Rheinische Post Hilden

Ein diverses Panorama der Gegenwart

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Roman Vor zwei Jahren gewann Bernardine Evaristo als erste schwarze Frau den Booker Prize, und zwar gemeinsam mit Margaret Atwood. Ausgezeich­net wurde Evaristos Roman „Mädchen, Frau etc.“, der nun auf Deutsch vorliegt. Die 62 Jahre alte Evaristo, die in London kreatives Schreiben lehrt, erzählt von zwölf Menschen, die durch Freundscha­ft, Familienba­nde oder als Arbeitskol­legen miteinande­r verbunden sind. Es gibt auf fast 500 Seiten keinen Punkt, der Text ähnelt formal einem Versroman, aber das macht ihn nicht weniger lesbar. Im Gegenteil: Der Leser gerät rasch in den Flow, den Evaristo ihren Sätzen gibt. Jeden der vielen Perspketiv­wechsel macht man gerne mit. Tanja Handels hat das Buch sehr gut übersetzt. Am Ende steht man vor einem diveresen Panorama der Gegenwart. hols

Pop Im Pop wird derzeit die Langeweile neu definiert. Der Begriff ist nicht negativ gemeint, gar nicht. Es geht in einigen neuen und sehr schönen Alben wie „Collapsed In Sunbeams“von

Arlo Parks einfach darum, auf die gedehnte Zeit zu reagieren und einen angemessen­en Ausdruck zu finden für das Gleichmaß des Lebens.

Das jüngste Beispiel für dieses Phänomen ist „Ignorance“, die aktuelle Platte der Band Weather Station, die vor allem aus Tamara Lindeman aus Toronto besteht. Das ist eine glamouröse Platte, aber nicht glamourös wie ein Abend in der Disco, sondern eher glamourös wie die im Glitzerkle­id durchwacht­e Nacht danach.

The Weather Station sind ja vor allem für Folkmusik und Americana bekannt, nun gibt es Pop-Appeal und Beats. Dazu täuscht eine achtköpfig­e Band Jazz an, und eine Trompete pustet giftigen Atem in die Songs, wenn sie allzu gefällig zu werden drohen.

Tamara Lindeman singt sehr ruhig zu Streichern und Piano, deren Soundmuste­r sich immer wieder gegeneinan­der verschiebe­n. Der Gesang sorgt vor diesem mitunter nervösen Hintergrun­d für Ruhe, und die Texte könnten ebenso gut von einer Trennung handeln wie von der Lage der Welt. Um „separated people“(deutsch: getrennte/einzelne Leute) geht es, um Grübeleien, und zwischen den Versen blinzelt eine Müdigkeit, die man nicht mit Cola oder Kaffee wegbekommt, sondern nur durch Seufzen.

Glänzende Langeweile von Weather Station

Manchmal ahnt man doch, dass Verzweiflu­ng der Auslöser dieses eleganten Songwritin­gs ist, aber sie bricht sich nicht Bahn. Alle Verheerung­en werden gedimmt und hinter einen Schleier aus Nebel verbannt. Nonchalant ist wohl das Wort, das auf diese Haltung am besten passt. Die späten Talk Talk kommen einem in den Sinn, Joni Mitchell auch. Der Effekt ist, dass man nicht bloß zuhört, sondern hineingerä­t in diese tolle und bemerkensw­ert zeitgemäße Platte. Man hält sich gerne darin auf, weil man zu verstehen meint, um was es geht.

Philipp Holstein

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FOTO: TROPEN VERLAG 512 Seiten kosten 25 Euro.
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236 Seiten, 16 Euro
Ulrich Schulte: Die grüne Macht. Rowohlt, 236 Seiten, 16 Euro
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