Kunst in der Küche
Judith Samen möchte der Krise etwas entgegensetzen. Die Künstlerin startet in ihrer Wohnung jede Woche eine neue Ausstellung unter dem Titel „The Kitchen Happening 21“– natürlich ohne Besucher.
DÜSSELDORF Nicht umsonst heißt die freitägliche Vernissage „Silent Opening“. Da werden keine großen Reden geschwungen. Es gibt keinen Sekt. Und anwesend sind die ewig gleichen vier Gäste: Judith Samen, ihr Mann und die beiden Kinder. Gegen 18 Uhr findet sich die Familie in der Küche ihrer Wohnung in Flingern-Süd ein, um die neuen Kunstwerke willkommen zu heißen. „Die Eröffnung wird auf möglichst natürliche Weise in unseren Alltag eingebunden“, erklärt Samen. Zeitgleich erscheint eine Handvoll Fotos der neuen Ausstellungssituation auf ihren Social-Media-Kanälen, sodass auch Externe teilhaben können. Im besten Fall funktioniere das Projekt wie eine Fernsehserie, bei der man sich jede Woche auf eine neue Folge freue, so die Mutter der Idee.
Judith Samen hat in den 90er-Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert. Als sie noch während ihres Studiums begann, ihre inszenierten Fotografien öffentlich zu präsentieren, wählte sie für die erste Einzelausstellung eine Bottroper Pommesbude als Veranstaltungsort. Der „Grill am Ostring“ war dabei viel mehr als nur cleverer PR-Schachzug. Nahrung spielt in den Werken von Judith Samen nämlich seit jeher eine zentrale Rolle.
In ihrer Frühphase fotografierte sie Frauen, wahlweise nackt oder im gemusterten Haushaltskittel, bevorzugt in der Küche. Mal in Gesellschaft riesiger Wirsingköpfe. Mal mit aufgespießten Hähnchenschenkeln. Als Künstlerin interessiere sie generell die Verbindung von Kunst und Leben, sagt Samen: „Ein Foto entsteht bei mir häufig aus einer Alltagshandlung heraus. Wenn mir ein Pfannkuchen anbrennt, kann daraus ein Bild werden.“Planen lasse sich das natürlich nicht. Aber Samen hat ohnehin ein Faible für Überraschungen.
Auch mit der Küche als Ausstellungsort hat die gebürtige Gladbeckerin bereits Erfahrung. Für ihre Schau „Küchen-Bilder“fand sie 1993 über eine Zeitungsannonce Düsseldorfer, die ihre private Küche für ein Kunst-Happening zur Verfügung
stellten. Innerhalb einer Woche fanden fünf Abende statt. An jedem wurde ein fotografische Arbeit der Künstlerin gezeigt, passend zum jeweiligen Motiv wurde gekocht.
Fast 30 Jahre ist das mittlerweile her. „Das Projekt war sehr leicht und humorvoll“, sagt Samen. Das sei ihr generell bei ihrer Arbeit wichtig. „An bildende Kunst gibt es ja häufig eine Erwartung von Ernsthaftigkeit, von Schwere und Wichtigkeit. Sie soll den Betrachtenden Fragen beantworten. Diese Schubladen im Kopf möchte ich gerne durcheinanderrütteln.“
Die Idee zu ihrem neuen Projekt, das auf die „Küchen-Bilder“Bezug nimmt, ist im vergangenen Dezember entstanden, mitten im zweiten Lockdown. „Mir war damals schon klar, dass es ein unheimlich langer Winter werden würde“, erinnert sich Samen. Dieser herausfordernden Situation habe sie etwas Positives entgegensetzen wollen. Und die Wand in ihrer rund 20 Quadratmeter großen Wohnküche, an der früher immer Arbeiten von ihr hingen, sei ohnehin schon seit Längerem unbespielt gewesen. Sie fragte also Künstlerinnen und Künstler an, deren Arbeit sie mochte und die sie sich auch persönlich als Gast in ihrer Küche vorstellen konnte. Viele sagten sofort zu.
Eine von ihnen ist Claudia van Koolwijk. Zwei Werke der Fotokünstlerin, die als Besucherin der Küchenhappenings 1993 eine Brücke in die Vergangenheit schlägt, markierten in der letzten Januar-Woche den Auftakt von „The Kitchen Happening 21“. Mittlerweile läuft bereits die zweite Ausstellung. Gast
diesmal: der Bildhauer Michel Sauer. In Samens Küche zeigt Sauer MDF-Lochplatten, die er mit Mustern bemalt hat. Die Arbeiten hat er bewusst ausgesucht, erklärt die Gastgeberin, „weil er meinen Hang zum gemusterten Haushaltskittel kennt“. Tatsächlich verfüge sie über einen riesigen Kittel-Fundus. Sauers Hoffnung war nicht zuletzt die, dass seine Lochplatten Samen ihrerseits zu einem neuen Werk inspirieren könnten.
Gegenseitiges Anregen erhofft sich Judith Samen auch von ihren zukünftigen Gästen. Auf der Liste stehen unter anderem Arpad Dobriban, Katharina Maderthaner, Juergen Staack und Martina Sauter. Bis zum Frühsommer soll „The Kitchen Happening 21“weiterlaufen. Mindestens. „Ich hoffe natürlich, dass es irgendwann wieder möglich ist, Besucher in unsere Küche zu lassen.“
Das „Silent Opening“wäre dann Geschichte.