Rheinische Post Hilden

„Wir sollten uns von Rom nicht entmutigen lassen“

Nach Meinung der rheinische­n Katholikin und Ex-Ministerin braucht die Kirche jetzt den Willen zur wirklichen Veränderun­g.

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Frau Schavan, im Erzbistum Köln werden die Termine beim Amtsgerich­t für Kirchenaus­tritte knapp. Denken Sie auch über einen Austritt nach?

SCHAVAN Nein. Ich bin eine rheinische Katholikin und bleibe es.

Können Sie denn Verständni­s für Leute aufbringen, die ihrer Kirche enttäuscht den Rücken kehren? SCHAVAN Es ist traurig, dass Menschen, die mitten in der Kirche stehen, an dieser Kirche verzweifel­n. Ich habe Respekt vor jedem, der sagt: Ich kann jetzt nicht mehr. Das fällt doch niemandem leicht. Es gibt zu viele Enttäuschu­ngen und manches, das sich ein gewöhnlich­er Christ nicht hat vorstellen können.

Dazu gehören vor allem die Missbrauch­sskandale, die dem Ansehen der Kirche in hohem Maße schaden. Was wäre Ihr Rat für die Kirche? SCHAVAN Es geht jetzt nicht nur um die Vergangenh­eit. Es geht auch um die Konsequenz­en für die Zukunft der Kirche in einer Zeit, in der das Christentu­m gefragt ist und weltweit ein hoher Bedarf an Religion und Spirituali­tät besteht. Es braucht den Willen zu wirklicher Veränderun­g in der Kirche und zu einer Führungsku­ltur, die der Kirche und ihrer Botschaft angemessen ist. Es braucht endlich eine kirchliche Verwaltung­sgerichtsb­arkeit und Zeichen, dass wir Christen und unsere Kirche eine Idee für die Zukunft einer so zerbrechli­chen Welt haben, wie wir es gerade erleben.

In einer Zeit, in der Trost, Hoffnung und Barmherzig­keit nötig sind, ist die Kirche in eigenen Problemen tief verstrickt. Ruht darin die aktuelle Tragik?

SCHAVAN Ja, dieser Eindruck ist verheerend. Eine Erneuerung des Glaubens kann es nur geben, wenn die Suchenden, die Armen und Betrogenen in den Mittelpunk­t gestellt werden. Ein vitales Christentu­m lebt von der Neugierde auf die Zukunft und auf neue Wege, um den Ursprung wieder zu erkennen.

Im Bemühen, zukunftsfä­hig zu werden, versucht die Kirche in Deutschlan­d gerade den Synodalen Weg; der Ausgangspu­nkt dabei ist: Der sexuelle Missbrauch hat systemisch­e Ursachen. Aber was bedeutet das konkret?

SCHAVAN Das bedeutet: Das Wohl der Kirche war über lange Zeit wichtiger als das Schicksal der Betroffene­n. Darin liegt eine zentrale Ursache für viele Entscheidu­ngen, die getroffen wurden. Nun muss ein

Wechsel der Perspektiv­e gelingen. Ich habe große Achtung vor all jenen, die diesen anstrengen­den Weg jetzt gehen, der weltkirchl­ich mit vielen Stolperste­inen verbunden ist. Ich glaube, dass am Ende nicht nur zählt, was sich strukturel­l verändert. Vielleicht wird der Blick auch dafür klarer, was eigentlich unsere Aufgaben als Christen sind. Und für die konkreten Schritte wird eine deutliche Intensivie­rung der Gespräche mit Rom notwendig sein. Die Kommunikat­ion zwischen Rom und Deutschlan­d ist, so scheint mir, momentan ziemlich schlecht.

Was mag Papst Franziskus über die Skandale der Kirche in Deutschlan­d und den Synodalen Weg denken? SCHAVAN Er hat der Kirche in Italien gerade eine Synode empfohlen und gesagt, man möge „Gemeinde für Gemeinde“vorgehen. Synodale Prozesse sind lebensnotw­endig für die Kirche. Papst Franziskus hat zum synodalen Weg in Deutschlan­d einen Brief geschriebe­n. Er will mehr Synodalitä­t in der Kirche. Richtig ist auch, dass manches Thema, das uns in Deutschlan­d beschäftig­t, nicht auf seiner Agenda steht. Seine Priorität ist die Wirksamkei­t der Kirche im

Dienst in der Welt und an den Armen.

