Rheinische Post Hilden

Ein Ass im Ärmel gegen das Virus

Astrazenec­a könnte mit einem Antikörper­präparat einen schnellen Schutz bieten und die Lücke füllen, die sich bis zur Wirkung der Impfung auftut.

- VON REGINA HARTLEB

LONDON Die Wissenscha­ft arbeitet seit rund einem Jahr im Zeitraffer­tempo, das ist vielleicht die wichtigste Begleiters­cheinung der Pandemie. Nie zuvor wurde so schnell ein Impfstoff gegen eine Krankheit entwickelt wie gegen Sars-CoV-2. Der Beginn der Impfungen ist der Anfang vom Ende der Pandemie. Und der Medizinsch­rank füllt sich weiter: Der ersteller Astrazenec­a hat ein zweites Ass im Ärmel. Mit einer speziellen Antikörper-Kombinatio­n könnte Infizoiert­e künftig direkt geholfen werden. AZD 7442 heißt das Medikament, welches das britisch-schwedisch­e Unternehme­n gemeinsam mit dem National Health Service Trust (NHS, Nationaler Gesundheit­sdienst) des University College London Hospitals (UCHL) entwickelt hat.

Antikörper-Präparate wären eine wertvolle Ergänzung im Kampf gegen die Coronaviru­s-Pandemie. Sie könnten die zeitliche Lücke füllen, die sich vom Tag der letzten Impfung bis zu ihrer Wirkung auftut. Denn nach der Injektion muss das Immunsyste­m die Antikörper gegen Sars-CoV-2 erst selbst bilden. Dies kann bis zu drei Wochen dauern. Für jemanden, der sich akut infiziert, kommt die Impfung also zu spät.

AZD 7442 ist nach Angabe der „Pharmazeut­ischen Zeitung“eine Mischung zweier Antikörper. Sie wurden aus dem Blutserum genesener Covid-19-Patienten gewonnen und im Labor aufbereite­t und optimiert. „Wir wissen, dass diese Antikörper-Kombinatio­n das Virus neutralisi­eren kann“, sagte Catherine Houlihan, Virologin am UCLH, den britischen Medien. Sie leitet die aktuelle Medikament­enstudie mit dem Namen „Storm Chaser“(Sturmjäger). Hier testen Forscher an rund 100 Standorten auf der ganzen Welt, wie effektiv der Antikörper­mix einen Krankheits­ausbruch unmittelba­r nach einer Infektion verhindern kann. Studienzen­tren in den USA und mehrere britische Krankenhäu­ser sind federführe­nd beteiligt.

Das Mittel wäre vor allem als schneller Schutz für Menschen interessan­t, die dem Virus ausgesetzt waren. Eine Art Notfallprä­parat etwa für Bewohner und Mitarbeite­r in Pflegeheim­en oder Krankenhäu­sern. Aber auch chronisch Kranke, Immungesch­wächte oder Großeltern, die in Haushalten leben, in denen sich ein Familienmi­tglied infiziert, könnten mit dem Antikörper­mix vor der Erkrankung oder einem schlimmen Verlauf bewahrt werden. Der große Vorteil eines Antikörper-Medikament­es ist, dass der Patient sofort geschützt ist.

„Wenn wir nachweisen können, dass diese Behandlung funktionie­rt und Menschen schützt, die dem Virus ausgesetzt sind, wäre dies eine aufregende Ergänzung des Waffenarse­nals, das entwickelt wird, um dieses schrecklic­he Virus zu bekämpfen“, sagte Studienlei­terin Houlihan gegenüber dem „Guardian“. Bisher haben im Rahmen der Studie Menschen das Mittel injiziert bekommen, die in Studentenw­ohnheimen oder im Gesundheit­swesen dem Virus ausgesetzt waren, so die Virologin.

Natürlich sind wie bei allen Entwicklun­gen, die sich um Sars-CoV-2 drehen, noch Fragen offen. Etwa, wie lange das neue Mittel wirksam ist. Außerdem soll eine weitere Studie nun klären, ob der Antikörper-Mix auch für Menschen mit einem geschwächt­en oder vorbelaste­ten Immunsyste­m geeignet ist, etwa Krebs- oder HIV-Patienten. Wegen der bisher aber vielverspr­echenden Ergebnisse rechnen die Entwickler auf eine Zulassung noch in diesem Frühjahr.

Auch deutsche Forschungs­projekte beschäftig­en sich mit Antikörper­therapien gegen Sars-CoV-2. So haben unter Federführu­ng der Technische­n Universitä­t Braunschwe­ig Molekularb­iologen und andere Wissenscha­ftler COR-10 gebaut – einen menschlich­en Antikörper aus dem Reagenzgla­s. Klinische Studien laufen bereits. Auch an der Berliner Charité haben Wissenscha­ftler gemeinsam mit Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegen­erative Erkrankung­en (DZNE) hochwirksa­me Antikörper gegen das Coronaviru­s aus dem Blut Genesener isoliert und im Labor nachgebild­et. Die Werkzeugki­ste im Kampf gegen Sars-CoV-2 ist also noch lange nicht leer.

 ?? FOTO: DPA ?? Das Blut genesener Covid-19-Patienten wird untersucht.
FOTO: DPA Das Blut genesener Covid-19-Patienten wird untersucht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany