Auf der Suche nach der Öffnungs-Strategie
Die Verlängerung des Lockdowns steht fest. Im Hinblick auf einen Stufenplan herrscht in der Politik allerdings große Uneinigkeit.
BERLIN Ein Stufenplan für die schrittweise Öffnung des Corona-Lockdowns sollte eigentlich seit der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch vergangener Woche vorliegen. Die Regierungschefs von Bund und Ländern hatten bei ihrem vorletzten Treffen am 19. Januar „ein Konzept für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie“in Aussicht gestellt. So ist es im entsprechenden Bund-Länder-Beschluss fixiert. Doch die Strategie für Lockerungen wurde auf Anfang März vertagt. „Es ist leichter zuzumachen als zu öffnen. Zumachen erfordert Mut, öffnen erfordert Klugheit“, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am vergangenen Mittwoch bei der Pressekonferenz gesagt. Der Streit über den richtigen Weg beim Öffnen ist in der Zwischenzeit entbrannt.
Die Bundesregierung mahnt weiterhin ein vorsichtiges Vorgehen an. Öffnungen dürften nicht unmittelbar danach wieder zu einem raschen Anstieg der Infektionszahlen führen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Wichtig sei deswegen, vor weiteren Öffnungsschritten zunächst die Auswirkungen über einen Infektionszyklus von 14 Tagen hinweg abzuwarten.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte, man müsse wegen der noch immer unklaren Verbreitung und Auswirkung von Virus-Mutationen „weiterhin auf Sicht fahren“und dürfe „keine Versprechen abgeben, die wir nicht halten können“. Zugleich begrüße sie „einen gemeinsamen Stufenplan der Länder“. „Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben sich bei der jüngsten MPK darauf verständigt, dass Öffnungen oder Lockerungen abhängig von einer stabilen Lage bei den Neuinfektionen erfolgen sollen“, sagte Esken unserer Redaktion. „Ein bundesweit abgestimmter und nachvollziehbarer Stufenplan darf sich demnach nicht an Feiertagen wie Ostern, sondern muss sich strikt am Infektionsgeschehen orientieren.“
Als Voraussetzung für Lockerungen hatten Bund und Länder zuletzt eine „stabile“Zahl der Neuinfektionen von 35 pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen genannt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte für das Kriterium „stabil“einen Zeitraum von etwa drei bis fünf Tagen angegeben. Laut Regierungssprecher Seibert könnte also bei Erreichen der 35er-Inzidenz nach drei bis fünf Tagen ein erster Schritt getan werden – vor dann folgenden Schritten seien aber jeweils 14 Tage abzuwarten.
Aus den Reihen der Opposition kam Kritik an der derzeitigen Umsetzung des Lockdowns. „Für eine nachhaltige Öffnung müssen wir aber endlich den Lockdown richtig machen. Wir brauchen eine verbindliche Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz“, sagte die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, unserer Redaktion. Das Potenzial der Schnelltests müsse „intensiver“genutzt werden. Nur so sei eine „nachhaltige Öffnung“möglich. „Denn wir alle wissen doch, dass der jetzige Zustand unglaublich zehrend für alle ist“, so Kipping.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hält es für zu früh, sich im Hinblick auf die Osterferien schon festzulegen. Man müsse abwarten, wie sich die Inzidenzen und der sogenannte R-Wert weiter entwickeln werden. Auch sei nicht abzusehen, „wie schnell und wie intensiv sich die Virusmutationen
verbreiten werden“, sagte er. „So gerne ich den an einer Reise Interessierten und dem Beherbergungsgewerbe Orientierung geben würde, definitive Aussagen sind leider noch nicht möglich.“Die Debatte zu den Osterferien hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) aufgeworfen. Osterurlaub werde es in Deutschland dieses Jahr „leider nicht geben“, sagte er der „Bild am Sonntag“.
Die Zurückhaltung bei Öffnungsschritten war bislang vor allem mit der Sorge vor der Verbreitung hochinfektiöser Virus-Varianten
begründet worden. Die Labore in Deutschland haben sich angesichts rückläufiger Infektionszahlen zuversichtlich gezeigt, alle positiven Corona-Tests auf Virus-Varianten überprüfen zu können. „Bei aktuell rückläufigen Zahlen an neu auftretenden Sars-CoV-2-Fällen wird nach unserer Einschätzung die Test- und Sequenzierkapazität ausreichen, um die positiven Fälle im Hinblick auf die Varianten nachzutesten“, sagte Michael Müller, Vorsitzender des Verbandes Akkreditierter Labore in der Medizin (ALM). Wann die in Deutschland bereits auftretenden Varianten das Infektionsgeschehen dominieren werden, wollte Müller nicht genau prognostizieren. „Wir gehen von einer kontinuierlichen Zunahme des Anteils der Varianten an den neu auftretenden Sars-CoV2-Fällen aus“, sagte er. „Der Zeitpunkt, wann die Varianten bei dem überwiegenden Teil der Neuinfizierten auftreten, ist schwer abschätzbar.“Die Bundesregierung hatte die Labore in einer Verordnung angewiesen, positive Tests auf Varianten zu prüfen.