Neue Waffe gegen Alzheimer
Den Wirkstoff entwickelten Wissenschaftler mit Millionen vom Bund und Unterstützung eines Nobelpreisträgers.
DÜSSELDORF Wissenschaftler weltweit arbeiten an Medikamenten gegen die Alzheimer Erkrankung. Bislang ohne wirklichen Erfolg. Immer wieder wurden immense Summen investiert, große Hoffnungen geweckt – und enttäuscht. Nun aber kommen vielversprechende Nachrichten aus der Düsseldorfer Universität: Dieter Willbold, Professor für Physikalische Biologie, hat mit seinem Team in jahrelanger Forschung ein neuartiges Mittel gegen Alzheimer entwickelt und patentieren lassen. Unterstützt wird seine Arbeit mit Millionen vom Bund - und einem Nobelpreisträger aus den USA.
Dabei spricht Dieter Willbold nicht von „Medikament“, „denn so weit sind wir noch nicht“, meint er mit wissenschaftlicher Zurückhaltung. „Wirkstoffkandidat“ist ihm lieber oder der Name: PRI-002. Die Abkürzung steht für Prion, eine Verklumpung von körpereigenen Eiweißmolekülen mit schädlicher Wirkung: Sie verändern die Struktur von gesunden Molekülen, stecken sie quasi an und lösen somit Kettenreaktionen im Gehirn aus.
Entdeckt hat die Prionen als neuartige Klasse von Krankheitserregern der amerikanische Biochemiker und Neurologe Stanley Prusiner, der dafür 1997 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Und schon lange Kontakte zur Düsseldorfer Uni und speziell zu Detlev Riesner pflegte, Vorgänger von Willbold als Institutsleiter und Mitgründer unter anderem der Biotech-Unternehmen Qiagen und Evotec. Durch diese Kontakte kam der Nobelpreisträger 2018 zu einer Gastvorlesung an den Rhein – und zum Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Denn Dieter Willbold ist schon seit fast 20 Jahren damit beschäftigt, ein neuartiges Mittel zu entwickeln – auf der Basis der Prionenforschung. Lange Zeit konzentrierte sich die Alzheimer-Forschung auf Eiweißablagerungen im Gehirn als Auslöser der Erkrankung. Willbold, der neben seiner Tätigkeit an der Uni auch das Institut für Strukturbiochemie im Forschungszentrum Jülich leitet, konzentrierte sich auf eine Vorstufe der Ablagerungen, auf die so genannten Oligomere (ebenfalls verklumpte Eiweißmoleküle mit ähnlichen Eigenschaften wie Prionen), die die Gehirnfunktion beeinträchtigen, indem sie die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen (Synapsen) stören. „Nach jetzigem Forschungsstand sind Oligomere entscheidend am Krankheitsverlauf beteiligt“, so Willbold.
Der Wirkstoff PRI-002, für den der Düsseldorfer Wissenschaftler mittlerweile mehrere internationale Patente bekam, unterstützt die gesunden Zellen und zerstört die gefährlichen Proteine, er zerlegt sie in harmlose Einzelbausteine und gilt als erster Wirkstoff einer neuen Art, der ohne Mitwirkung des Immunsystems funktioniert, auf dessen Attacke viele der bisher entwickelten Therapien setzten. „Ich bin sehr froh, dass die biochemischen Ursachen dieser schrecklichen Krankheit nun direkt behandelt werden können“, kommentiert Nobelpreisträger Prusiner die Ergebnisse.
Nach ersten erfolgreichen Studien, bei denen Wirksamkeit und Verträglichkeit
nachgewiesen wurden, sollen nun weitere Langzeitstudien folgen, in denen der Wirkstoff schließlich auch bei 150 Alzheimer-Patienten erprobt wird. Allerdings bremst Dieter Willbold allzu schnelle Erwartungen, „wir erwarten die Ergebnisse voraussichtlich in fünf Jahren, vielleicht etwas früher.“
Spätestens dann wird man wissen, ob der neue Wirkstoff tatsächlich als Durchbruch in der Alzheimer-Therapie gelten kann. Bisher lässt sich die Erkrankung nicht heilen, es existieren keine Medikamente, die die grundlegenden Mechanismen beeinflussen, sie können allenfalls den Verlust des Erinnerungs- und Denkvermögens eine Weile hinauszögern und die Hirnleistung stimulieren. Von PRI-002 aber erhoffen die Wissenschaftler, dass es die gefährlichen Prozesse im Gehirn tatsächlich stoppen kann.
Um diese Entwicklung voran zu bringen, gründete Dieter Willbold 2017 das in Düsseldorf ansässige pharmazeutische Unternehmen Priavoid (in dessen Aufsichtsrat Stanley Prusiner und Detlev Riesner sitzen). In diesem Start-up sollen auch anderen Wirkstoffe entwickelt werden, denn die Forscher sind davon überzeugt, dass ihre Erfindung, Prionen im Gehirn auszuschalten, auch gegen viele andere Erkrankungen des Nervensystems wie beispielsweise Parkinson funktionieren kann.
Die Wissenschaftler konnten bereits – neben anderen Institutionen und Investoren – die Bundesagentur für Sprunginnovationen überzeugen: Von ihr wurden soeben die für die Phase-2-Studie erforderlichen Mittel in Aussicht gestellt. Auch das Interesse der Pharmaindustrie, die sich nach Milliarden-Verlusten aus der Alzheimer-Forschung weitgehend zurückgezogen hatte, wird wohl nun nicht mehr lange auf sich warten lassen.