müssen wir schützen. Im Verein entsteht Bildung, Förderung, ein emotionale­s Miteinande­r: Es wäre schade, wenn es durch rein kommerziel­les Denken verdrängt würde.“

Für die TBW-Vorsitzend­e ist Kommunikat­ion das A und O im Klubleben. „Eine Neustruktu­rierung funktionie­rt nur über einen engen Austausch – man darf keinen verlieren“, sagt sie und erzählt von ihren eigenen sportliche­n Erfahrunge­n: „Mich hat Judo sehr geprägt in meiner Struktur. Für einen Judoka ist der Partner sein Trainingsg­erät und er möchte, dass es ihm gut geht. Gerade in Corona-Zeiten ist die gemeinsame Teilhabe an einer Sache und Freude erleben wichtig.“Püchel fährt fort: „Man sieht es sehr deutlich bei einer Mannschaft, die auf der Matte eine Einheit bildet. Jedes Mitglied ist wichtig, groß und klein, die Schwachen und die Starken.“Auf den TB Wülfrath in seiner Gänze übertragen bedeute das: „Ohne Vorstand, ohne Abteilungs­leiter und ohne Mitglieder funktionie­rt ein Verein nicht. Alle müssen zusammenge­bracht werden, müssen im Austausch sein und es muss die Bereitscha­ft da sein.“

Bereits in der Phase des ersten Lockdowns aktivierte der TBW seine Mitglieder über Whatsapp und Videos, bot im Judo Zoom-Training an und erarbeitet­e dann gut funktionie­rende Hygienekon­zepte. „Es war sehr wichtig, dass der Zugang zu den Sportstätt­en schnell wieder erlaubt war“, lobt Nicole Püchel die gute Zusammenar­beit mit der Stadt Wülfrath.

Im zweiten Lockdown bildete der TBW Arbeitskre­ise, nahm den Schwung in die Abteilunge­n mit und stieg sehr schnell mit Hilfe von Zoom-Meetings in den Sportbetri­eb ein. Oberstes Gebot: Kontakt halten, Trainer und Mitglieder für die digitale Form des Trainings begeistern und Selbstvert­rauen vermitteln. Inzwischen bietet der Trainingsp­lan für jeden etwas. „Fit ins Home Schooling“heißt es zum Beispiel dienstags und donnerstag­s ab 7.25 Uhr für Grundschül­er – nach

dieser 15-minütigen Übungseinh­eit gehen die Kinder mit Schwung ihr Lernprogra­mm an. Montags und mittwochs steht ab 19.45 Uhr Taiso auf dem Programm – Nicole Püchel selbst führt bis 21 Uhr durch die japanische Bewegungss­chule.

Der TBW trotzt also mit großem Engagement der Corona-Krise. „Es wäre doch ganz tragisch, wenn wir wieder in die Halle können und es ist kaum noch einer da, ein Jahr Arbeit und Enthusiasm­us wäre durch die Pandemie wie weggeblase­n“, erklärt

„Früher konnte man einen Verein aus dem Bauchladen heraus führen, heute sind die Ansprüche höher“

Nicole Püchel Vorsitzend­e TB Wülfrath

Nicole Püchel und lobt zugleich die Arbeit ihrer Mitstreite­r Norbert Laufenberg, Abteilungs­leiter und Mitglied im Ältestenra­t, sowie Kassierer Lothar Weber: „Dieses Team ist unbezahlba­r.“Nicht mehr dabei ist Mark Tholl als 2. Vorsitzend­er, der aus berufliche­n Gründen sein Amt aufgab. Wichtig ist für Püchel aber auch die Unterstütz­ung durch die Trainer. „Wir haben alle Übungsleit­er weiter bezahlt, denn wir möchten nach der Pandemie nicht ohne Trainer dastehen. Wir verlieren sonst gute Leute, die wir nachher teuer einkaufen müssen“, erläutert die Vorsitzend­e die „politische Entscheidu­ng“, die mit dem Verein vertrauten Übungleite­r zu halten.

Die Corona-Pandemie ist zweifellos eine Herausford­erung, anderersei­ts gibt sie den Sportverei­nen Denkanstöß­e. „Früher konnte man einen Verein aus dem Bauchladen heraus führen, heute sind die Ansprüche höher, es gibt zudem andere gesetzlich­e Vorschrift­en“, konstatier­t Püchel und fügt hinzu: „Wir haben die Digitalisi­erung angestoßen und viele andere Projekte – es sieht gut aus.“Für die 49-Jährige steht fest: „Jede Krise ist auch eine Chance.“

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Nicole Püchel, hier mit einer Judo-Übungspupp­e, führt selbst Zoom-Kurse durch.

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