Rheinische Post Hilden

Kunst in der Küche

Judith Samen möchte der Krise etwas entgegense­tzen. Die Künstlerin startet in ihrer Wohnung jede Woche eine neue Ausstellun­g unter dem Titel „The Kitchen Happening 21“– natürlich ohne Besucher.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

DÜSSELDORF Nicht umsonst heißt die freitäglic­he Vernissage „Silent Opening“. Da werden keine großen Reden geschwunge­n. Es gibt keinen Sekt. Und anwesend sind die ewig gleichen vier Gäste: Judith Samen, ihr Mann und die beiden Kinder. Gegen 18 Uhr findet sich die Familie in der Küche ihrer Wohnung in Flingern-Süd ein, um die neuen Kunstwerke willkommen zu heißen. „Die Eröffnung wird auf möglichst natürliche Weise in unseren Alltag eingebunde­n“, erklärt Samen. Zeitgleich erscheint eine Handvoll Fotos der neuen Ausstellun­gssituatio­n auf ihren Social-Media-Kanälen, sodass auch Externe teilhaben können. Im besten Fall funktionie­re das Projekt wie eine Fernsehser­ie, bei der man sich jede Woche auf eine neue Folge freue, so die Mutter der Idee.

Judith Samen hat in den 90er-Jahren an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie studiert. Als sie noch während ihres Studiums begann, ihre inszeniert­en Fotografie­n öffentlich zu präsentier­en, wählte sie für die erste Einzelauss­tellung eine Bottroper Pommesbude als Veranstalt­ungsort. Der „Grill am Ostring“ war dabei viel mehr als nur cleverer PR-Schachzug. Nahrung spielt in den Werken von Judith Samen nämlich seit jeher eine zentrale Rolle.

In ihrer Frühphase fotografie­rte sie Frauen, wahlweise nackt oder im gemusterte­n Haushaltsk­ittel, bevorzugt in der Küche. Mal in Gesellscha­ft riesiger Wirsingköp­fe. Mal mit aufgespieß­ten Hähnchensc­henkeln. Als Künstlerin interessie­re sie generell die Verbindung von Kunst und Leben, sagt Samen: „Ein Foto entsteht bei mir häufig aus einer Alltagshan­dlung heraus. Wenn mir ein Pfannkuche­n anbrennt, kann daraus ein Bild werden.“Planen lasse sich das natürlich nicht. Aber Samen hat ohnehin ein Faible für Überraschu­ngen.

Auch mit der Küche als Ausstellun­gsort hat die gebürtige Gladbecker­in bereits Erfahrung. Für ihre Schau „Küchen-Bilder“fand sie 1993 über eine Zeitungsan­nonce Düsseldorf­er, die ihre private Küche für ein Kunst-Happening zur Verfügung

stellten. Innerhalb einer Woche fanden fünf Abende statt. An jedem wurde ein fotografis­che Arbeit der Künstlerin gezeigt, passend zum jeweiligen Motiv wurde gekocht.

Fast 30 Jahre ist das mittlerwei­le her. „Das Projekt war sehr leicht und humorvoll“, sagt Samen. Das sei ihr generell bei ihrer Arbeit wichtig. „An bildende Kunst gibt es ja häufig eine Erwartung von Ernsthafti­gkeit, von Schwere und Wichtigkei­t. Sie soll den Betrachten­den Fragen beantworte­n. Diese Schubladen im Kopf möchte ich gerne durcheinan­derrütteln.“

Die Idee zu ihrem neuen Projekt, das auf die „Küchen-Bilder“Bezug nimmt, ist im vergangene­n Dezember entstanden, mitten im zweiten Lockdown. „Mir war damals schon klar, dass es ein unheimlich langer Winter werden würde“, erinnert sich Samen. Dieser herausford­ernden Situation habe sie etwas Positives entgegense­tzen wollen. Und die Wand in ihrer rund 20 Quadratmet­er großen Wohnküche, an der früher immer Arbeiten von ihr hingen, sei ohnehin schon seit Längerem unbespielt gewesen. Sie fragte also Künstlerin­nen und Künstler an, deren Arbeit sie mochte und die sie sich auch persönlich als Gast in ihrer Küche vorstellen konnte. Viele sagten sofort zu.

Eine von ihnen ist Claudia van Koolwijk. Zwei Werke der Fotokünstl­erin, die als Besucherin der Küchenhapp­enings 1993 eine Brücke in die Vergangenh­eit schlägt, markierten in der letzten Januar-Woche den Auftakt von „The Kitchen Happening 21“. Mittlerwei­le läuft bereits die zweite Ausstellun­g. Gast

diesmal: der Bildhauer Michel Sauer. In Samens Küche zeigt Sauer MDF-Lochplatte­n, die er mit Mustern bemalt hat. Die Arbeiten hat er bewusst ausgesucht, erklärt die Gastgeberi­n, „weil er meinen Hang zum gemusterte­n Haushaltsk­ittel kennt“. Tatsächlic­h verfüge sie über einen riesigen Kittel-Fundus. Sauers Hoffnung war nicht zuletzt die, dass seine Lochplatte­n Samen ihrerseits zu einem neuen Werk inspiriere­n könnten.

Gegenseiti­ges Anregen erhofft sich Judith Samen auch von ihren zukünftige­n Gästen. Auf der Liste stehen unter anderem Arpad Dobriban, Katharina Maderthane­r, Juergen Staack und Martina Sauter. Bis zum Frühsommer soll „The Kitchen Happening 21“weiterlauf­en. Mindestens. „Ich hoffe natürlich, dass es irgendwann wieder möglich ist, Besucher in unsere Küche zu lassen.“

Das „Silent Opening“wäre dann Geschichte.

 ?? FOTO: JUDITH SAMEN ?? Ein Blick in die Kunstküche von Judith Samen. Zu sehen sind Arbeiten von Claudia van Koolwijk. Links: Eierschale­n, 1981/2021, rechts: Amadin Ryan, 2020.
FOTO: JUDITH SAMEN Ein Blick in die Kunstküche von Judith Samen. Zu sehen sind Arbeiten von Claudia van Koolwijk. Links: Eierschale­n, 1981/2021, rechts: Amadin Ryan, 2020.

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