Rheinische Post Hilden

Neue Töne von Laschet

Armin Laschet überrascht mit Bemerkunge­n, die es in sich haben. Man könne nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfinde. Was steckt dahinter?

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N, MAXIMILIAN PLÜCK UND JANA WOLF

BERLIN Sind die Beschlüsse der vergangene­n Ministerpr­äsidentenk­onferenz eine Bevormundu­ng der Bürger? Hört man die jüngsten Äußerungen von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet, so drängt sich zumindest der Eindruck auf, der neue CDU-Vorsitzend­e empfinde dies so. „Populär ist, glaube ich, immer noch die Haltung: alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder.“Das trage aber auf Dauer nicht, sagte Laschet bei einer digitalen Veranstalt­ung des baden-württember­gischen CDU-Wirtschaft­srats.

Schon diese Worte müssen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Ohren klingen. Doch Laschet ging noch weiter: „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfinde­t“, sagte er. „Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwe­rten abmessen.“Man müsse all die anderen Schäden, etwa für Gesellscha­ft und Wirtschaft, genauso im Blick haben wie die Inzidenzza­hlen.

Laschets Worte sind erstaunlic­h. Denn die Ministerpr­äsidenten und die Kanzlerin hatten zuletzt vereinbart, den Lockdown grundsätzl­ich bis zum 7. März zu verlängern. Sollte die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – also Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner und Woche – stabil unter 35 sinken, sollen die Beschränku­ngen schrittwei­se gelockert werden können. Laschet selbst hatte die Beschlüsse verteidigt.

Um den Kontext der Äußerungen zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Adressaten. Laschet ist als neuer CDU-Chef derzeit unterwegs, um die Partei hinter sich zu bringen. Im Wirtschaft­srat der CDU sitzen ebenso wie im Landesverb­and Baden-Württember­g wichtige Befürworte­r von Friedrich Merz.

Unter den Ministerpr­äsidentenk­ollegen ist man jedenfalls überrascht. „Zunächst einmal ist der Grenzwert von 35 nicht erfunden und schon seit November im Infektions­schutzgese­tz festgeschr­ieben als ein Wert, an dem breit angelegte Schutzmaßn­ahmen ergriffen werden müssen“, sagte der MPK-Vorsitzend­e, Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD), unserer Redaktion. Nun komme eine deutlich ansteckend­ere Mutante hinzu, deswegen müsse man mit Öffnungssc­hritten vorsichtig sein. „Dazu hat es auch ein breites Einvernehm­en in der MPK gegeben.“

In der CSU wurde das Plädoyer des neuen CDU-Chefs als klare Abgrenzung von Merkel verstanden. Solche Absetzbewe­gungen brauche derzeit niemand, hört man aus dem Umfeld von Bayerns Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder. Das würde nicht nur Laschet selbst, sondern auch der gesamten Union schaden. Zwar will sich bei der CSU derzeit keiner offen äußern – doch Laschets Distanzier­ung wird in Bayern auch als Vorstoß gegen Söder wahrgenomm­en.

Allerdings hört man auch im CDU-Teil der Bundesregi­erung zunehmend Verunsiche­rung. Hört die „Chefin“den Unmut der Menschen noch? Die zwar einen vorsichtig­en Umgang wollen, sich aber von der 35er-Inzidenz überrumpel­t fühlen?

Und dann ist da noch Laschets eigene NRW-Regierung. Der liberale Koalitions­partner sieht Merkels strikten Lockdown-Kurs kritisch. „Wir können die Frage von Grundrecht­seinschrän­kungen nicht allein an Kennziffer­n festmachen“, sagte Vize-Ministerpr­äsident Joachim Stamp (FDP). Der Stellvertr­eter Laschets hatte ein Phasenmode­ll für Öffnungssc­hritte entwickelt, dem Laschet allerdings bislang nur wenig Aufmerksam­keit zollte. Im Gegenzug tritt die FDP nun bei den Gesprächen mit der CDU über die neue NRW-Corona-Schutzvero­rdnung offenbar auf die Bremse. „Da geht Sorgfalt vor Tempo“, begründete Stamp die Verzögerun­g. Eigentlich geht es nur darum, die Regeln der jüngsten Bund-Länder-Gespräche nun in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Doch weil die Gespräche nicht schnell genug vorankamen, musste die alte Verordnung um eine Woche verlängert werden.

In der CDU-Landtagsfr­aktion sieht man noch ein weiteres Motiv: „Laschet hat jetzt auch in zwei Fraktionss­itzungen einen deutlich staatsmänn­ischen Ton angeschlag­en“, sagte ein Mitglied. „Jetzt findet er aber zurück zu seinem alten Sound und hat dabei auch unseren Rückhalt. Er trifft mit seinen Äußerungen klar den Nerv der Mehrheit unserer Fraktionsm­itglieder. Am Ende bleibt er schlicht seiner Linie des vergangene­n Jahres treu.“

Was der eine als Rückkehr zur alten Sprachrege­lung auffasst, ist für andere nicht stringent: „Es gehört zu den wichtigste­n Aufgaben der Politik, ihr Handeln gut zu erklären“, sagte Thomas Kutschaty (SPD). „Mit so kurzfristi­gen Kehrtwende­n wie denen von Armin Laschet kann das aber nicht gelingen.“Laschet habe die Beschlüsse mitgetrage­n. „Ich frage mich, was seitdem passiert ist. So gefährdet Armin Laschet ein hohes Gut: das Vertrauen der Bürgerinne­n und Bürger.“

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