Rheinische Post Hilden

Streit um Sinn von Einfamilie­nhäusern schlägt hohe Wogen

- VON JAN DREBES UND MARTIN KESSLER

BERLIN/DÜSSELDORF Die Grünen als Verbotspar­tei – diesen Vorwurf kennt der Fraktionsc­hef der Öko-Partei, Anton Hofreiter, nur zu gut. Nach einem Interview mit dem „Spiegel“, in dem der prominente Grüne ein betont kritische Haltung zu Einfamilie­nhäuser einnahm, waren er und seine Mitstreite­r am Montag bemüht, die Wogen zu glätten: „Die Grünen wollen nicht die eigenen vier Wände verbieten“, hatte Hofreiter schon im Gespräch mit dem Nachrichte­nmagazin eingeschrä­nkt. Am Wochenende korrigiert­e dann ein Sprecher der Fraktion den Eindruck, die Grünen wollten den Neubau von Einfamilie­nhäusern verbieten: „Die eigenen vier Wände sind für viele Menschen wichtig – dazu gehört auch das Einfamilie­nhaus“, stellt er klar.

Hofreiter hatte zuvor erklärt, Einparteie­nhäuser verbraucht­en viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie. „Sie sorgen für Zersiedelu­ng und damit auch für noch mehr Verkehr.“

Bei der Union und den Wirtschaft­sverbänden hatten die Äußerungen Hofreiters Empörung ausgelöst. NRW-Bauministe­rin Ina Scharrenba­ch (CDU) sagte der „Neuen Westfälisc­hen“, die Haltung der Grünen zeige „einmal mehr, dass sie einfach ein Problem mit Eigentum haben“. Kritik kam auch von den Verbänden. So sprach der Präsident der Eigentümer­vertretung Haus & Grund, Kai Warnecke, von „reiner Ideologie“. Felix Pakleppa, Hauptgesch­äftsführer des Zentralver­bands Deutsches Baugewerbe erklärte: „Wer heute neu baut, baut nachhaltig: Eigenheimb­auer planen und bauen nach hohen Standards in Sachen Energieeff­izienz und nutzen neueste und nachhaltig­e Verfahren.“

SPD-Parteivize Kevin Kühnert pocht auf eine sachliche Auseinande­rsetzung. „Anstatt die Grünen als Verbotspar­tei anzuprange­rn und eine langweilig­e Grüne-Socken-Kampagne zu fahren, sollte man sie mit ihren eigenen Widersprüc­hen

konfrontie­ren“, sagte Kühnert unserer Redaktion. „Im von Winfried Kretschman­n und den Grünen regierten Baden-Württember­g wurden durch Kommunen zuletzt mehr als 800 Ein- und Zweifamili­enhäuser auf der grünen Wiese genehmigt. Das ist genau das, wogegen Anton Hofreiter argumentie­rt hat“, so Kühnert.

Die Förderung des Wohneigent­ums ist eine Trennlinie zwischen bürgerlich­en Parteien wie der Union und der FDP und den links von der Mitte stehenden politische­n Kräften wie den Grünen, der SPD und erst recht der Linken. So hat die CSU in der großen Koalition das Baukinderg­eld von 1200 Euro jährlich auch für höhere Einkommens­gruppen durchgeset­zt. Danach kann eine vierköpfig­e Familie bis zu einem Jahreseink­ommen von 105.000 Euro ein Zuschuss von insgesamt 24.000 Euro zum Bau erhalten. Im schwarz-gelb regierten Nordrhein-Westfalen gibt es Darlehen mit langfristi­ger Niedrigzin­sbindung von der landeseige­nen NRW-Bank mit einem Tilgungsna­chlass von 7,5 Prozent für einkommens­schwächere Familien noch obendrauf.

Die Förderung sorgt nach Meinung von Umweltverb­änden für erhöhten Druck auf die Kommunen, Neubaugebi­ete auszuweise­n. Der Nabu etwa rechnet vor, dass sich derzeit die freie Fläche in Deutschlan­d

nach Angaben des Verbands um ein Einfamilie­nhaus pro Minute verringert. Oft verdienen die Gemeinden an Neubaugebi­eten durch die Erschließu­ngsgebühre­n und die aus den Neubauten resultiere­nde Grundsteue­r.

Ganz unbegründe­t ist die Sorge Hofreiters um die drohende Zersiedelu­ng also nicht: In Deutschlan­d werden immer mehr Flächen versiegelt. 1992 betrug die Siedlungs- und Verkehrsfl­äche laut Statistisc­hem Bundesamt 40.305 Quadratkil­ometer, fast 30 Jahre später (2019) sind 51.489 Quadratkil­ometer verbaut. Immerhin nahm das Tempo des Flächenver­brauchs in den vergangene­n 20 Jahren deutlich ab.

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