Streit um Sinn von Einfamilienhäusern schlägt hohe Wogen
BERLIN/DÜSSELDORF Die Grünen als Verbotspartei – diesen Vorwurf kennt der Fraktionschef der Öko-Partei, Anton Hofreiter, nur zu gut. Nach einem Interview mit dem „Spiegel“, in dem der prominente Grüne ein betont kritische Haltung zu Einfamilienhäuser einnahm, waren er und seine Mitstreiter am Montag bemüht, die Wogen zu glätten: „Die Grünen wollen nicht die eigenen vier Wände verbieten“, hatte Hofreiter schon im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin eingeschränkt. Am Wochenende korrigierte dann ein Sprecher der Fraktion den Eindruck, die Grünen wollten den Neubau von Einfamilienhäusern verbieten: „Die eigenen vier Wände sind für viele Menschen wichtig – dazu gehört auch das Einfamilienhaus“, stellt er klar.
Hofreiter hatte zuvor erklärt, Einparteienhäuser verbrauchten viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie. „Sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr.“
Bei der Union und den Wirtschaftsverbänden hatten die Äußerungen Hofreiters Empörung ausgelöst. NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) sagte der „Neuen Westfälischen“, die Haltung der Grünen zeige „einmal mehr, dass sie einfach ein Problem mit Eigentum haben“. Kritik kam auch von den Verbänden. So sprach der Präsident der Eigentümervertretung Haus & Grund, Kai Warnecke, von „reiner Ideologie“. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe erklärte: „Wer heute neu baut, baut nachhaltig: Eigenheimbauer planen und bauen nach hohen Standards in Sachen Energieeffizienz und nutzen neueste und nachhaltige Verfahren.“
SPD-Parteivize Kevin Kühnert pocht auf eine sachliche Auseinandersetzung. „Anstatt die Grünen als Verbotspartei anzuprangern und eine langweilige Grüne-Socken-Kampagne zu fahren, sollte man sie mit ihren eigenen Widersprüchen
konfrontieren“, sagte Kühnert unserer Redaktion. „Im von Winfried Kretschmann und den Grünen regierten Baden-Württemberg wurden durch Kommunen zuletzt mehr als 800 Ein- und Zweifamilienhäuser auf der grünen Wiese genehmigt. Das ist genau das, wogegen Anton Hofreiter argumentiert hat“, so Kühnert.
Die Förderung des Wohneigentums ist eine Trennlinie zwischen bürgerlichen Parteien wie der Union und der FDP und den links von der Mitte stehenden politischen Kräften wie den Grünen, der SPD und erst recht der Linken. So hat die CSU in der großen Koalition das Baukindergeld von 1200 Euro jährlich auch für höhere Einkommensgruppen durchgesetzt. Danach kann eine vierköpfige Familie bis zu einem Jahreseinkommen von 105.000 Euro ein Zuschuss von insgesamt 24.000 Euro zum Bau erhalten. Im schwarz-gelb regierten Nordrhein-Westfalen gibt es Darlehen mit langfristiger Niedrigzinsbindung von der landeseigenen NRW-Bank mit einem Tilgungsnachlass von 7,5 Prozent für einkommensschwächere Familien noch obendrauf.
Die Förderung sorgt nach Meinung von Umweltverbänden für erhöhten Druck auf die Kommunen, Neubaugebiete auszuweisen. Der Nabu etwa rechnet vor, dass sich derzeit die freie Fläche in Deutschland
nach Angaben des Verbands um ein Einfamilienhaus pro Minute verringert. Oft verdienen die Gemeinden an Neubaugebieten durch die Erschließungsgebühren und die aus den Neubauten resultierende Grundsteuer.
Ganz unbegründet ist die Sorge Hofreiters um die drohende Zersiedelung also nicht: In Deutschland werden immer mehr Flächen versiegelt. 1992 betrug die Siedlungs- und Verkehrsfläche laut Statistischem Bundesamt 40.305 Quadratkilometer, fast 30 Jahre später (2019) sind 51.489 Quadratkilometer verbaut. Immerhin nahm das Tempo des Flächenverbrauchs in den vergangenen 20 Jahren deutlich ab.