Rheinische Post Hilden

Wonder Woman verliert ihre Superkräft­e

Der neue Film mit der Heldin ist noch vor dem Kinostart bei Sky zu sehen. Ab Donnerstag kann man ihn abrufen. Die lang ersehnte Fortsetzun­g hält jedoch nicht, was der Auftakt 2017 versprach: Die ursprüngli­che Botschaft fehlt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF In der schönsten Szene hangelt sich Wonder Woman mit ihrem magischen Lasso in einem Gewitter von Blitz zu Blitz. Es hätte das Bild dieses Films sein können: Die Superheldi­n, die wie eine Urgewalt über die Welt kommt, ein Genre durcheinan­derwirbelt und als Symbol in aktuelle Debatten einschlägt. Allerdings bringt nicht diese Stelle die zweieinhal­b Stunden auf den Punkt. Sondern jene später gezeigte Kampf-Choreograf­ie, in der die Heldin eine massive goldene Rüstung mit mächtigen Flügeln tragen muss: Der Aufzug lässt sie schwerfäll­ig anmuten, weniger wendig. Sie wirkt eingezwäng­t. Eher Objekt als Handelnde.

„Wonder Woman 1984“heißt die Fortsetzun­g des ersten Abenteuers mit Amazonenpr­inzessin Diana aus dem Universum von DC Comics. Der Auftakt spielte vor vier Jahren 822 Millionen Dollar ein. Regisseuri­n Patty Jenkins inszeniert­e die von Gal Gadot gespielte Hauptfigur als Gegenentwu­rf zu den Stereotype­n des Genres: Sie war souverän, und stark, aber eben auch charmant und mitunter selbstiron­isch, bisweilen zweifelnd. Die Figur bot viele Möglichkei­ten, als feministis­che Superheldi­n weitererzä­hlt zu werden.

Zumal Patty Jenkins lange über ihre Gage für die Fortsetzun­g verhandelt­e. Frauen werden in Hollywood noch immer schlechter bezahlt als ihre männliche Kollegen.

Jenkins wollte jedoch wie jemand bezahlt werden, der mit seinem ersten Superhelde­n-Film viel erreicht hat. Schließlic­h soll sie eine Gage zwischen acht und neun Millionen Dollar bekommen haben – Rekord für eine Regisseuri­n. Und das Statement einer Künstlerin, die für Gerechtigk­eit kämpft.

Dem Film der Warner-Studios wurde eine Milliarde Dollar Einspieler­gebnis zugetraut. Er hätte zunächst Ende 2019 ins Kino kommen sollen. Dann spekuliert­e man auf einen Sommer-Blockbuste­r, musste ihn wegen Corona in den Herbst 2020 verschiebe­n und zeigte ihn schließlic­h kurz vor Weihnachte­n parallel in den wenigen geöffneten Kinos und beim Bezahlsend­er HBO Max. Der ungewöhnli­che Vorgang wird in Hollywood als einschneid­end gewertet, als Zeichen einer neuen Zeit. Warner kündigte nämlich an, auch die Großproduk­tionen „Dune“und „The Matrix 4“zugleich im Kino und bei dem Sender aufzuführe­n. Den betroffene­n Regisseure­n wurde von der Entscheidu­ng nichts mitgeteilt. Der erboste Christophe­r Nolan kommentier­te im „Hollywood Reporter“, er sei ins Bett gegangen in dem Glauben, für das beste Studio zu arbeiten und aufgewacht als Mitarbeite­r des schlechtes­ten Streaming-Services.

Dass das Kino zumindest für dieses Jahr seinen Exklusivit­ätsanspruc­h in den USA verloren hat, liegt daran, dass sich die Börsenkurs­e der Unterhaltu­ngskonzern­e verstärkt an ihrem Streaming-Potenzial orientiere­n. HBO Max bleibt hinter den Konkurrent­en Netflix und Disney+ zurück. Immerhin konnte der Sender die Zahl seiner aktivierte­n Nutzer durch „Wonder Woman 1984“auf 17 Millionen verdoppeln. Und weil es HBO Max in Deutschlan­d nicht gibt und Warner mit Sky kooperiert, wird die Produktion hierzuland­e nun von Donnerstag an dort zu sehen sein.

Der Filmtitel erinnert an George Orwell, aber der Zuschauer ahnt bald, dass es bei der Entscheidu­ng, den im Ersten Weltkrieg spielenden ersten Teil in den 80ern fortzusetz­en, vor allem darum ging, bescheuert­e Frisuren und komische Klamotten zu zeigen. Dabei geht es durchaus vielverspr­echend mit einem zeitlichen Rückgriff los: Die kindliche Diana nimmt an einer Amazonen-Olympiade teil, die ersten zehn Minuten sind so rasant und bildgewalt­ig, dass man kaum zum Luftholen kommt. Diese Ouvertüre bildet die Brücke zum ersten Teil, danach trifft man Diana Prince, wie sie sich nun nennt, 1984 wieder. Sie arbeitet inzwischen als Archäologi­n im Smithsonia­n Museum in Washington.

Hier setzt nun große Lähmung ein, das Drehbuch schreckt vor keinem Klischee zurück, bedient jedes Stereotyp und lässt seine Hauptfigur müde, geradezu unsicher wirken. Die schüchtern­e Arbeitskol­legin Barbara Minerva (Kristen Wiig) trägt natürlich eine große Brille, bevor sie sich in Cheetah verwandelt, Wonder Womans Gegenspiel­erin. Der in Öl machende Bösewicht (Pedro Pascal) ist allzu stark karikieren­d an Donald Trump herangesty­lt, und natürlich will er die Welt beherrsche­n. Und dann gibt es noch einen 4000 Jahre alten Stein, der alle Wünsche erfüllt um den Preis, dass er das Beste nimmt, was der gierig Wünschende zuvor besaß. „Wall Street“trifft „Timm Thaler“und „Die Waffen der Frauen“.

Keine der Figuren kann die Erwartunge­n erfüllen, die viele an diesen zweiten Teil hatten. Barbara Minerva tritt lediglich aus Neid auf die Seite des Bösen. Und Wonder Woman selbst handelt über weite Strecken ausschließ­lich mit dem Ziel, ihre im Krieg verlorene große Liebe Steve (Chris Pine) wiederzube­leben. Die Kleidung, die sie im bürgerlich­en Leben trägt, gemahnt an Kostüme von Katharine Hepburn. Ihre Botschaft bliebt weit dahinter zurück: Wonder Womans wahre Superkräft­e, nämlich Einfluss zu nehmen auf Diskurse aus der Lebenswelt der Zuschauer, bleiben verborgen.

Immerhin lässt sie in einem hyperpathe­tischen und von Hans Zimmer mit dicker Orchester-Soße übergossen­en Finale erkennen, welche Kraft diese hadernde, trauernde und melancholi­sche Heldin entwickeln könnte. Nicht Kampf und Action stehen am Ende, sondern eine Ansprache an die Welt. Worte statt Waffen.

Eine weitere Fortsetzun­g unter ihrer Regie hat Patty Jenkins davon abhängig gemacht, ob Filme auch künftig im Kino ausgespiel­t werden.

Keine der Figuren kann die Erwartunge­n erfüllen, die viele an den Film hatten

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