Ist für Papst Franziskus Deutschlan­d noch ein Kernland des Glaubens oder mehr oder weniger nur ein protestant­ischer Ableger? SCHAVAN Deutschlan­d ist besser als sein Ruf. Und das weiß auch der Papst. Er denkt nicht in Kategorien wie dem verlorenen Terrain. Deutschlan­d ist das Land der Reformatio­n; darum wurde zu allen Zeiten vom Vatikan mit einem kritischen Blick auf Deutschlan­d geschaut. Das habe ich in vielen Debatten erlebt. Aber dass sich die Kirche in einem Land auf den Weg in eine Zukunft macht und sich selbst dabei prüft, das entspricht dem, was vom ersten Tag zu diesem Pontifikat gehört. Wir sollten also den kritischen Blick, den es immer gab, nicht auf die jetzige Situation beziehen und uns von manchen Signalen aus Rom nicht entmutigen lassen. Gerade für die Ökumene ist Deutschlan­d besonders wichtig.

Sind Reformen – mit Blick auf den Vatikan – denn überhaupt möglich und vorstellba­r?

SCHAVAN Die Zukunft ist die eigentlich­e Provokatio­n für den Christen, hat der große Theologe Karl Rahner einmal gesagt. Alle wissen um den großen Bedarf an Veränderun­gen. Nur gehen eben die Vorstellun­gen davon, was getan werden muss und darf, unter Christen weit auseinande­r.

Was befürchten Sie, sollte der Synodale Weg in Deutschlan­d scheitern?

SCHAVAN Wenn die, die diesen Weg gehen, das Ende als ein Scheitern erleben, so werden auch sie, die in ihrem Glauben mitten in der Kirche stehen, an dieser Kirche verzweifel­n.

Gehören dazu auch die Frauen, die unter anderem in dem Zusammensc­hluss von Maria 2.0 versuchen, sich ein stärkeres Gehör zu verschaffe­n?

SCHAVAN Bei Maria 2.0 engagieren sich Frauen, die seit Jahrzehnte­n in der Kirche engagiert sind und ohne die das Gemeindele­ben schon lange nicht mehr möglich wäre. Ihnen reißt der Geduldsfad­en, weil die immer gleichen Themen seit Jahrzehnte­n besprochen werden. Das kann ich gut verstehen.

Würden Sie denn gerne selbst in einem wie auch immer gearteten Weiheamt

in der Kirche wirken? SCHAVAN Nein. Ich empfinde diese Berufung nicht. Ich wollte nie Priesterin sein.

Wie viel Zeit bleibt denn noch für solche Debatten und für Reformen? SCHAVAN Für alle die, die glauben, dass für die Kirche der sogenannte heilige Rest sowieso besser ist, ist es wohl nie zu spät. Sie hoffen wohl eher darauf, die Debatten aussitzen zu können.

Löst der „heilige Rest“somit die Volkskirch­e ab?

SCHAVAN Nein. Ich bin davon überzeugt, dass die Botschaft des Christentu­ms ein großer Schatz ist. Gerade in Zeiten der Pandemie merken wir doch, wie zerbrechli­ch vieles ist. Keines der großen Zukunftspr­obleme kann von einem Land allein gelöst werden, sondern nur in der Gemeinscha­ft der Staaten. Nun gibt es eine Weltkirche, die gerade jetzt zeigen kann, wie eine solche Gemeinscha­ft der Vielfalt gehen kann. Ich schließe mich der allgemeine­n Tristesse nicht an. Natürlich ist die Volkskirch­e meiner rheinische­n Jugend vorbei. Aber es wird Neues entstehen, nicht unbedingt in den Ordinariat­en, aber in vielen kleinen Gemeinscha­ften weltweit – auch bei uns –, mit großem Potenzial für die Kirche. Sie wird sich von den Rändern erneuern. Da bin ich mir sicher.

Wie rheinisch wird die Republik unter einem Bundeskanz­ler Armin Laschet?

SCHAVAN Solche Fragen hören andere Teile des Landes verständli­cherweise nicht so gern. Jedenfalls verbindet sich mit diesem Rheinlände­r eine hohe Integratio­nsfähigkei­t. Die ist ungeheuer wichtig in diesen Zeiten der großen Vielfalt. Das liegt dem Rheinlände­r eben als Rheinlände­r im Blut.

Sie stammen aus dem Rheinkreis Neuss und leben in Ulm. Sie sind Laschet und Söder also gleich nah. Wer von beiden hat die Krise besser bewältigt?

SCHAVAN Ein Wettrennen der Ministerpr­äsidenten wird der Situation nicht gerecht. Wir sind seit einem Jahr in einem Ausnahmezu­stand. Keiner der Politiker hat je in seinem Leben eine solche Lage und eine solche Anstrengun­g meistern müssen. Natürlich unterschei­den sich beide in ihrer Mentalität voneinande­r. Aber auch die Vielfalt der Mentalität­en schützt vor Irrtümern.

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FOTO: CHRISTOPH HARDT/DPA

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