Neue Töne von Laschet
Armin Laschet überrascht mit Bemerkungen, die es in sich haben. Man könne nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfinde. Was steckt dahinter?
BERLIN Sind die Beschlüsse der vergangenen Ministerpräsidentenkonferenz eine Bevormundung der Bürger? Hört man die jüngsten Äußerungen von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, so drängt sich zumindest der Eindruck auf, der neue CDU-Vorsitzende empfinde dies so. „Populär ist, glaube ich, immer noch die Haltung: alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder.“Das trage aber auf Dauer nicht, sagte Laschet bei einer digitalen Veranstaltung des baden-württembergischen CDU-Wirtschaftsrats.
Schon diese Worte müssen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Ohren klingen. Doch Laschet ging noch weiter: „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet“, sagte er. „Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwerten abmessen.“Man müsse all die anderen Schäden, etwa für Gesellschaft und Wirtschaft, genauso im Blick haben wie die Inzidenzzahlen.
Laschets Worte sind erstaunlich. Denn die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin hatten zuletzt vereinbart, den Lockdown grundsätzlich bis zum 7. März zu verlängern. Sollte die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – also Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche – stabil unter 35 sinken, sollen die Beschränkungen schrittweise gelockert werden können. Laschet selbst hatte die Beschlüsse verteidigt.
Um den Kontext der Äußerungen zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Adressaten. Laschet ist als neuer CDU-Chef derzeit unterwegs, um die Partei hinter sich zu bringen. Im Wirtschaftsrat der CDU sitzen ebenso wie im Landesverband Baden-Württemberg wichtige Befürworter von Friedrich Merz.
Unter den Ministerpräsidentenkollegen ist man jedenfalls überrascht. „Zunächst einmal ist der Grenzwert von 35 nicht erfunden und schon seit November im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben als ein Wert, an dem breit angelegte Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen“, sagte der MPK-Vorsitzende, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), unserer Redaktion. Nun komme eine deutlich ansteckendere Mutante hinzu, deswegen müsse man mit Öffnungsschritten vorsichtig sein. „Dazu hat es auch ein breites Einvernehmen in der MPK gegeben.“
In der CSU wurde das Plädoyer des neuen CDU-Chefs als klare Abgrenzung von Merkel verstanden. Solche Absetzbewegungen brauche derzeit niemand, hört man aus dem Umfeld von Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder. Das würde nicht nur Laschet selbst, sondern auch der gesamten Union schaden. Zwar will sich bei der CSU derzeit keiner offen äußern – doch Laschets Distanzierung wird in Bayern auch als Vorstoß gegen Söder wahrgenommen.
Allerdings hört man auch im CDU-Teil der Bundesregierung zunehmend Verunsicherung. Hört die „Chefin“den Unmut der Menschen noch? Die zwar einen vorsichtigen Umgang wollen, sich aber von der 35er-Inzidenz überrumpelt fühlen?
Und dann ist da noch Laschets eigene NRW-Regierung. Der liberale Koalitionspartner sieht Merkels strikten Lockdown-Kurs kritisch. „Wir können die Frage von Grundrechtseinschränkungen nicht allein an Kennziffern festmachen“, sagte Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP). Der Stellvertreter Laschets hatte ein Phasenmodell für Öffnungsschritte entwickelt, dem Laschet allerdings bislang nur wenig Aufmerksamkeit zollte. Im Gegenzug tritt die FDP nun bei den Gesprächen mit der CDU über die neue NRW-Corona-Schutzverordnung offenbar auf die Bremse. „Da geht Sorgfalt vor Tempo“, begründete Stamp die Verzögerung. Eigentlich geht es nur darum, die Regeln der jüngsten Bund-Länder-Gespräche nun in Nordrhein-Westfalen umzusetzen. Doch weil die Gespräche nicht schnell genug vorankamen, musste die alte Verordnung um eine Woche verlängert werden.
In der CDU-Landtagsfraktion sieht man noch ein weiteres Motiv: „Laschet hat jetzt auch in zwei Fraktionssitzungen einen deutlich staatsmännischen Ton angeschlagen“, sagte ein Mitglied. „Jetzt findet er aber zurück zu seinem alten Sound und hat dabei auch unseren Rückhalt. Er trifft mit seinen Äußerungen klar den Nerv der Mehrheit unserer Fraktionsmitglieder. Am Ende bleibt er schlicht seiner Linie des vergangenen Jahres treu.“
Was der eine als Rückkehr zur alten Sprachregelung auffasst, ist für andere nicht stringent: „Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Politik, ihr Handeln gut zu erklären“, sagte Thomas Kutschaty (SPD). „Mit so kurzfristigen Kehrtwenden wie denen von Armin Laschet kann das aber nicht gelingen.“Laschet habe die Beschlüsse mitgetragen. „Ich frage mich, was seitdem passiert ist. So gefährdet Armin Laschet ein hohes Gut: das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.“