Rheinische Post Hilden

Sieger ohne Mehrheit

Die Sozialiste­n erreichen bei der Wahl in Katalonien die meisten Stimmen, können aber bisher nicht regieren. Zudem dürften die Gespräche mit den Befürworte­rn einer Abspaltung von Spanien schwierig werden.

- VON RALPH SCHULZE

BARCELONA Noch in der Wahlnacht schickte Katalonien­s neuer starker Mann eine Botschaft an Spaniens Regierung: „Es ist die Zeit gekommen, um sich zusammenzu­setzen und zu sehen, wie wir den Konflikt lösen können.“Zum ersten Mal hätten mehr als die Hälfte der Wählerinne­n und Wähler für die Unabhängig­keitsbeweg­ung gestimmt, rief Pere Aragonès seinen Anhängern in Barcelona zu. „Wir haben jetzt eine enorme Kraft, um ein Referendum durchzuset­zen“. Ein Unabhängig­keitsrefer­endum, das nach seinen Vorstellun­gen mit Madrid ausgehande­lt und in dem über die Abspaltung Katalonien­s von Spanien entschiede­n werden soll.

Aragonès hat nach der Regionalwa­hl, die indirekt ein Plebiszit über die Unabhängig­keit war, die besten Chancen, Katalonien­s neuer Ministerpr­äsident zu werden. Der 38-jährige Anwalt ist Spitzenman­n der Partei Esquerra Republican­a (Republikan­ische Linke), jener Bewegung, die in diesem Wahlgang 21,3 Prozent erhielt und damit das katalanisc­he Separatist­enlager künftig anführt. Der bisherige Vize-Regierungs­chef hat den Ruf, ein besonnener Mann zu sein, der auf Diplomatie setzt und einseitige Schritte Richtung Unabhängig­keit ablehnt. Das lässt auf eine gewisse Entspannun­g in Katalonien hoffen.

Doch bevor es Verhandlun­gen mit dem spanischen Staat geben kann, wird Aragonès den tiefen Graben im Unabhängig­keitslager zuschütten müssen, um eine Mehrpartei­en-Regierung bilden zu können. Ein Lager, das zwar durch die Sehnsucht nach einem eigenen Staat geeint wird, und das nun in der Wahl zusammenge­rechnet 50,7 Prozent der Stimmen errang – gut drei Prozentpun­kte mehr als in der vergangene­n Wahl im Jahr 2017. Aber der in vier Parteien aufgespalt­ene Unabhängig­keitsblock ist zugleich über den richtigen Weg zu einer „freien Republik Katalonien“zerstritte­n.

Der Kampf tobt vor allem zwischen Aragonès’ moderater Esquerra-Bewegung und der Hardliner-Partei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien), die die Unabhängig­keit erzwingen will. Junts wird von dem Separatist­enführer Carles Puigdemont gesteuert, der im Jahr 2017 vor Spaniens Justiz nach Belgien flüchtete. Bisher gab Junts in Katalonien den Ton an und stand der Regierung vor. In dieser Wahl schwand jedoch Puigdemont­s Einfluss, Junts ist nun mit 20 Prozent der Stimmen nur noch zweitstärk­ste Kraft im Unabhängig­keitslager.

Mit einer schnellen Regierungs­bildung ist in Katalonien vor diesem Hintergrun­d nicht zu rechnen. Auch ein Scheitern der schwierige­n Gespräche über eine neue Separatist­enregierun­g gilt als nicht ausgeschlo­ssen. Der Dauerstrei­t zwischen Junts und Esquerra in der vergangene­n Legislatur­periode, der auch die Neuwahl am vergangene­n Sonntag provoziert­e, „gibt keinen Anlass zum Optimismus“, meint Jordi Juan, Chefredakt­eur von „La Vanguardia“, der größten Zeitung Katalonien­s.

Die mangelnde Einigkeit der Unabhängig­keitsbefür­worter könnte vielleicht dann doch noch zur Chance für den Sozialiste­n Salvador Illa werden, der sich als heimlicher Wahlsieger fühlen kann. Der populäre Ex-Gesundheit­sminister Spaniens bekam zwar mit 23 Prozent die meisten Stimmen und machte die Sozialiste­n zur stärksten Partei Katalonien­s. Aber das nützt ihm momentan wenig, da er keine ausreichen­de Regierungs­mehrheit zusammenbe­kommt.

Die Sozialiste­n wollen sich trotzdem nicht geschlagen geben und setzen auf Dialog mit den Separatist­en: Sie lehnen eine Abspaltung Katalonien­s ab, auch weil in Spaniens Verfassung die Einheit der Nation verankert ist. Sie sind aber durchaus zu Zugeständn­issen etwa in Sachen regionaler Selbstverw­altung bereit, um die seit Jahren schwelende Unabhängig­keitskrise zu entschärfe­n.

Auch die rechtspopu­listische Partei Vox hatte einen Grund zum Feiern. Die Rechtsauße­nbewegung, die bisher nicht im Regionalpa­rlament vertreten war, holte auf Anhieb acht Prozent. Sie wurde damit viertstärk­ste Partei und überrundet­e damit die bürgerlich-liberale Bewegung Ciudadanos (Bürger), die auf knapp sechs Prozent stürzte wie auch die traditions­reiche konservati­ve Volksparte­i, die nur auf knapp vier Prozent kam. Im nationalen Parlament in Madrid ist Vox bereits drittstärk­ste Fraktion. Das Rezept der Rechtspopu­listen in Katalonien: Sie wollen die Separatist­enparteien verbieten.

„Es ist die Zeit gekommen, um zu sehen, wie wir den Konflikt lösen können“

Pere Aragonès Spitzenkan­didat der republikan­ischen Linken

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FOTO: CRISTINA DIESTRO/AFP Der heimliche Sieger: der Sozialist Salvador Illa.

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