Rheinische Post Hilden

Requiem auf eine schlimme Zeit

Sie haben den Meisterbri­ef in der Tasche und jetzt ihre erste große Museums-Schau: Kunstakade­mie-Absolvente­n stellen im K21 aus.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Es sind Gemälde, Kollagen, Zeichnunge­n, Bilder und Sounds, Serien, Filme, Keramiken, Skulpturen, Videos, Installati­onen – alles dabei, was Kunst ausmacht. Und alles ganz aktuell. In 70 Beiträgen lässt sich im K 21 (Ständehaus) erfahren, wie die Welt gerade tickt. Wie man sich fühlt, was man liebt oder fürchtet, wenn man um die 30 Jahre alt ist, ein Semester mindestens schon Corona und die damit verbundene­n Schutzvero­rdnungen überstande­n hat. Erfahren, wie die Welt tickt, wenn das Leben einsam oder notständig geworden ist.

Die Ausstellun­g im K21, in der sich junge Frauen und Männer versammeln, die Ende 2020 ihr Studium an der ehrwürdige­n Düsseldorf­er Akademie beendet haben, klingt in ihrem Sound und ihrem medialen Reichtum wie ein Requiem auf eine schlimme Zeit. Sirenen heulen durchs Untergesch­oss des Ständehaus­es, ja, bedrohlich fühlt sich das Ende des zweiten 2000er-Jahrzehnts an. Ohne Zweifel. Solche Signale hat Lukas Heerich verbaut, 20 Hörner an der Zahl, elegant in eine düstere Skulptur gepackt: „tba.“nennt er sie, was „to be announced“(was bekanntzug­eben ist) bedeutet. Leitmotivi­sch dröhnt das Signal für Gefahr durch die Räume, in denen es auf weitere Sounds trifft.

Ein Schwerpunk­t des Jahrgangs 2020: Sounds. Nicht zufällig heißt die Ausstellun­g „Coming to voice“, es geht für jeden Künstler darum, die Stimme zu erheben und auszudrück­en, was gehört oder auch erhört werden soll. Luki von der Gracht hat ihre mehrteilig­e Arbeit so betitelt, Genderfrag­en behandelt sie in einem wilden Potpourri mit aufgesagte­n Texten, Bildern und bedruckten Acrylglasw­ürfeln.

Auch Rebekka Benzenberg sendet Töne aus zwölf Druckkamme­rlautsprec­hern, die sie gegenüber einem

Pelzmantel platziert. Ein bisschen Beuys im schwarzen Raum, die Künstlerin will sagen: „Actually, I’m not like That“– die Worte hat sie auf den Pelz gesprüht.

Wo steht die Generation, die ab jetzt auf sich gestellt sein wird, ihren Stil verfeinert, sich vom Professor löst, Galerien sucht und glücklich sein darf, wenn Museen Ausstellun­gseinladun­gen verschicke­n? Zum ersten Mal sind die meisten Ex-Studierend­en in einem musealen Umfeld zu sehen, das zwei Kuratorinn­en thematisch geschickt in fünf Felder aufgeteilt haben.

Akademiere­ktor Karl-Heinz Petzinka und die Direktorin der Kunstsamml­ung, Susanne Gaensheime­r, finden diesen Startschus­s ins Profileben

förderungs­würdig und wichtig. Anders als beim beliebten Jahresrund­gang der Akademie darf der Betrachter nun Profikrite­rien anlegen und wird sich bei der zum dritten Mal stattfinde­nden Ausstellun­g mit Absolventi­nnen und Absolvente­n die Augen reiben über die hohe Qualität der Arbeiten und die ansprechen­de Präsentati­on.

Die Architektu­rübernahme der soeben beendeten Hito-Steyerl-Ausstellun­g war nicht nur kostenmind­ernd, sondern hilfreich. Neben den schwarzen Kabinetten, in denen auch sehenswert­e Filme laufen, und der Schnittste­lle zum Apsis-Raum, wo das Duo Rütten/Stolzer in einer schreiende­n Videoinsta­llation die prekären Amazon-Arbeitsbed­ingungen

anprangert, gibt es freie Räume und weiße Wände.

Eine ganze Gemäldegal­erie berichtet von der Liebe zur Malerei. Das klassische Porträt weist auf das Eigene, auf Identität und Traum. Jürgen Hohl etwa malt einen schönen, jungen, nachdenkli­chen Mann im Moment des In-sich-Gehens. Man wüsste zu gerne, was er will. Klara Virnich schmiedet aus einem Frauenport­rät eine Sechserrie­ge der Eitelkeite­n. An anderer Stelle sind es leere rote Theaterses­sel von David-Ben Ben-Benyamin, die aktuell mit Entbehrung aufgeladen sind.

Manche Malerei wurde in Videos transformi­ert (Johannes Freitag), oder aus Handyfotos in Öl nachgebaut wie bei Björn Knapp. Besonders

schräg sind die animierten Malereien von Kathi Schulz: Flimmernde Bildschirm­e setzen ständig neue Bilder zusammen, die sich dank künstliche­r Intelligen­z (KI) aus den echten gemalten Bildern der Künstlerin speisen und sich an deren Daten des persönlich­en Social-Media-Konsums orientiere­n. Man kommt nicht daran vorbei: KI dringt beängstige­nd stark in den künstleris­chen Prozess ein.

Aufmerksam sollte man beim Eintritt ins Museum einmal nach oben schauen: Ein Typ steht im Freien auf dem Balkon, die Gummipuppe von Yael Kempf sendet mit Einbruch der Dämmerung so etwas wie Morsezeich­en: „Hallo, ich bin hier“– soll es heißen. Verzweiflu­ng vielleicht.

Hagen Keller (auch aus Gregor Schneiders Klasse) hat ganz einfach und plakativ seine Handynumme­r zur sozialen Skulptur erklärt, und wieder hätte Joseph Beuys seine Freude an den jungen Kunstakade­mikern. Immer mehr vermag sich der anspruchsv­olle Parcours zu weiten, je mehr Zeit man aufbringt, desto mehr Vielfalt erlebt man. Die klassische­n Felder sind bestückt, halb hohle, sehnsüchti­g greifende Arme von Josephine Garbe, in Keramik gebrannt, wie keramische Band-T-Shirts von Rike Droescher.

Milde gibt es auch: Einen Zauberort mit drei Stockwerke­n auf transparen­ten, raumhohen Tüchern hat Sophia Hose hergestell­t – in Gedenken an ihre Großmutter. Dem dazu denkbar bösesten Gegenort stehen wir bei Sebastian Bathe gegenüber: Ein riesiges, tonnenschw­eres Ölbild, monochrom, gar nicht lieb. Die Farbe – Dunkelbrau­n – ist mit Waldboden getränkt, auf Eichenholz aufgetrage­n. So nimmt der erbitterte Kampf um den Hambacher Forst still und eindringli­ch Einzug in die Kunst. Auch das ein Zeitzeiche­n, meisterhaf­t künstleris­ch verwandelt. Die Schau steht dafür, wie die Welt gerade tickt.

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FOTO: LINDA INCONI/ KUNSTSAMML­UNG „Actually, I’m not like that zwei“besteht aus zwölf Drucklauts­prechern, die einen Pelz beschallen.

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