Wonder Woman verliert ihre Superkräfte
Der neue Film mit der Heldin ist noch vor dem Kinostart bei Sky zu sehen. Ab Donnerstag kann man ihn abrufen. Die lang ersehnte Fortsetzung hält jedoch nicht, was der Auftakt 2017 versprach: Die ursprüngliche Botschaft fehlt.
DÜSSELDORF In der schönsten Szene hangelt sich Wonder Woman mit ihrem magischen Lasso in einem Gewitter von Blitz zu Blitz. Es hätte das Bild dieses Films sein können: Die Superheldin, die wie eine Urgewalt über die Welt kommt, ein Genre durcheinanderwirbelt und als Symbol in aktuelle Debatten einschlägt. Allerdings bringt nicht diese Stelle die zweieinhalb Stunden auf den Punkt. Sondern jene später gezeigte Kampf-Choreografie, in der die Heldin eine massive goldene Rüstung mit mächtigen Flügeln tragen muss: Der Aufzug lässt sie schwerfällig anmuten, weniger wendig. Sie wirkt eingezwängt. Eher Objekt als Handelnde.
„Wonder Woman 1984“heißt die Fortsetzung des ersten Abenteuers mit Amazonenprinzessin Diana aus dem Universum von DC Comics. Der Auftakt spielte vor vier Jahren 822 Millionen Dollar ein. Regisseurin Patty Jenkins inszenierte die von Gal Gadot gespielte Hauptfigur als Gegenentwurf zu den Stereotypen des Genres: Sie war souverän, und stark, aber eben auch charmant und mitunter selbstironisch, bisweilen zweifelnd. Die Figur bot viele Möglichkeiten, als feministische Superheldin weitererzählt zu werden.
Zumal Patty Jenkins lange über ihre Gage für die Fortsetzung verhandelte. Frauen werden in Hollywood noch immer schlechter bezahlt als ihre männliche Kollegen.
Jenkins wollte jedoch wie jemand bezahlt werden, der mit seinem ersten Superhelden-Film viel erreicht hat. Schließlich soll sie eine Gage zwischen acht und neun Millionen Dollar bekommen haben – Rekord für eine Regisseurin. Und das Statement einer Künstlerin, die für Gerechtigkeit kämpft.
Dem Film der Warner-Studios wurde eine Milliarde Dollar Einspielergebnis zugetraut. Er hätte zunächst Ende 2019 ins Kino kommen sollen. Dann spekulierte man auf einen Sommer-Blockbuster, musste ihn wegen Corona in den Herbst 2020 verschieben und zeigte ihn schließlich kurz vor Weihnachten parallel in den wenigen geöffneten Kinos und beim Bezahlsender HBO Max. Der ungewöhnliche Vorgang wird in Hollywood als einschneidend gewertet, als Zeichen einer neuen Zeit. Warner kündigte nämlich an, auch die Großproduktionen „Dune“und „The Matrix 4“zugleich im Kino und bei dem Sender aufzuführen. Den betroffenen Regisseuren wurde von der Entscheidung nichts mitgeteilt. Der erboste Christopher Nolan kommentierte im „Hollywood Reporter“, er sei ins Bett gegangen in dem Glauben, für das beste Studio zu arbeiten und aufgewacht als Mitarbeiter des schlechtesten Streaming-Services.
Dass das Kino zumindest für dieses Jahr seinen Exklusivitätsanspruch in den USA verloren hat, liegt daran, dass sich die Börsenkurse der Unterhaltungskonzerne verstärkt an ihrem Streaming-Potenzial orientieren. HBO Max bleibt hinter den Konkurrenten Netflix und Disney+ zurück. Immerhin konnte der Sender die Zahl seiner aktivierten Nutzer durch „Wonder Woman 1984“auf 17 Millionen verdoppeln. Und weil es HBO Max in Deutschland nicht gibt und Warner mit Sky kooperiert, wird die Produktion hierzulande nun von Donnerstag an dort zu sehen sein.
Der Filmtitel erinnert an George Orwell, aber der Zuschauer ahnt bald, dass es bei der Entscheidung, den im Ersten Weltkrieg spielenden ersten Teil in den 80ern fortzusetzen, vor allem darum ging, bescheuerte Frisuren und komische Klamotten zu zeigen. Dabei geht es durchaus vielversprechend mit einem zeitlichen Rückgriff los: Die kindliche Diana nimmt an einer Amazonen-Olympiade teil, die ersten zehn Minuten sind so rasant und bildgewaltig, dass man kaum zum Luftholen kommt. Diese Ouvertüre bildet die Brücke zum ersten Teil, danach trifft man Diana Prince, wie sie sich nun nennt, 1984 wieder. Sie arbeitet inzwischen als Archäologin im Smithsonian Museum in Washington.
Hier setzt nun große Lähmung ein, das Drehbuch schreckt vor keinem Klischee zurück, bedient jedes Stereotyp und lässt seine Hauptfigur müde, geradezu unsicher wirken. Die schüchterne Arbeitskollegin Barbara Minerva (Kristen Wiig) trägt natürlich eine große Brille, bevor sie sich in Cheetah verwandelt, Wonder Womans Gegenspielerin. Der in Öl machende Bösewicht (Pedro Pascal) ist allzu stark karikierend an Donald Trump herangestylt, und natürlich will er die Welt beherrschen. Und dann gibt es noch einen 4000 Jahre alten Stein, der alle Wünsche erfüllt um den Preis, dass er das Beste nimmt, was der gierig Wünschende zuvor besaß. „Wall Street“trifft „Timm Thaler“und „Die Waffen der Frauen“.
Keine der Figuren kann die Erwartungen erfüllen, die viele an diesen zweiten Teil hatten. Barbara Minerva tritt lediglich aus Neid auf die Seite des Bösen. Und Wonder Woman selbst handelt über weite Strecken ausschließlich mit dem Ziel, ihre im Krieg verlorene große Liebe Steve (Chris Pine) wiederzubeleben. Die Kleidung, die sie im bürgerlichen Leben trägt, gemahnt an Kostüme von Katharine Hepburn. Ihre Botschaft bliebt weit dahinter zurück: Wonder Womans wahre Superkräfte, nämlich Einfluss zu nehmen auf Diskurse aus der Lebenswelt der Zuschauer, bleiben verborgen.
Immerhin lässt sie in einem hyperpathetischen und von Hans Zimmer mit dicker Orchester-Soße übergossenen Finale erkennen, welche Kraft diese hadernde, trauernde und melancholische Heldin entwickeln könnte. Nicht Kampf und Action stehen am Ende, sondern eine Ansprache an die Welt. Worte statt Waffen.
Eine weitere Fortsetzung unter ihrer Regie hat Patty Jenkins davon abhängig gemacht, ob Filme auch künftig im Kino ausgespielt werden.
Keine der Figuren kann die Erwartungen erfüllen, die viele an den Film hatten